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Freitag, 2. Juni 2023

Minnesang - Die Spätzeit

Transferleistung im Rumpelkeller


Label/Verlag: Christophorus
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Der dunkle Keller ist aufregender als das hellste Wohnzimmer. Denn gerade das, was im Dunkel bleibt, regt unsere Phantasie an und bringt uns auf die absurdesten Geschichten. So ist noch heute das Mittelalter ein solcher ‘Rumpelkeller’, dessen Ritter, Gaukler, Zauberer und holde Jungfrauen bei Kerzenschein aus den düsteren Ecken hervorlugen. Natürlich ist uns mittlerweile auch dieses Zeitalter nicht mehr so ganz fremd, wie es auf den ersten Blick scheint. Doch der Stand der Forschung hat nicht unbedingt das Bild von der Welt auf der Scheibe entmystifizieren können.
Versuchen wir also, unsere Kisten und Kästen in unserem Keller bei schwacher Beleuchtung hin und her zu schieben, so bleibt doch das, was wir sehen, gefärbt von unseren persönlichen Vorstellungen, vielleicht auch unseren Wünschen, wie dieses Zeitalter einmal ausgesehen, wie es geklungen haben mag.

Das Label Christophorus wagt hier einen erneuten Vorstoß in diese immer noch äußerst exotisch anmutende Musikepoche und widmet sich der Spätzeit des Minnesangs. Dieser Themenschwerpunkt, so stellt es sich später heraus, in eine Art neuer Übertitel, um für das bereits von Künstlern wie Andrea von Ramm, den Ensembles I Charlatani oder dem ‚ensemble für frühe musik’ erarbeitete Werk zu werben und auf es aufmerksam zu machen.
Ein durchaus legitimer Kunstgriff - aber auch einer mit Risiko. Denn leider riskiert diese Platte, Stückwerk zu sein und unter einem Pseudoarbeitstitel ein Ragout aus bereits geschmorten Pilzen nochmals durchgerührt aufzuwärmen. Und tatsächlich fehlt diesem Unterfangen eine klare künstlerische Linie, die trotz der chronologischen Anordnung der Stücke nicht zwangsläufig spürbar wird. Ja, es gibt einen Wandel in der Musik von 1200 bis 1450 – immerhin sind das auch einhundertfünfzig Jahre Kunst. Das allein schon als ‘Periode’ zu bezeichnen, ist für die Literatur- und Musikgeschichte immer äußerst fragwürdig gewesen. Das Problem liegt in der ‘Kellernatur’ dieser Epoche. Die Tradition, bislang mündlich Überliefertes auch schriftlich zu fixieren, entwickelt sich, der Begriff des Künstler bildet sich erst.

Bislang hatte sich das Label mit durchaus klaren Themenvorgaben wie ‘Tristan et Iseult’ oder dem Werk des Neidhart von Reuental eine überzeugende künstlerische Ausgangsbasis. Hier ist das ein bisschen Neidhart mit dem ensemble für frühe musik da, ein wenig Oswald von Wolkenstein dort, aber das am Anfang des Booklets angekündigte Aufzeigen einer Entwicklung des Minnesangs wird nicht zwingend spürbar. Denn nicht zu vergessen ist, dass durch die geringe Rezeption dieser Musik heute ein solides Vorwissen nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Gefragt sind also Talente der Vermittlung, der klaren Linie. Doch gerade an dieser Transferleistung scheitert das Album und bleibt trotz künstlerisch teilweise herausragender Leistungen ein Aufguss.
Wenn schon das mit der Linie nicht funktioniert hat, bleibt fraglich, warum auch der erwünschte Werbeeffekt trotz schöner Aufmachung ausbleibt. Vielleicht liegt es daran, dass das Label seine Künstler im Booklet völlig übergeht bzw. unterschlägt. Nur ein paar CD-Cover auf die letzte Seite zu drucken, hilft da nicht. Schade für das Ganze, denn eigentlich zeichneten sich bisherige Arbeiten durch ihre sorgfältige Gestaltung aus. Hier hat sich niemand wirklich ernsthaft Gedanken darüber gemacht, was man mit dem Produkt eigentlich anfangen soll. Großen Respekt vor früheren Arbeiten dieser Reihe, zu dieser Einspielung ist aufgrund vermeidbarer Formfehler – im wahrsten Sinne – nicht zwingend zuzuraten.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:




Florian Wetter Kritik von Florian Wetter,


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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Minnesang: Die Spätzeit

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Christophorus
1
01.11.2004
Medium:
EAN:

CD
4010072772718


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Reuental, Neidhart von
Tanhuser,
Wolkenstein, Oswald von


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Interpret(en):Ramm, Andrea von


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Christophorus

Christophorus ist das älteste deutsche Plattenlabel mit dem Schwerpunkt "Geistliche Musik". Es wurde 1935 gegründet, um religiöse Inhalte mittels Schallplatten und Bücher auch während des Nazi-Regimes zu verbreiten. Heute - mehr als 75 Jahre später - stehen spirituelle Themen weiterhin im Mittelpunkt des Labels, mit besonderem Interesse für unbekannte Werke und historische Interpretation. Gregorianische Gesänge, geistliche Vokalmusik, Musik der christlichen Kirchen und die Gesänge aus Taizé sind im Katalog ebenso vertreten wie Musik des Mittelalters und der Renaissance. Mit diesem Repertoire gilt Christophorus heute als eines der wichtigsten unabhängigen Labels auf dem internationalen Klassikmarkt.


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