
Marian Anderson - A Portrait in Music
Endlich erlebbar
Label/Verlag: VAI
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die Segnungen des digitalen Zeitalters: Dank flinker Bildbearbeitungsprogramme und billiger Fertigungstechniken erreichen uns Aufnahmen aus längst vergessenen Epochen in einer Qualität, die man kaum fassen mag. Gerade im Klassik-Sektor wird die Tür in eine Welt der Legenden aufgestoßen und erhält die nachwachsende Generation endlich die Gelegenheit, die kultische Verehrung gegenüber den Stars des frühen zwanzigsten Jahrhunderts auf ihre Berechtigung abzuklopfen. Noch größer dürfte die Freude bei den beinharten Anhängern früher Diven und dahingeschiedener Helden sein, bekommen sie doch ein Menü serviert, von dem Sie niemals erwartet hätten, es interessiere außer ihnen und einer handvoll Historikern auch nur eine einzige Person. Leider lässt sich andersherum eben auch schamlos und unkompliziert aus dem brennenden und schwer zu befriedigenden Interesse an jedem weiteren Puzzleteil im Mosaik der Geschichte Profit schlagen. Auch ‘A portrait in music’ muss sich diesen Vorwurf gefallen lassen.
Was nicht bedeuten soll, Marian Anderson sei einer näheren Betrachtung nicht würdig – wer diese Frau nicht kennt, hat sowohl eines der wichtigsten Kapitel im Buch der US-amerikanischen Gesangsgöttinnen, als auch eine bedeutende Protagonistin im Emanzipationskampf der unterdrückten schwarzen Minderheit verpasst. Ihr Aufstieg vom armen Wunderkind zum Kassenschlager der 40er und 50er Jahre ist geprägt von der Solidarität ihrer Klasse (erst die Spenden ihrer Kirchengemeinde erlaubten ihr eine musikalische Ausbildung), dem Widerstand rassistischer Kleingeister (ihr wurde einzig und allein aufgrund ihrer Hautfarbe das Studium an einer örtlichen Musikschule verweigert) und schließlich dem einstimmigen Zuspruch der Kollegen. Ob Toscanini nun tatsächlich den Ausspruch getätigt hat, man finde eine Stimme wie die ihre nur ‘einmal in hundert Jahren’, wird nicht mehr eindeutig eruiert werden können – wichtiger ist indes, dass es wahr sein könnte.
Anderson selbst machte sich ohnehin nicht viel aus der ihr entgegen gebrachten Hingabe und lebte in der tourneefreien Zeit ein abgeschiedenes und stilles Leben auf dem Land, welches nur durch die gelegentlichen Besuche ihres festen Begleiters Franz Rupp unterbrochen wurde. Eine schöne Stelle diese Dokumentation ist gerade deswegen eine häusliche Szene, in welcher die beiden am Klavier verschiedene Stücke proben. Unhektisch und freundschaftlich geht es da zu und es tut auch gar nichts zur Sache, dass die Situation selbstverständlich keine natürliche, sondern eine gestellte ist. Denn aus allem, was man hier sehen kann und aus den wenigen Fakten kann man sich das höchst lebendige Bild einer liebenswerten und von Grund auf guten Persönlichkeit zusammensetzen, der Ruhm und Reichtum nichts und die Liebe zu Musik und Mitmensch alles bedeuteten. Die durchweg ungekürzten musikalischen Beiträge reichen bereits aus, einen Teil der Faszination zu erklären, die von Stimme und Erscheinung dieser Frau ausging: Die Hände streng wie zum Gebet gefaltet und nur mit dem Gesicht den vokalen Vortrag unterstützend war sie das beste Beispiel für eine alte Schule, die noch daran glaubte, dass Kontrolle, nicht Exaltiertheit die wahre Kunst des Liedgesangs darstellte. Und es gehört mehr als nur ein Hauch von Genie dazu, ‘He’s got the whole world in his hands’ gleich drei mal vorzutragen, ohne den Hörer auch nur einmal zu langweilen. Dennoch fühlt man sich von den insgesamt 43 Minuten dieser DVD betrogen. Denn nicht nur kommt sie lieblos ohne jegliche Extras (wie zum Beispiel Untertitel wenigstens in englischer Sprache) und mit einem falschen Tracklisting im schmucklosen Beipackzettel daher, besteht sie außerdem nicht aus einer ausführlichen Dokumentation, sondern drei schlicht aneinander gereihten Fernsehfeatures, von denen die beiden letzten nur für ganz hartgesottene Liebhaber brauchbar sind.
Spielt all das eine Rolle? Nicht wirklich. Denn seien wir mal ehrlich: Als Fan einer nicht aktuell im Mediengewitter erstrahlenden Künstlerin gäbe man seine gesamt Plattensammlung für gerade diese Art von Dokument. Marian Anderson sehen und singen zu können ist ein Genuss und als solches ist es unabhängig von eventuellen schnöde-finanziellen Motivationen ein Verdienst, diesen Genuss aus dem Bereich der reinen Vorstellung in den des real Erlebbaren zu überführen. Anderson starb 1993 im Alter von 96 Jahren, dank der hier zusammengetragenen Aufnahmen wird ihrer Kunst ein sogar noch deutlich längeres Leben beschieden sein.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Marian Anderson: A Portrait in Music |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
VAI 1 13.09.2004 |
Medium:
EAN: |
DVD
0089948427896 |
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Händel, Georg Friedrich |
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VAI Video Artists International (VAI) incorporated in 1983 and became the first US-based company to offer a selection of home video featuring opera, concert and ballet performances from international performance centers. In 1991 VAI began producing compact discs.. In 2001 VAI released its first DVD.
Initial VHS releases included ballet films from Russia followed by a series of complete operasstarring Anna Moff, Renata Tebaldi in Tosca and Beverly Sills All these remain best sellers for VAI. Also issued were recitals by Rosalyn Tureck, Anna Russell, Renata Scotto and others. All of these have been issued on DVD. Mehr Info... |
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