
Ravel, Maurice - L'Heure espagnole
Kabinettstückchen - Maag dirigiert Ravel
Label/Verlag: Arts music
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Peter Maag gehört mit zu dem großen unbekannten Dirigenten des 20. Jahrhunderts. 1919 im schweizerischen St. Gallen geboren, war er Schüler von u.a. Alfred Cortot, Wilhelm Furtwängler und Ernest Ansermet. Anfänglich Pianist, konzentrierte er sich nach dem Zweiten Weltkrieg aufs Dirigieren. Wichtige Stationen seiner Laufbahn waren: 1952 erster Kapellmeister in Düsseldorf, 1954-1959 Generalmusikdirektor in Bonn, 1964-1968 musikalische Chef an der Wiener Volksoper, 1972-1974 künstlerischer Leiter er Oper in Parma, daneben reichhaltige Opern- und Konzerttätigkeit in Europa und Amerika. Den richtig großen, internationalen Durchbruch hat der 2001 verstorbene Dirigent jedoch nie geschafft, dazu waren ihm wohl die Mechanismen des Kunstbetriebs zu unangenehm und zu belastend. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere zog er sich gar für 2 Jahre in ein tibetanisches Kloster zurück.
Auf Decca, EMI und einigen kleinere Labels sind eine ganze Reihe Einspielungen Peter Maags erhalten und auch in den Archiven der italienischen RAI findet sich eine große Anzahl von Konzertmitschnitten. Von diesen bringt seit einiger Zeit das deutsche Label ARTS in vorzüglicher Klangrestaurierung einige Aufnahmen Maags - zum großen Teil als Erstveröffentlichung - auf CD heraus. Maag hat mit den meisten der bedeutenden Künstler seiner Zeit zusammengearbeitet (aber immer wieder auch mit Künstlern der zweiten und dritten Reihe), und so findet sich nun manch erfreuliche Besetzung auf den CD-Veröffentlichungen.
Zwei CDs mit Maurice Ravels beiden Einaktern – ‚L’heure espagnole’ (1911) und ‚L’enfant et les sortilèges’ (1925) – gehören zu den jüngst erschienenen Aufnahmen. Maag hat sie 1962 bzw. 1963 mit Orchestern der italienischen RAI in Turin bzw. Rom mit einigen der besten Interpreten der Zeit aufgeführt. Gian Andrea Lodovici und Matteo Costa, zwei der Köpfe hinter ARTS, haben beide Aufnahmen, die damals mit den neusten technischen Möglichkeiten vom italienischen Rundfunk mitgeschnitten wurden, klanglich mit 24 bit und 96 kHz restauriert und ein für die Zeit überraschend klares, transparentes Stereo-Klangbild hervorgezaubert. Knappe, aber prägnant-informative Einführungsbeiträge (in D, E, F, I) und die Libretti in Originalsprache ergänzen die separat erschienenen CDs.
Peter Maags Dirigat ist in beiden Aufnahmen außergewöhnlich. Er trifft traumwandlerisch die Atmosphäre der ‚Spanischen Stunde’, schwelgt detailverliebt in Ravels brillanter Instrumentation, legt innere Bezüge offen, überrascht immer wieder mit Klangvariationen und hält alles durch flüssige, homogen auseinander hervorwachsende Tempi zusammen. Fast noch überzeugender gerät die dynamische und rhythmische Gestaltung in ‚Das Kind und die Zauberdinge’, weil Maag hier auf jeden Versuch der Glättung oder harmonischen Bereinigung verzichte, weil er genüsslich die instrumentalen Reibungen und skurrilen Einfälle Ravels ausmusizieren lässt und die unwiderstehliche, immer wieder tänzerische Motorik des Werkes zur treibenden Kraft macht. Beiden Interpretationen sind von geradezu überbordender Musizierfreude geprägt, Witz und Ironie blitzen auf und auch die großen lyrischen Bögen fehlen nicht. Was in Lorin Maazels 1960 und 1964 entstandenen Aufnahmen der Werke präzise kalkulierte Effekte sind, sind bei Maag aus dem Gesamtzusammenhang heraus entstehende Pointen, die ihre Wirkung nicht verfehlen. Seine (scheinbare) Spontaneität, die doch zugleich so effektsicher ist, erinnert an die zu Unrecht nicht bekannteren Einspielungen der beiden Einakter von Ernest Bour und René Leibowitz.
Hinzu kommen erstklassige Gesangssolisten der Zeit, von deren teilweisen Unbekanntheit heutzutage man sich nicht irritieren lassen sollte. Sie nehmen es spielend mit jeder neueren Einspielung der Werke auf. Begrüßenswert auch, dass es sich dabei größtenteils um Muttersprachler handelt, die der Feinheiten der französischen Sprache mächtig sind und den Witz und Esprit der Texte vermitteln können. Andrée Aubry Luchini, Pierre Mollet, Eric Tappy, Michel Sénéchal und Derrick Olsen liefern ein vokales Feuerwerk voller ironischer Zwischentöne in ‚L’heure espagnole’, dabei technisch perfekt, ausdrucksstark und mit ansteckender Leidenschaft an Spiel und Gesang. Im ‚Enfant’ glänzt die junge Mady Mesplé in einer ihrer frühen Aufnahmen mit leuchtendem Sopran und atemberaubenden Koloraturen, Colette Herzog und Geneviève Macaux erweisen sich als große Gestalterin in ihren vielen kleinen Rollenporträts, ebenso wie abermals Derrick Olsen und Piere Mollet. Michel Sénéchals Darbietung dürfte mit zum witzigsten und zugleich vokal Besten gehören, was jemals in diesem Werk auf Tonträger festgehalten wurde. Maag und den Sängern gelingen Studien von bestechender Wirkung und soghafter Ausstrahlung, Kabinettstückchen der Interpretation, die in Erinnerung bleiben. Musik, Gesang und Text gehen dabei eine unlösliche Synthese ein und befruchten sich gegenseitig. Zudem sind in beiden Aufführungen die charakteristischen Stimmen mit großem Verständnis für Stimmfarben und Zusammenklang aufeinander abgestimmt und gelangen zu großartigen Ensemble-Leistungen.
Diese beiden, jetzt veröffentlichten Ravel Einakter (mit ‚Ma mère l’oye’ und den ‚Valses nobles et sentiments’ unter Peter Maag als luxuriöse Zugaben) sind maßstabsetzende Interpretationen, die jedem, der Spaß an Musik hat, der ein Gespür für Ironie hat und der nicht zuletzt hochkarätige Gesangsinterpretationen zu schätzen weiß, wärmstens ans Herz gelegt sei. Guten Gewissens könnte man darauf eine Garantie geben, dass beide CDs mehr als nur einmal den Weg in den CD-Player finden werden.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Ravel, Maurice: L'Heure espagnole |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Arts music 1 26.01.2005 |
Medium:
EAN: |
CD
0600554304021 |
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Ravel, Maurice |
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