
Mahler, Gustav - Symphonie No. 5
Unerwartete Glücksmomente
Label/Verlag: Tudor
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Es gibt sie also doch noch, die jungen Dirigenten mit eigener Tonsprache, mit individuellen Interpretationsansätzen. Jonathan Nott, seines Zeichens Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, scheint eine dieser seltenen Erscheinungen zu sein. Sein Debüt am Pult der Berliner Philharmoniker fiel letztes Jahr noch eher zwiespältig aus, die hier vorliegende Einspielung von Gustav Mahlers fünfter Sinfonie hingegen überzeugt von der ersten bis zur letzten Note. Das Label Tudor hat in Zusammenwirken mit dem Bayrischen Rundfunk in fünf Tagen eine Musikproduktion bewerkstelligt, der unbedingte Aufmerksamkeit gebührt – nicht nur weil es eine Studioproduktion anstelle eines Konzertmitschnitts ist, sondern auch wegen der außergewöhnlich guten Klangqualität und Stimmentransparenz, die Musikregie und Toningenieure hier dem Hörer auf den Silberling gezaubert haben.
Zweifelsohne ist dies aber auch ein Verdienst des britischen Dirigenten, der die komplexe Mahlerpartitur so faszinierend klar und durchhörbar gestalten lässt, wie man es sonst nur von Michael Gielen gewohnt ist. Dabei kommen Emotionen und Effekte auf gar keinen Fall zu kurz, im Gegenteil. Vieles wirkt in Aufbau und Entwicklung natürlicher, logischer, gar flüssiger als bei den oft oberflächlichen, effektorientierten Orchesterleitungen manch namhafterer Dirigierkollegen.
Nott lässt sich dabei vor allem in den Ecksätzen, dem einführenden Trauermarsch und dem abschließenden Rondo-Finale, relativ viel Zeit, wählt ruhige Tempi. Dies schafft den Musiker viel Raum für die exakte und zuglich individuell-musikalische Gestaltung Ihrer Parts, die nicht selten solistischen Charakters sind. Die Dynamische Vielfalt in Notts Mahlerinterpretation ist dabei ebenso faszinieren, wie das schier unendlich Klangfarbenspektrum, das das Bayrische Orchester hier wiederzugeben imstande ist. Ein Eindruck, der sich im ‚stürmisch bewegt’ des zweiten Satzes und dem Scherzo in jeder Hinsicht bestätigt. Die vielen auskomponierten Temposchwankungen kommen ebenso überzeugend, wie die teils unmenschlich schwierigen artikulatorischen Feinheiten aller Stimmgruppen. Jonathan Nott lässt im Detail akribisch genau ausführen und vergisst doch nicht, die vielen kleingliedrigen Abschnitte zu einem großen Ganzen zusammen zu fügen. Seine Interpretation verliert niemals ihren horizontalen Charakter, bleibt großbogig in ihrer Anlage und ungemein vielfarbig.
Die Bamberger Symphoniker, eines der ältesten und auch profiliertesten europäischen Orchester, folgen ihrem Chef widerstandslos und erweisen sich dabei als klangschönes und flexibles Ensemble, das mit einer Reihe von ausgezeichneten Solisten gespickt ist. Stimmlich angenehm ausgewogen präsentieren sich die Holzbläser, das Blech ist präsent und doch nie aufdringlich, die Streicher agieren so homogen, dass man manches mal ein Streichquartett zu hören glaubt. Und nicht zuletzt das Solohorn und die Solotrompete beweisen, dass technische Klasse mit großer Musikalität einhergehen kann.
Von daher: Gratulation allen Ausführenden zu einer wundervoll gelungenen Produktion. Diese Mahler Fünf ist – wer hätte das bei der Fülle an Einspielungen gedacht – eine echte Bereicherung des Tonträgerangebots und macht neugierig auf Kommendes. Bis dahin kann man bei Tudor vielleicht noch etwas am unübersichtlich und wenig geschmackvoll gestalteten Booklet arbeiten. Doch ist dies wohl die einzige Reserve dieser mit Nachdruck empfohlenen CD.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Mahler, Gustav: Symphonie No. 5 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Tudor 1 04.05.2004 |
Medium:
EAN: |
CD
7619911071264 |
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