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Freitag, 22. September 2023

Haas, Georg Friedrich - in vain

Musikalischer Psychothriller


Label/Verlag: Kairos
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Georg Friedrich Haas, einer der versiertesten zeitgenössischen Komponisten aus dem benachbarten Österreich, gelingt es, mit seinem Werk ‘in vain’ den Zuhörer in Klangwelten gefangen zu nehmen, aus denen es keinen Ausweg gibt – ein musikalischer Psychothriller par excellence und ganz nebenher noch ein gekonnt gearbeitetes Stück.
Der 1953 in Granz geborene Haas studierte Komposition unter anderem bei Gösta Neuwirth in Graz, nebenher noch Klavier und Musikpädagogik; es schlossen sich weitere Studien bei Friedrich Cerha in Wien an. Haas gewann mit einigen seiner Werke renommierte Preise, die ihn als innovativen Komponisten der Gegenwart ausweisen. Ein grundlegendes Element seiner Stücke bildet der Umgang mit Mikrotonalität; geprägt von Ivan Wyschnegradski, Alois Hába, James Tenney, Harry Parth und vor allem Giacinto Scelsi, entwirft er mit mikrotonalen Mitteln neue Klanglandschaften, die sich mit einer zwingenden Formgebung verbinden. Doch der Österreicher probiert nicht nur neues Klangmaterial aus, sondern versucht darüber hinaus, ungewohnte Elemente des Hör- und Konzerterlebnisses durch Entfremdungen aus ihrer ‘normalen’ Rolle herauszulösen, wie zum Beispiel die Beleuchtung.
Diese wird in dem Ensemblestück ‘in vain’ – zu deutsch: ‘vergebens’ – zum integralen Bestandteil des Werks; in der Partitur wird die Stärke der Beleuchtung angegeben, d.h. wann und wie diese verändert werden soll. Dies koinzidiert mit musikalischen Elementen, so dass sich letztendlich ein Kunstwerk ergibt, das den Zuhörer (der nicht mehr nur Zu-Hörer ist, sondern ganzheitlich angesprochen wird) mit verschiedenen Mitteln zu einer aktiven Rezeption anregt. Nach den ersten Minuten, in denen sich wild abfallende Linien – scheinbar chaotisch – überlagern, tritt ein Moment der Ruhe, eine erste ‘Dunkelphase’. Dies ist in der Partitur so gekennzeichnet, dass die Konzertsaalbeleuchtung abgedämmt wird, bis die Musiker wie auch das Publikum in Dunkel getaucht sind. Aus diesem Dunkel erheben sich nun Liegeklänge mit Tönen, die weniger als einen Halbton auseinander liegen, also mikrotonale Klangflächen. Wie sehr der optische Eindruck der Dunkelheit mit diesen ‘nächtlichen’ Klängen harmoniert, lässt sich im eigenen Wohnzimmer prima erleben (besser wahrscheinlich als im Konzertsaal, in dem die Notbeleuchtung nicht abgeschaltet werden darf).

Zwischen schärfsten Dissonanzen und kaleidoskopartigen Klanggebilden

Wie lässt sich diese Musik in Worte fassen, die vom Klangforum Wien in so zwingender Weise realisiert wird? Es stellen sich die vielfältigsten Assoziationen ein: manchmal erweckt dieses Stück Erinnerungen an miserable Posauenenchöre, die oftmals ungewollt mikrotonale Klänge zutage fördern; diese Erinnerung wird vor allem durch bestimmte Linien und Bewegungen hervorgerufen, die an Dreiklänge, Überblasen, etc. erinnert. Stellenweise wird das Klangbild auch aufgeraut, wie man das aus einigen Aufnahmen kennt, die sich der historischen Aufführungspraxis verschrieben haben.
Das Klangforum Wien unter der Leitung des Dirigenten Sylvain Cambreling, einem Kenner zeitgenössischer Musik, der sich als Chefdirigent des SWR-Symphonieorchesters Baden-Baden – Freiburg auf diesem Gebiet große Meriten erwarb, lässt diese Musik so unmittelbar suggestiv wirken, dass der Zuhörer unweigerlich in den Bann dieser Musik gezogen wird, die nicht nur durch den klanglichen Eindruck als zum Zerreißen angespannte Klangwelt Psychothrillerstimmung erzeugt. Dies wird zudem gesteigert durch die Anlage des Stückes: es bewegt sich freischweifend und kommt immer wieder zu Konstellationen, die an Vorangegangenes erinnern: es gibt keinen Ausweg, man läuft im Kreis; eine der bedrückendsten Erfahrungen, die man machen kann.
In allen erdenklichen Farben wird dies vom Klangforum in Klang umgesetzt. Das für (großes) Kammerensemble geschriebene Werk kann mit so vielschichtigen und –fältigen Klangkombinationen aufwarten, dass man auch trotz der Länge des Stücks – etwas mehr als sechzig Minuten – in jedem Moment gefangen bleibt. Die Musiker scheinen hier mit Lust und großem Engagement an dieses Werk heranzugehen, ein Spannungsabfall ist zu keinem Zeitpunkt zu verzeichnen, alles bleibt konzentriert bis zu Schluss. Allein der Klangfarben wegen lohnt es sich, diese Aufnahme zu kennen, denn das aus vierundzwanzig Instrumenten bestehende Ensemble schafft irisierend schillernder Klangflächen, bedrohend krächzende Klangballungen, kurz: eine Reichhaltigkeit an klanglichen Nuancen, die stellenweise an Orchesterstücke Pierre Boulez´ erinnern.
Diese Aufnahme setzt zudem klanglich Akzente, indem der bisweilen disparate Klang bestens eingefangen wird, dynamische Nuancen hörbar sind, ohne technisch ‘hervorgeholt’ zu wirken und der Gesamtklang des Ensembles sehr differenziert und bestens balanciert ist. Lob an die Toningenieure!

Empfehlenswertes Klangkaleidoskop

Wer den Komponisten Georg Friedrich Haas noch nicht kennt, dem sei diese Aufnahme sehr empfohlen, da hier ein interessantes und packendes Werk des Österreichers vorgestellt wird. Den Fans Neuer Musik sei dies ebenfalls ans Herz gelegt, denn diese Klangwirkungen wirken so bezwingend, die Interpretation so spannungsgeladen, dass man unmittelbar ergriffen wird.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Haas, Georg Friedrich: in vain

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Kairos
1
17.03.2004
Medium:
EAN:

CD
9120010280061


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Haas, Georg Friedrich


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Dirigent(en):Cambreling, Sylvain
Orchester/Ensemble:Klangforum Wien


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