
Cornelius, Peter - Seele, vergiss sie nicht
Elegische Klänge und Sphärenharmonien
Label/Verlag: Carus
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Peter Cornelius – ein wenn nicht unbeschriebenes, dann doch fast leeres Blatt. Fast leer, denn man kennt ja zumindest ‘Die Könige’ eines der Lieder, die in jedem in gymnasialen Musiksälen herumliegenden Kunstliederbuch zu finden sind. Aber Cornelius hat weit mehr an Chormusik komponiert, wofür die vorliegende Aufnahme Zeugnis ablegt. Und was für ein Zeugnis!
Das erste der hier aufgenommenen Werke, ‘Requiem’ benannt, entstand 1863. Es basiert auf dem Gedicht ‘Seele, vergiss sie nicht’ von Friedrich Hebbel; von Cornelius wird dies in einen kontrastreichen, dichten, sechsstimmigen Chorsatz verwandelt, ein Werk, das als Herzstück dieser Aufnahme die a-cappella-Chorkunst des Komponisten in bestem Lichte erstrahlen lässt. Schon der Anfang, der mahnende Ruf ‘Seele, vergiss sie nicht, vergiss nicht die Toten!’ wird mit großer Vehemenz dem Hörer entgegengeschleudert. Doch wird der Chorklang nie unsauber oder durch dynamische Extreme angeraut. Man hat immer den Eindruck, der kraftvolle Klang entstehe durch eine weitere Verdichtung der Stimmen, die zu einem wahrlich großartigen Chorklang führt; gerade für diese Musik scheint dieser Chor in seiner dunklen Leuchtkraft prädestiniert.
Die Balance innerhalb es Chores kann nur verblüffen, die Männerstimmen fallen hier keiner Weise gegenüber den Frauenstimmen ab, ausgeglichener kann man sich einen romantischen Chorklang nicht wünschen.
Sphärenklänge und archaische Kälte
Betörend, an Sphärenklänge erinnernd, beginnt das erste Werk aus dem Zyklus ‘Liebe’, op. 18. In den Frauenstimmen erheben sich blitzsauber intonierte Sekundreibungen, die einen flirrenden, gleißenden Klang erzeugen. Cornelius zeigt sich auch in diesem Stück als Chorkomponist par excellence. Die Strophen des ‘Liebe, dir ergeb ich mich’ werden kontrast- und abwechslungsreich im engen Zusammenhang mit dem Inhalt des Textes achtstimmig vertont. So wird die ‘Liebe, die für mich gelitten’ mit aufgeregten Stimmeinsätzen der Männer verknüpft, die ‘Liebe, die mich hält gebunden’ mit Nebennoten und Achtelketten symbolisiert, das ‘Grab der Sterblichkeit’ wird mit leeren Quintklängen in archaischer Kälte in Klang verwandelt. Hier kann der Chor alle dynamischen und gestalterischen Fähigkeiten zeigen, die aufs Beste umgesetzt werden. Auch die weiteren die religiöse Liebe ausdrückenden Werke warten mit einem dichten, gefühlvollen Chorsatz auf. Jede Nuance des Textinhalts wird hier von Cornelius in Musik verwandelt, deren Ausdruck sich in dieser Interpretation unmittelbar in verschiedenste Klangentfaltungen verwandelt. Kleinste dynamische Schattierungen gehen meist mit feinen agogischen Veränderungen einher, alles wirkt stimmig, zu einem Ganzen gerundet, so, als ob man diese Musik nicht anders interpretieren könnte.
Ein besonderes Lob gilt den Männerstimmen, die in den ‘Trauerchören’, op. 9 ausschließlich zum Einsatz kommen. Nichts ist hier zu spüren von träger Klangmelange, die von so manchen Männerchören – auch scheinbar sehr guten – geboten wird. Jede Stimme scheint hervorragend disponiert, die Balance ist stets fein austariert. So kann ‘Ach wie nichtig, ach wie flüchtig’ durch kontrastreiche Satzgestaltung einen Eindruck von der Endlichkeit des irdischen Lebens hinterlassen, die durch einen fahlen, an anderer Stelle kraftvollen Klang ausgedrückt wird. Bei den ‘Drei Chorgesängen’, op. 11, kommt nun wieder der ganze Chor zum Einsatz. In Heinrich Heines ‘Der Tod, das ist die kühle Nacht’ wird von Cornelius besonders anrührend der Gegensatz von ‘kühler Nacht’ und ‘schwülem Tag’ musikalisch umgesetzt: die rhythmisch konturierte, harmonisch eindeutige Nacht wird dem undifferenziert dahinfließenden, trägen Tag gegenübergestellt.
Cornelius setzt so jede textliche Grundlage in ein individuelles klangliches Gewand. So treten z.B. im Trauerchor des ‘Ach wie nichtig, ach wie flüchtig’ dem fünfstimmigen Männerstimmensatz drei Solostimmen gegenüber, in ‘Der Tod, das ist die kühle Nacht’ wird eine solistische Tenorstimme mit dem Chorklang abgewechselt. Hans Jörg Mammel setzt dieses Solo durch seine klare Diktion und eine kraftvolle, aber nie angestrengt wirkende Gestaltung anrührend um.
Auch seine Interpretation des Stücks ‘Die Könige’, op. 8, bearbeitet von H.G. Pflüger, kann die weihnachtliche Freude in stimmlichen Ausdruck verwandeln. Dieses Werk ist ein besonderes Kabinettsstückchen, da hier – vermutlich auf Anregung Franz Liszts – die Strophen des Weihnachtsliedes von Cornelius mit dem Choral ‘Wie schön leuchtet der Morgenstern’ unterlegt werden.
Vorbildliche Klanggestaltung
Was dieser Aufnahme – neben ihrer differenzierten, kontrastreichen Interpretation – Lorbeeren verleiht, ist die klangliche Realisierung. Vom wie gehaucht wirkenden piano bis zum auftrumpfenden forte gibt es alle möglichen Abstufungen zu hören. Wirklich kleinste dynamische Ereignisse, sowie auch größte Kontraste werden von der Aufnahmetechnik in vorbildlicher Manier auf diesen Tonträger gebannt. Dazu kommt noch eine vollkommen natürliche Akustik, die dem Klang Luft und Raum verleiht, um sich bestmöglich entfalten zu können. Die Maria Königin-Kirche in Saarbrücken scheint hierfür der geeignete Raum zu sein.
Fazit: Diese CD muss man – als Liebhaber romantischer Chormusik – haben. Denn die Interpretation kann als absolut hervorragend bezeichnet werden. Hier stimmt einfach alles: Dynamik, Agogik, feinste Phrasierungen, weit spannende Melodiebögen, rhythmische Klarheit, beste Intonationsreinheit. Eine Referenzaufnahme.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Cornelius, Peter: Seele, vergiss sie nicht |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Carus 1 01.02.2004 |
Medium:
EAN: |
CD
4009350831636 |
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Cornelius, Peter |
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Carus Der Name Carus steht weltweit als ein Synonym für höchsten Anspruch und Qualität auf dem Gebiet geistlicher Chormusik. Dies betrifft nicht nur unsere zuverlässigen Noteneditionen vieler zu Unrecht in Vergessenheit geratener Werke. Es ist uns ein besonderes Anliegen, gerade diese Werke - oft als Weltersteinspielungen - auch in exemplarischen Interpretationen durch hochrangige Interpreten und Ensembles auf CD vorzulegen. Der weltweite Erfolg unseres Labels führte zur Erweiterung unseres Katalogs: Neben der Chormusik, die weiterhin den Schwerpunkt des Labels bildet, haben gerade in den letzten Jahren einige Aufnahmen barocker Instrumentalwerke internationale Beachtung gefunden. Unsere Zusammenarbeit mit erstklassigen Interpreten führte zu einer hohen Klangkultur, die mit der Verleihung vieler internationaler Preise honoriert wurde (Diapason d'Or, Preis der Deutschen Schallplattenkritik, Gramophone - Editor's choice). Mehr Info... |
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