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Montag, 4. Dezember 2023

The fount of Grace - The Orlando Consort

Komplexe Kunst


Label/Verlag: Hyperion
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Verlässlich bringt das Orlando Consort wie hier mit Machaut ferne Musik ans Ohr der Gegenwart und lässt sie ebenso regelmäßig auf erstaunliche Weise bei aller Komplexität frisch, relevant und dringlich klingen.

Das englische Orlando Consort hat in den vergangenen Jahren mit großer Geduld und ebensolcher Expertise ausgreifende Erkundungen im künstlerischen Reich von Guillaume de Machaut (ca. 1300-1377) unternommen, jener prägenden Gestalt des 14. Jahrhunderts, die poetisch und musikalisch gleichermaßen eindrucksvoll über Zeiten hinweg strahlt. Auf der aktuell bei Hyperion erschienenen Platte unter dem Titel ‚The Fount of Grace – Die Quelle der Gnade‘ ist eine Fülle verschiedener Formen zu einem eindrücklichen Programm verbunden.

Zu hören sind Balladen, die dem Lob der höfischen Liebe gewidmet sind, Rondeaus, die mit den Zweideutigkeiten ähnlich klingender Worte spielen oder Virelais, die sich rhythmisch lebhaft, einfacher im Satz und direkter in der Wirkung geben. Gesungen werden sie von bis zu vier Stimmen, aber auch ein einstimmiges Virelai ist zu hören – eine beachtliche Breite, die je zu erstaunlicher vokaler Intensität einlädt.

Eine weitere Gruppe im Programm bilden die Motetten. Die drei letzten Werke dieser Gattung aus Machauts Feder sind zu hören – in ihrer Vierstimmigkeit durchaus komplex angelegt, satztechnisch mit zwei Stimmpaaren: Die unteren Stimmen in größeren Werten langsam fortschreitend, die oberen in rhythmisch komplexen Strukturen organisiert. Inhaltlich reflektieren die Motetten die Zeitläufte im Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich, die Gefahren, das Leid und die Entbehrungen – einschließlich der kurzzeitigen englischen Belagerung von Machauts Heimatstadt Reims 1369/70, die auch den greisen Komponisten selbst im Wachdienst sah.

Schließlich ist im Zentrum des Programms ein ausgreifender Lay zu hören, ein hochkomplexes poetisch-musikalisches Kunstwerk, das zu den ambitioniertesten Formen Machauts gehört und sich in diesem Fall auf etwas mehr als 24 gesungene Minuten ausdehnt. Es besteht aus zwölf Doppelstrophen mit je eigenem Reimschema und je eigener Melodie für jedes Strophenpaar. Das letzte dieser Paare schlägt formal den Bogen zum Anfang zurück und rundet das gewaltige Stück. Im Booklet wird Machauts Schüler Eustache Deschamps mit der Einschätzung zitiert, dass es sich beim Lay um ‚die mühsamste aller poetischen Formen‘ handele. Jedenfalls bietet es ein ebenso komplexes wie aufs einfachste hin konzentriertes Hörvergnügen.

Erfahren und begeisternd

Das Orlando Consort singt in der bewährten Besetzung mit Matthew Venner (Countertenor), Mark Dobell und Angus Smith (Tenor) sowie Donald Greig (Bariton) und erweist sich als umfassend stilerfahrenes Ensemble, das sich in diesen komplexen Texturen sicher bewegt, auch ambitionierte rhythmische Schichtungen mühelos bewältigt. Wie in mancher der Vorgängerproduktionen beeindruckt die auf perfekter Technik basierende stimmliche Entfaltung einzelner Vokalisten in herausgehobenen oder reduziertstimmigen Konstellationen. Mark Dobell im schon angesprochenen einstimmigen Virelai ‚Hé, dame de valour‘ mag als Paradebeispiel für diesen Befund gelten: Das ist alles andere als vermeintlich kleinstimmig-trockene vokale Laubsägearbeit in verstaubtem Repertoire – vielmehr beherzte vokale Präsenz, mit Mut zum – technisch meisterlich beherrschten – Risiko, voller Saft und Kraft. Besondere Erwähnung verdient die delikate, farbenreiche, dabei natürliche Aussprache der heiklen altfranzösischen Texte Machauts, deren Explikation besetzungsbedingt oft schonungslos offen vor dem Ohr des Hörers liegt.

Die rhythmische Bewegtheit der Sätze sorgt für den Eindruck frischen Fließens, wenngleich die Kategorie der Tempi eigentlich nicht nach äußeren Kriterien wahrnehmbar bedient wird. Die vier Herren intonieren makellos, bewegen sich mit allergrößter Selbstverständlichkeit durch dieses anspruchsvolle Klangreich, das in reduzierten Besetzungen immer fordernder wird. Die reich strukturierten Linien Machauts mit ihren wie zufällig gesetzt wirkenden rhythmische Spezialitäten werden in größtmöglicher Natürlichkeit entfaltet. Technisch realisiert ist das in einem klaren, freien und umfassend gelösten Klangbild, das ganz den vier Stimmen ergeben ist, nobilitiert durch einen feinen Raumanteil, der die Szenerie gleichwohl nie verunklart.

Verlässlich bringt das Orlando Consort ferne Musik ans Ohr der Gegenwart und lässt sie ebenso regelmäßig auf erstaunliche Weise bei aller Komplexität frisch, relevant und dringlich klingen. Die Erkundungen bei Machaut sind wie die bei Guillaume Dufay oder in früher englischer Polyphonie daher alles andere als Rundgänge durch verstaubt-museale Welten.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    The fount of Grace: The Orlando Consort

Label:
Anzahl Medien:
Hyperion
1
Medium:
EAN:

CD
034571284170


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Machaut, Guillaume de


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Hyperion

Founded in 1980, Hyperion is an independent British classical label devoted to presenting high-quality recordings of music of all styles and from all periods from the twelfth century to the twenty-first. We have been described as 'Britain’s brightest record label'. In January 1996 we were presented with the Best Label Award by MIDEM's Cannes Classiques Awards. The jury was made up of the editors of most of the leading classical CD magazines in the world - Classic CD (England), Soundscapes (Australia), Répertoire (France), FonoForum (Germany), Luister (Holland), Musica (Italy), Scherzo (Spain), and In Tune (USA & Japan).

We named our label after an altogether splendid figure from Greek mythology. Hyperion was one of the Titans, and the father of the sun and the moon - and also of the Muses, so we feel we are fulfilling his modern role by giving the art of music to the world.

The repertoire available on Hyperion, and its subsidiary label Helios (Helios, the sun, was the son of Hyperion), ranges over the entire spectrum of music - sacred and secular, choral and solo vocal, orchestral, chamber and instrumental - and much of it is unique to Hyperion. The catalogue currently comprises nearly 1400 CDs and approximately 80 new titles are issued each year. We have won many awards.

Our records are easily available throughout the world in those countries served by our distributors. A list of the world's top Hyperion dealers, listed by country and city, can be found on our homepage. But if you have any difficulty please get in touch with the distributor in your territory. In Germany that is Note 1 Music Gmbh.


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