
Musik aus dem alten Stralsund - Europäisches Hanse-Ensemble, Manfred Cordes
Klang der Hanse
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Ein schöner Auftakt zu einer hoffentlich weiter ausgreifenden Reihe: Manfred Cordes und das aus erfahrenen und jüngeren Kräften gebildete Europäische Hanse-Ensemble erkunden Nebenwege des Repertoires.
Manfred Cordes hat, vor allem mit seinem Ensemble Weser-Renaissance Bremen, hochkarätige Beiträge zu vielen musikalischen Aspekten aus Renaissance und Barock geliefert, in sehr verschiedenen Konstellationen und regionalen Überlieferungen. Er hat dabei – neben großartigen Beiträgen zum Kernrepertoire – einerseits manch vergessener Komponistenstimme neue Geltung verschafft und andererseits neben gestandenen Akteuren immer wieder junge Künstlerinnen und Künstler in einer frühen Phase ihrer Karriere einbezogen.
Beide Aspekte spielen auch bei seinem aktuellen Projekt eine Rolle: Beim Label cpo ist die erste Folge einer Reihe unter dem Titel ‚Musik der Hansestädte‘ erschienen, hier mit Repräsentanten der Hansestadt Stralsund im Programm – womit die kulturelle Klammer in vielen Facetten betont werden soll, die die Welt der Hanse verbindet, mit diesem Auftakt durchaus abseits der sattsam bekannten Orte siedelnd. Und das von Cordes angeleitete Europäische Hanse-Ensemble bietet Nachwuchsförderung auf höchstem Niveau, bereitet neben der genuin musikalischen Arbeit im Austausch zwischen allen Beteiligten auf das Leben in freier Künstlerschaft vor, vermittelt Kontakte, natürlich auch Repertoire- und Stilkunde – ein echter Schatz, eine famose Plattform wird damit geboten. Viele musikalische Kraftzentren – etwa in Großbritannien die Organisationen rund um potente Vokal- und Instrumentalensembles – bieten ähnliche Ansätze. Vielleicht gibt es in Deutschland gerade im Bereich der Alten Musik diesbezüglich noch etwas Nachholbedarf: Manfred Cordes tut mit seinen Möglichkeiten und seiner Erfahrung jedenfalls Verdienstvolles.
Drei Stimmen
Es kommen in dem gut siebzigminütigen Programm drei Komponisten mit ihren Arbeiten zu Gehör: Der bekannteste dürfte Johann Vierdanck (1605-1646) sein, ein aus Sachsen stammender Musiker, der über Güstrow, Kopenhagen und Lübeck nach Stralsund gelangte und dort Organist an St. Marien wurde. Seine Geistlichen Konzerte, von denen hier sechs musiziert werden, befinden sich in Faktur und Stil auf der Höhe ihrer Zeit, sind sicher in der Explikation der Texte, bieten verschiedenen vokal-instrumentalen Konstellationen Raum. Die gleichfalls in verschiedenen Sammlungen veröffentlichten Sonaten und anderen instrumentalen Sätze Vierdancks, von denen einige das Programm gliedern, sind ebenfalls überzeugend gesetzt, bieten dem Ensemble ansprechende Entfaltungsräume, mit schönen harmonischen Fortschreitungen und manch prägnanter Sequenz – Klangfreude kommt bei Vierdanck vor struktureller Last. Und mit ihm lernen wir den Komponisten mit der größten Substanz unter den drei vertretenen kennen.
Caspar Movius (1610-1671), Lateinlehrer mit kirchenmusikalischen Verpflichtungen, erweist sich als etwas schlichter im musikalischen Satz, aber durchaus nicht reizlos, etwa mit schönen Wirkungen im Wechsel von Hoch- und Tiefchor. Textausdeutung vollzieht sich bei ihm in einem etwas schmaleren Korridor der Möglichkeiten, nicht jede Formulierung scheint organisch in Musik ‚übersetzt‘. Dennoch interessiert die Musik, zeigt sie eine sichere Disposition der klanglichen Möglichkeiten.
Mit Eucharius Hoffmann (ca. 1540-1588) schließlich kommt eine deutlich ältere Stimme zu Gehör – auch er war Lehrer an einer Lateinschule, auch er hat Musik für den gottesdienstlichen Gebrauch oder repräsentative Anlässe komponiert, linear empfunden, mit einem Geflecht funktional gleichberechtigter Stimmen, in fließendem Satz, der verschiedene vokale und instrumentale Anteile ermöglicht und die Musik erfreulich lebendig macht.
Zur Ausführung
Vokal wird das Programm von sechs Sängerinnen und Sängern bestritten: Neben den arrivierten Kräften Magdalena Podkoscielna (Sopran), Jan Van Elsacker und Christian Volkmann (Tenor) sowie Martin Schicketanz (Bass) sind es Baiba Urka als weitere Sopranistin und Helena Poczykowska als Altistin, die mitwirken. Diese Gruppe erweist sich als erfreulich homogene und niveauvolle Mischung, mit sicherer Balance zwischen wenigen solistischen Gesten und vielfältig durchbrochenen Ensemblepassagen. Stimmführung und Diktion sind klar, eine schlanke Präsenz ist in allen Registern zu verzeichnen. Wenige Momente unidiomatischer Aussprache sind zu verzeichnen – in zugegeben nicht immer leicht fließenden Texten.
Das Instrumentalensemble aus Violinen, Zinken, Gamben, Posaunen, Chitarrone und Orgel bietet ein komplett gemischtes Bild aus erfahrenen – mit Blick auf den Geiger Enrico Gatti kann man sogar sagen: prominenten – und Nachwuchskräften. Das Ensemble formt in den Sonaten und dem erklingenden Capriccio eine harmonische Konstellation, oft im Wechsel von verschieden registrierten Chören, mit feinen Echowirkungen. Der Basso continuo grundiert klar, der Chitarrone mit sehr präsenten perkussiven Qualitäten spielt eine herausgehobene Rolle.
Manfred Cordes sichert dem Geschehen einen freien Fluss und weiß mit all seiner Erfahrung, wie die Musik in dieser Hinsicht zur Entfaltung zu bringen ist. Die Intonation ist niveauvoll, in lebendigem Austausch zwischen vokaler und instrumentaler Ebene, mit einer oft schönen Akkordik in den Schlusswirkungen. Artikuliert wird kleinteilig, gelegentlich in druckvoll rhythmisierter Weise, jedenfalls farbig und nuancenreich. Das Klangbild der Aufnahme erweist sich als sehr gut organisiert – die Stiftskirche Bassum ist ein seit langer Zeit von Cordes und seinen Ensembles bevorzugter und folglich im Zusammenspiel mit dem Aufnahmeteam auch technisch meisterlich beherrschter Aufnahmeort – so auch hier, mit gelingender Balance und gleichmäßiger Präsenz aller klingenden Anteile.
Ein schöner Auftakt zu einer hoffentlich weiter ausgreifenden Reihe: Manfred Cordes und das aus erfahrenen und jüngeren Kräften gebildete Europäische Hanse-Ensemble erkunden Nebenwege des Repertoires – für alle Beteiligten, einschließlich des Publikums, ein vermutlich bereicherndes Bildungserlebnis. Und ein musikalisches Vergnügen dazu.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Musik aus dem alten Stralsund: Europäisches Hanse-Ensemble, Manfred Cordes |
|||
Label: Anzahl Medien: |
cpo 1 |
Medium:
EAN: |
CD
761203557820 |
![]() Cover vergössern |
cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei... |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag cpo:
-
Blutarm: Ein großes Bühnenwerk Carl Heinrich Grauns leider nur in 'musikalischer Gesamteinspielung'. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Schwedische Wunderlampe: Kurt Atterbergs Oper 'Aladin' verzaubert im spätromantischen Stil. Weiter...
(Karin Coper, )
-
Musikalische Andacht: Buxtehudes Membra Jesu Nostri: Opella Nova und Gregor Meyer bieten eine delikate Deutung dieses qualitätvollen Klassikers des barocken Repertoires. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
Weitere CD-Besprechungen von Dr. Matthias Lange:
-
Gediegen: Philippe Herreweghes gelegentliche Erkundungen im Reich der Bach-Kantate gefallen. Sie sind auf eine – im Sinne der Erkenntnisse historisch informierter Praxis – klassische Weise gediegen. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
-
Später Kontrapunkt: Die Werner-Reihe schreitet voran – mit hoher Qualität in Komposition wie Interpretation. Es gelingt Lajos Rovatkay und seinen Ensembles mühelos, für diese wenig bekannte Musik zu interessieren, ja, zu begeistern. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
-
Meister im kleinen Format: Masaaki Suzuki setzt seine systematischen Bach-Erkundungen im Reich des Chorals fort, mit einem ersten Teil des Orgel-Büchleins. Es ist eine mustergültige Präsentation auf einem der Musik ebenbürtigen Instrument. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Russische Seele?: Elena Kuschnerova legt eine programmatisch fragwürdige, aber interpretatorisch überzeugende Aufnahme mit Klavierwerken von Alexander Lokshin und Sergej Prokofiev vor. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Gediegen: Philippe Herreweghes gelegentliche Erkundungen im Reich der Bach-Kantate gefallen. Sie sind auf eine – im Sinne der Erkenntnisse historisch informierter Praxis – klassische Weise gediegen. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
-
Ausladend paraphrasiert: Vier Pianisten in perfekter Harmonie. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Portrait

"Schumann ist so tiefgreifend, dass er den Herzensgrund erreicht."
Die Pianistin Jimin-Oh Havenith im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- Opernreisen und Musikreisen bei klassikreisen.de
- Konzertpublikum
- Musikunterricht
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich