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Montag, 4. Dezember 2023

Richard Wagner: Parsifal - Bayreuther Festspiele 1955, Hans Knappertsbusch

Historisches Klangdokument


Label/Verlag: Profil - Edition Günter Hänssler
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Interessante Lücke der Diskografie der Bayreuther Festspiele endlich geschlossen.

Dass es so etwas noch geben kann – einen bis heute unveröffentlicht gebliebenen Mitschnitt von den Bayreuther Festspielen. Selbst die wichtigsten Fundgruben des sogenannten grauen Markts und die entlegensten Speziallabels für historische Aufnahmen hatten offenbar kaum je Zugriff auf den nun erstmals offiziell veröffentlichten ‚Parsifal‘-Mitschnitt des Jahres 1955 aus Bayreuth (offenbar nicht überspielt von Originalbändern, sondern von Materialien aus Privatbesitz). Noch ein ‚Parsifal‘ unter Hans Knappertsbusch also, der das Bühnenweihspiel seit der Wiedereröffnung 1951 bis 1964 hier leitete (nur 1953 setzte er aus, weil Wieland Wagner die Taube in der Schlussszene gestrichen hatte; im Folgejahr war nicht nur die Taube wieder da, sondern auch Knappertsbusch).

Die Besetzung ist nicht unähnlich jener der umgebenden Jahre, doch abermals mit Abweichungen vom bereits Bekannten. Wir haben Ramón Vinay, auch 1953 schon der Parsifal. Sein kraftvoll-wilder baritonaler Tenor ist dem ersten Akt vollkommen adäquat, verleiht trotz aller singdarstellerischer Präsenz dem zweiten und dritten Akt hingegen eine Schwere, die dem Part nicht recht adäquat ist.

Wir haben die Kundry Martha Mödls – das absolute Gegenteil zu Vinay, eine Künstlerin mit voller Rollenidentifikation, mit höchster Textverständlichkeit auch im Flüstern, dafür vokal nicht immer exakt in der Intonation und in der Höhe nicht voll bei Stimme – aber was für einen singschauspielerische Imagination – in dieser Hinsicht nimmt sie fraglos eine ganz besondere Position in dieser Aufführung ein. Wenn sie nur ein ‚Oh‘ singen muss, weiß sie dies in unterschiedlichster Weise zu färben und bietet so ein immenses Spektrum an Farbvaleurs, und allein ihr ‚Parsifal! Weile!‘ ist ein Mirakel der Vokal- und Bühnenkunst.

Absolut textverständlich

Als Gurnemanz hören wir Ludwig Weber, ein weiteres ‚Urgestein‘ von Neu-Bayreuth. Ein paar interessante Manieriertheiten hat er in seiner Wiedergabe, ist aber jeden Moment absolut textverständlich und von beeindruckender Darstellungskraft und Bühnenpräsenz, und weit mehr ‚in der Rolle‘ als etwa Gottlob Frick, bei dem mitunter gleichgültig ist, ober er Hagen, Daland oder Landgraf Hermann darbietet.

Der spannendste Neuzugang unter den Hauptrollen war ein junger Bariton im Part des Amfortas, der erst 1972 mit dieser Rolle ins Plattenstudio gehen sollte: Dietrich Fischer-Dieskau sang den Amfortas in Bayreuth auch 1956, wechselte dann aber in andere Bühnenwerke Wagners, blieb Bayreuth vor allem als Wolfram und Telramund erhalten. Sein Amfortas bietet beeindruckende, fast belkanteske Linienführung, voll feiner Farbvaleurs und rhetorischer Ausstellungskraft. Sein etwas überemphatischer Interpretationsansatz, den wir auch aus der Studioeinspielung kennen, ist hier schon voll vorgebildet.

Josef Greindl, in jener Zeit in Bayreuth häufig im Einsatz, war für den Part des Titurel vorgesehen, fiel aber aus und wurde durch Hermann Uhde, der vordem den Klingsor gesungen hatte und in jener Saison als Gunther und Holländer verpflichtet war, ersetzt. Dieser kann in wenigen Takten jene Noblesse vermitteln, die Fischer-Dieskaus Interpretationsansatz weitgehend abgeht.

Gustav Neidlinger übernahm 1955 erstmals von Uhde den Klingsor – er blieb dem ‚Parsifal‘-Ensemble (mit Unterbrechungen) bis 1964 in dieser Partie verbunden. Fast zu nobel scheint seine Wiedergabe, doch in seinen Taten erweist er sich bald als jener hinterhältige Magier, grenzt seine Wiedergabe aber auch klar von seinem berühmten Alberich ab.

Wie üblich zuverlässig

Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele sind von der üblichen Zuverlässigkeit – was aber auch heißt, dass Wilhelm Pitz‘ Choreinstudierung auch hier ein etwas grobes Ergebnis zeitigt. Die Solisten der kleinen und kleinsten Rollen sind wie üblich teilweise höchst prominent besetzt, mit Josef Traxel, Elisabeth Schärtel, Gerhard Stolze, Ilse Hollweg, Dorothea Siebert und Jutta Vulpius.

Das Remastering der der Veröffentlichung zugrunde liegenden Bänder ist an manchen Stellen etwas matt, die Bänder habe offenbar zahlreiche Nebengeräusche, durch die  Rauschunterdrückung fehlen zahlreiche Frequenzen – doch die Klarheit der Wiedergabe insgesamt lenkt nicht von der beeindruckenden Aufführung ab. Ein anderer Tonmeister hätte sicher ein noch beeindruckenderes Klangergebnis erzielen können. Der Booklettext ist sehr informativ und rundet die Produktion erfreulich ab.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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    Richard Wagner: Parsifal: Bayreuther Festspiele 1955, Hans Knappertsbusch

Label:
Anzahl Medien:
Profil - Edition Günter Hänssler
4
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EAN:

CD
881488230024


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Wagner, Richard


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Profil - Edition Günter Hänssler

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EDITION GÜNTER HÄNSSLER - EIN LABEL MIT "PROFIL"
Bei der Gründung seiner "EDITION GÜNTER HÄNSSLER" und dem neuen Label "PROFIL" betrat Produzent Günter Hänssler, der ehemalige Chef des erfolgreichen Labels Hänssler Classics, mit einer ganz klaren Philosophie und Zielsetzung den Klassik-Markt:
"Nur ein Label mit einem klaren PROFIL, mit einem eindeutigen Wiedererkennungseffekt hat heute noch eine Chance auf dem heiß umkämpften CD-Markt - um die Liebhaber klassischer Musik heute mit einem Produkt zu überzeugen braucht man Originalität, Innovation und optimierte Vertriebswege."
Der Name PROFIL ist Programm. Günter Hänssler denkt in Serien. Nur groß angelegte Projekte haben heute noch eine Chance, sich nachhaltig auf dem Markt wiederzufinden. So entstanden international hoch gepriesene und mehrfach mit internationalen Preisen ausgezeichnete Editionen wie die EDITION STAATSKAPELLE DRESDEN oder die GÜNTER WAND EDITION.
Die Repertoire-Politik ist charakteristisch. Eine Auswahl erster internationaler Künstler finden sich im Programm von PROFIL ebenso wieder wie erfolgreiche Newcomer der Klassikszene, darunter das mehrfach preisgekrönte Klenke-Quartett, das in der Interpretation von Kammermusik in den letzten Jahren neue Maßstäbe setzen konnte.
Ergänzt wird das Repertoire durch ausgewählte, digital aufwendig restaurierte historische Aufnahmen, Interpretationen von legendärem Ruf in neuer, bisher nicht gekannter digitaler Klangqualität. Auf diese Weise schlägt PROFIL die Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart und versteht sich so auch als Bewahrer musikalischer Traditionen.
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