
Il Ponte di Leonardo - Marco Beasley, Constantinople, Kiya Tabassian
Brückenbauer
Label/Verlag: Glossa
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Kiya Tabassian, Marco Beasley und das Ensemble Constantinople bescheren dem Publikum eine interessante und abwechslungsreiche Stunde Musik – reflektiert, in tausend Farben schillernd, klangsinnlich und mit Leidenschaft.
Ausgangspunkt für eine ungewöhnliche, jetzt beim Label Glossa unter dem Titel ‚Il Ponte di Leonardo‘ erschienene Platte ist ein ebenso bemerkenswertes Schreiben des Künstlers, Wissenschaftlers, Ingenieurs Leonardo da Vinci: Der schrieb im Juli 1502 an Sultan Bayezid II. nach Istanbul und bot an, zwei Brücken zu bauen – eine von Galata nach Stambul, eine weitere, noch ehrgeiziger geplante zur Querung des Bosporus. Eine Verbindung der Kontinente sollte entstehen, vielfältigster Austausch möglich werden.
Aus Leonardos Plänen wurde nichts, noch lange Jahrhunderte dauerte es, bis Brücken errichtet wurden. Doch die Idee des Brückenbaus ist über die Jahrhunderte auch im übertragenen Sinne vielfältig fruchtbar geblieben und bietet Anknüpfungspunkte für kreative Köpfe bis in unsere Zeit. Der Sänger und Instrumentalist Kiya Tabassian hat sich und sein Ensemble Constantinople von dieser Idee beseelen lassen, in schöpferischer Partnerschaft mit dem neapolitanischen Sänger, Dichter und Performancekünstler Marco Beasley verbunden. Wie viele andere haben sie sich von der kulturellen, vor allem musikalischen Überlieferung des Mittelmeerraums inspirieren lassen. Beispielhaft seien die fulminanten Bemühungen des Katalanen Jordi Savall genannt, der mit seinen Ensembles in gewaltigen künstlerisch-intellektuellen Projekten die Transitionen von den Balearen bis zum Balkan, von Okzitanien bis zu den Osmanen suchte, durchmaß und klingend fruchtbar machte. Hier, bei Tabassian und Beasley, folgt man einer ähnlichen Idee, symbolisch zusammengehalten von Leonardos versuchtem Brückenschlag: Handschriften und Drucke aus Venedig, Genua oder Sevilla stehen osmanischen Instrumentalstücken oder Sätzen auf persische Gedichte von Hafez oder Rumi gegenüber – Musik und Poesie verschiedenster Hände, zusammengeführt im kulturellen Beziehungsraum des Mittelmeers. Hinzu treten – als kreative Ergänzung der Gegenwart – stilistische Paraphrasen von Kiya Tabassian selbst. All das knüpft – repertoirekundig, aber undogmatisch – auf entspannte Weise an Leonardos Welt an, verlebendigt den weit ausgreifenden kulturellen Erfahrungsraum jener Epoche.
Vielfarbiger Klang
Das Ensemble Constantinople ist, inspiriert von der Stadt am Bosporus, im kanadischen Montréal beheimatet, arbeitet von dort aus mit Künstlerinnen und Künstlern aller Kulturkreise zusammen, immer auf der Suche nach den beschriebenen Transitionen und kreativen Zusammenhängen. Es ist in siebenköpfiger Form mit verschiedenen Blas-, Streich- und Zupfinstrumenten zwar nicht groß, aber ungemein farbenreich besetzt: Neben Violine oder Viola d’amore sind in wechselnden Konstellationen Erzlaute, Barockgitarre, Laute auch die griffbrettlose Kastenzither Kanun, die Nay, ein Flöteninstrument, oder die Setar, eine Langhalslaute zu hören, dazu griffiges Schlagwerk. Permanent sind reiche Impulse der gezupften und geschlagenen Instrumente präsent; virtuoser Rhythmik wird freier Raum geöffnet. Die Blasinstrumente bieten eine reich gegliederte Linearität. Auch rein instrumental entfaltet das Ensemble eine schlüssige Autorität.
Der Tenor Marco Beasley präsentiert seine Kompetenzen im recitar cantando noch immer unerreicht, in der Entfaltung von Temperament und musikantischer Überzeugungskraft gleichermaßen, getragen von leichter Tongebung, aktiv perlender Diktion und der schieren Lust an der Expression. Auch lyrisch leuchten Momente schöner Konzentration; doch meint man der Stimme des in der Mitte seines siebten Lebensjahrzehnts stehenden Sängers in der Mittellage gelegentlich eine gewisse Trockenheit anzuhören. Kiya Tabassian setzt die ungezwungene Stilistik Beasleys in den von ihm vokal bestrittenen Sätzen bemerkenswert nahtlos fort, elegant in der Tongebung, mit melismatischer Fantasie und expressiver Verve.
Die Tempi sind insgesamt bewegt, rasante Steigerungen ergeben sich aus allfälliger Diminution. Mit Blick auf die Intonation sorgen das farbige Instrumentarium, die Substanz der erklingenden Musik selbst, die mannigfaltigen Spiel- und Gesangstechniken für ein attraktiv schillerndes, hochlebendiges Vergnügen: In diesem Sinne rein – ja, das ist sie, aber mit besonderen Schwebungen und Schwingungen entfaltet die Intonation einen besonderen Charme. Das Klangbild der in Montréal entstandenen Studioaufnahme ist konzentriert und klar, dabei eine edle Gemeinsamkeit der instrumentalen und vokalen Ebene evozierend. Für das schön gestaltete Booklet nehmen neben interessanten Abbildungen und gelungener Fotografik die viersprachig gebotenen Texte ein; die inhaltliche Einordnung des eigentlich ja nicht nur musikalisch, sondern ebenso intellektuell ambitionierten Programms bleibt dagegen überraschend matt und kursorisch.
Ideell weist natürlich das historische Beispiel Leonardo da Vincis den Weg, klingend sind es Kiya Tabassian, Marco Beasley und das Ensemble Constantinople, die das Geschehen attraktiv gestalten. Sie bescheren dem Publikum eine interessante und abwechslungsreiche Stunde Musik – reflektiert, in tausend Farben schillernd, klangsinnlich und mit Leidenschaft.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Il Ponte di Leonardo: Marco Beasley, Constantinople, Kiya Tabassian |
|||
Label: Anzahl Medien: |
Glossa 1 |
Medium:
EAN: |
CD
8424562245037 |
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Glossa Spaniens renommiertestes Klassiklabel wurde 1992 von Carlos Céster und den Brüdern José Miguel und Emilio Moreno gegründet. Sein "Hauptquartier" hat es in San Lorenzo del Escorial in den Bergen nahe Madrid. Zahlreiche herausragende Künstler und Ensembles aus dem Bereich der Alten Musik (z.B. Frans Brüggen und das Orchestra of the 18th Century, La Venexiana, Paolo Pandolfo, Hervé Niquet und sein Concert Spirituel u.v.a.) finden sich im Katalog des Labels. Doch machte GLOSSA von Anfang an auch wegen der innovativen Gestaltung und Produktionsverfahren von sich reden. Zu nennen wären hier die Einführung des Digipacks auf dem Klassikmarkt und dessen konsequente Verwendung, der Einsatz von Multimedia Tracks oder die Platinum-Serie mit ihrem avantgardistischen Design. Innerhalb der vergangenen knapp zwei Jahrzehnte konnte GLOSSA so zu einem der interessantesten Klassiklabels auf dem Markt avancieren. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt auch dem Spiritus rector und Gesicht des Labels, Carlos Céster. Mehr Info... |
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