
Weinberg: String Quartets 4 & 16 - Arcadia Quartet
Grandiose Fortführung
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das Arcadia Quartett begeistert mit einer neuen Aufnahme von Streichquartetten Mieczysław Weinbergs.
Der ungemein produktive polnische Komponist Mieczysław Weinberg (1919–1996) hat neben zahlreichen Bühnenwerken, Filmmusiken, Konzerten, Liedern und Klavierstücken nicht weniger als 22 Symphonien und 17 Streichquartette vorgelegt. In diesen Gattungsbereichen war Weinberg somit quantitativ schöpferischer als sein prominenterer Kollege Schostakowitsch, mit dem ihn zeitlebens eine enge künstlerische Freundschaft verband. 2023 hat das Label Chandos das dritte Volume einer Gesamtaufnahme der Streichquartette mit dem rumänischen Arcadia Quartett vorgelegt. Auf der CD sind die Quartette Nr. 4 (1945) und 16 (1981) enthalten.
Die Werkauswahl zeugt – wie schon in den vorherigen Volumes – von einer durchdachten Zusammenstellung, werden damit doch zwei unterschiedliche Schaffensphasen des Komponisten miteinander kontrastiert und zugleich in Beziehung zueinander gesetzt. Das Label und Quartett haben gut daran getan, keine chronologische Einspielung der Quartette vorzulegen, was im Kontext einer Gesamtherausgabe ja noch erfolgen kann. Denn die große Vielfältigkeit und Wandelbarkeit der kompositorischen Stilistik Weinbergs kommt durch die Gegenüberstellung von Werken aus verschiedenen Kompositionsphasen wesentlich besser heraus – so auch in der vorliegenden Einspielung. Weinbergs kompositorischer Stil zeichnet sich insgesamt durch eine ungeheure Mannigfaltigkeit aus, die im Vergleich etwa zu den Instrumentalwerken Schostakowitschs, mit dem er häufig verglichen wird, weniger Gewicht auf motorische Elemente legen, dafür aber mehr melodische Couleur widerspiegeln. Sind die frühen Streichquartette klangsprachlich noch recht modern angelegt, so tendieren die Werke nach 1950 deutlich zur tonalen Orientierung und formalen Gattungstradition. Die späten Quartette enthalten häufig bekenntnishaft-introvertierte Qualitäten, die auch programmatische Inhalte aufweisen können. Freilich ist das alles recht grob gezeichnet und wird der Wirklichkeit des Quartettreichtums von Weinberg kaum gerecht, doch spiegeln diese Tendenzen gewisse Linien der Entwicklung wider, auf deren Herausstellung es dem Arcadia Quartett offenbar ankam.
Reifephase
Das 4. Quartett von 1945 entstand unmittelbar nach Weinbergs Übersiedlung nach Russland, die aufgrund der Kriegswirrnisse notwendig wurde. Vermutlich wusste der Komponist zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass seine Mutter und Schwester von den Nazis umgebracht worden waren. Das Werk zeugt von einer ersten umfänglicheren Reifephase Weinbergs, die u. a. an einer insgesamt einheitlicheren Vermittlung von disparaten Motiv- und Themensubstanzen zu erkennen ist. Die zyklische Dramaturgie der Sätze, die der viersätzigen Tradition verpflichtet ist, trägt diskursive Züge, die durchaus biographische Rückschlüsse auf ein dahinterliegendes Programm anlässlich des Kriegsendes erlaubt (vgl. „Largo marciale“, 3. Satz).
Mag dies letztlich Spekulation sein, weist das etwa 35 Jahre später vollendete Quartett Nr. 16 eindeutig biographische Bezüge auf, da das Werk der verstorbenen Schwester gewidmet ist. Dadurch entsteht ein indirekter Zusammenhang mit dem 4. Quartett, der noch dadurch verstärkt wird, als das Werk eine Vielzahl von Rückgriffen auf jüdisch geprägte Volksmusik aufzuweisen scheint. Dadurch wird die fremdreflexive Dimension des Quartetts deutlich größer, was sich stilistisch in einer harmonisch wie rhythmisch zunehmend komplexeren Faktur niederschlägt.
Auf die großen Qualitäten des Arcadia Quartetts wurde bereits hingewiesen, deren interpretatorische Universalität eine kongeniale Vermittlung jener kompositorischen Vielfalt Weinbergs bietet. So entsteht eine wunderbare synergetische Beziehung zwischen dem Komponisten und den Interpreten, deren Erfahrung jedem Quartettliebhaber wärmstens empfohlen sei.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Weinberg: String Quartets 4 & 16: Arcadia Quartet |
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Label: Anzahl Medien: |
Chandos 1 |
Medium:
EAN: |
CD
095115218020 |
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Weinberg, Mieczyslaw |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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