> > > J.H.Rolle: Lukas-Passion: Kölner Akademie, Michael Alexander Willens
Samstag, 30. September 2023

J.H.Rolle: Lukas-Passion - Kölner Akademie, Michael Alexander Willens

Eleganter Passions-Ton


Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Johann Heinrich Rolles in dessen Lukas-Passion vorgestelltes Idiom entfaltet sich bei Michael Alexander Willens pointiert, in einem ästhetisch zum Zeitpunkt der Entstehung nach vorn gewandten Zug.

Nachdem die beim Label cpo veröffentlichte Matthäus-Passion von Johann Heinrich Rolle (1716-1785) unter den Händen des Leiters der Kölner Akademie, Michael Alexander Willens, bereits famos geriet und entsprechendes Lob erfuhr, steht jetzt die Lukas-Passion des Komponisten in Rede, wiederum mit den bewährten Kräften realisiert. Mit ihrem Entstehungsjahr 1744 ist sie ein Werk des noch nicht 30jährigen, aus musikalischer Familie stammend, der sich in Leipzig ab Ende der 1730er Jahre juristisch ausbilden ließ und daneben reiche musikalische Impulse empfing, später als Justiziar in Berlin tätig wurde, rasch, nämlich schon 1741, als Kammermusiker auf Violine und Bratsche in der Hofkapelle Friedrichs II. zu finden war und dort mit Carl Philipp Emanuel Bach und Carl Heinrich Graun in engem Austausch stand. Ab 1746 finden wir Rolle als Organisten in Magdeburg; 1752 avancierte er dort zum Musikdirektor und reifte zur prägenden Persönlichkeit für das musikalische Leben der Stadt. Sein Versuch, sich 1767 nach Telemanns Tod in Richtung Hamburg zu verändern, scheiterte knapp: Mit einer Stimme weniger unterlag Rolle in der entscheidenden Abstimmung seinem alten Kollegen Bach.

Die Lukas-Passion wurde erstmals zu Palmsonntag 1744 in der Magdeburger Heiligen-Geist-Kirche aufgeführt, dann in rascher Folge in den anderen Pfarrkirchen wiederholt und auch etliche Jahre später, in der Zeit der umfassenden Wirksamkeit Rolles in Magdeburg, wieder hervorgeholt. Es ist ein vom ersten Takt des Eingangschors ‚Bespiegelt euch in Jesu leiden‘ an hell und überraschend freundlich timbriertes Werk voller klanglicher Eleganz und Leichtigkeit. Der Dichter der freien, das Evangelium ergänzenden Texte ist nicht namentlich bekannt, liefert aber Beiträge, die angesichts ihrer Bildkraft und für das heutige Ohr gelegentlich fremd wirkender Expressivität als zeittypisch gelten können. Rolle schuf Rezitative von fasslicher Faktur, dennoch nicht ohne harmonische Raffinesse und dramatische Qualitäten – als Beispiel sei die ausführlich gesetzte Petrus-Szene hingewiesen, die beachtliche Wirkung entfaltet. Es sind in der gesamten, etwa 90 Minuten dauernden Passion sechs Arien verteilt, je zwei für Sopran und Alt, je eine für Bass und Tenor: Auch in ihnen manifestiert sich ein überwiegend eleganter Ton; dazu gesellen sich als Zwischenebene in kleine Szenen gebundene Ariosi, die dieser ästhetischen Leitlinie gleichfalls folgen.

Bewährte solistische Kräfte auf hohem Niveau

Der Evangelist treibt das Geschehen erzählend voran. Und der Tenor Markus Schäfer tut das im schönen, gesammelten Erzählton einer gereiften Stimme, in mancher Wendung von fast altgoldener Noblesse getragen. Er disponiert seine stimmlichen Mittel überzeugend, singt in natürlicher Diktion; gelegentlich, im dramatischen Überschwang, stellt sich ein leichtes Gellen der Stimme ein. Der Jesus des Bass-Baritons Thilo Dahlmann verfügt über stimmliche Autorität, die er in den rezitativischen Dialogen mühelos behauptet, dabei die hin und wieder gegebenen dramatischen Möglichkeiten seiner Partie geschmackvoll, doch entschieden zu nutzen. Der Bariton Matthias Vieweg erzählt seine Pilatus-Partie charaktervoll, glaubwürdig in all den Versuchen seiner Figur, sich des ‚Problems Jesus‘ zu entledigen. In der ausgreifenden Arie ‚Nimm, sich’rer Mensch‘ erweist er sich als erstaunlich geschmeidig in der Entfaltung seiner Partie, dazu klar in der Diktion. Der englische Tenor Hugo Hymas nimmt als eindrücklicher Petrus für sich ein, versieht die angesprochene Szene mit dramatischer Wirkung und Glaubwürdigkeit, überzeugend in der Natürlichkeit der Sprache. Arios ergeht er sich nicht im – zweifellos in reichem Maß vorhandenen – Wohlklang seines noblen Tenors, sondern gibt den Linien Ziel und Stimmigkeit. Elvira Bills edler Mezzosopran wartet mit feinem Volumen und edler Gesamtanmutung auf, in ihren beiden Arien ein arioses Schwergewicht der Einspielung bildend. Gekrönt wird das Geschehen schließlich durch den leuchtenden, schlanken Strahl der instrumental geführten Stimme von Siri Karoline Thornhill.

Chor und Orchester in Kammerbesetzung

Gemeinsam mit wenigen Ripienisten bildet der Großteil der Solostimmen den gerade neunköpfigen Chor, oft in satztechnisch gelockertem Wechsel von chorischen und solistischen Beiträgen. Das kleine Ensemble findet zu luzider Klanggestalt bei hoher Kultur der Tongebung, in fein moduliertem und abschattiertem Satz. Leicht dahinwehende Choräle verschaffen auch dieser klassischen Passions-Sphäre eigenwillig Recht. Die Kölner Akademie spielt in Kammerbesetzung, in schlanken Streichregistern von je drei Violinen, zwei Violen und ansonsten solistisch formiert, die von silbriger Präsenz sind und das Erscheinungsbild der Passion prägen, agil und federnd in der Grundhaltung. In dieses klingende Kontinuum hinein sind die Beiträge je zweier Fagotte, Flöten, Oboen und Hörner gewoben, als dezidiert und doch stets mit Dezenz dazugesetzte Farbwerte.

Michael Alexander Willens lässt das Geschehen souverän fließen, setzt kultivierte Akzente, in der Folge rezitativischer Abschnitte sind auch Momente dramatischer Steigerung zu verzeichnen. Dynamisch bleiben grobe Gesten der gesamten Deutung fremd; die Turbae setzen mit gezielter dramatischer Entfaltung auf den Punkt kontrastierende Gegenbeispiele. Intonatorisch ist nichts zu beanstanden; der Instrumentalklang erweist sich als in dieser Hinsicht besonders ausgewogen und ist von schöner Leuchtkraft. Die klangliche Realisierung der im Kammermusiksaal des Deutschlandfunks entstandenen Aufnahme gerät sauber und klar, überzeugt im Abbild der Struktur wie in der Balance. Vielleicht ist diese geradezu geheimnislose Plastizität bei all ihrer Perfektion auch die einzige kleine Schwäche dieses Aspekts – entbehrt das Ganze doch eines gewissen räumlichen Charmes.

Rolles in dessen Lukas-Passion vorgestelltes Idiom entfaltet sich bei Michael Alexander Willens pointiert, in einem ästhetisch zum Zeitpunkt der Entstehung nach vorn gewandten Zug: Ein interessantes Werk, elegant und leicht in seiner klanglichen Disposition. Die vokalen und instrumentalen Kräfte der Kölner Akademie mit einer frischen, leuchtenden, dem Werk ganz entsprechenden Interpretation.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    J.H.Rolle: Lukas-Passion: Kölner Akademie, Michael Alexander Willens

Label:
Anzahl Medien:
cpo
1
Medium:
EAN:

CD
761203552528


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Rolle, Johann Heinrich


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cpo

Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
Besonders stolz macht uns dabei, daß cpo - 1986 gegründet - in Rekordzeit in die Spitze vorgestoßen ist. Das Geheimnis dieses Erfolges ist einfach erklärt, wenn auch schwierig umzusetzen: cpo sucht niemals den Kampf mit den Branchenriesen, sondern füllt mit Geschick die Nischen, die von den Großen nicht besetzt werden, weil sie dort keine Geschäfte wittern. Und aus mancher Nische wurde nach einhelliger Ansicht der Fachwelt mittlerweile ein wahres Schmuckkästchen.
Am Anfang einer Repertoire-Entscheidung steht bei uns noch ganz altmodisch das Partituren-lesen, denn nicht alles, was noch unentdeckt ist, muß auch auf die Silberscheibe gebannt werden. Andererseits gibt es - von der Renaissance bis zur Moderne - noch sehr viele wahre musikalische Schätze zu heben, die oft näher liegen, als man meint. Unsere großen Werk-Editionen von Pfitzner, Korngold, Hindemith oder Pettersson sind nicht umsonst gerühmt worden. In diesem Sinne werden wir fortfahren.
Letztendlich ist unser künstlerisches Credo ganz einfach: Wir machen die CDs, die wir schon immer selbst haben wollten. Seien Sie herzlich zu dieser abenteuerlichen Entdeckungsfahrt eingeladen!


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