> > > Graupner: Christ lag in Todesbanden: Kirchheimer BachConsort, Florian Heyerick
Freitag, 22. September 2023

Graupner: Christ lag in Todesbanden - Kirchheimer BachConsort, Florian Heyerick

Perlen


Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Die Beiträge dieser losen Reihe zur Graupner-Diskografie können nicht hoch genug eingeschätzt werden: Dominik Wörner hat mit seinem Kirchheimer BachConsort nicht nur singend großen Anteil an diesem willkommenen Impuls.

Der Darmstädter Hofkapellmeister Christoph Graupner ist mit seinem Werk zwar nicht völlig unbekannt, gerade mit Blick auf die etwa 1.400 Kantaten aber doch noch immer schmählich schwach ausgeleuchtet. In den vergangenen Jahren hat sich das Kirchheimer BachConsort mit Dominik Wörner beim Label cpo aufgemacht, einzelne der delikaten Schätze dem Vergessen zu entreißen. Bislang vier Platten zählte die kleine Reihe, teils thematisch, teils nach Besetzungsschwerpunkten geordnet und von verschiedener Hand geleitet: Die Geigerin Sirkka-Liisa Kaakinen-Pilch machte den Auftakt, es folgten der Bach-Experte Rudolf Lutz, der belgische Ensembleleiter und Musikologe Florian Heyerick und zuletzt mit Dialog-Kantaten für Sopran und Bass der Oboist Alfredo Bernardini.

Auf der aktuellen Platte liegt die Leitung wiederum in Händen von Florian Heyerick, erneut mit einem programmatischen Volltreffer, der durch Zusammenhänge von Entstehungszeit, Positionierung im Kirchenjahr und wesentlichen Besetzungsmerkmalen deutliche Kontur bekommt. Es sind fünf Kantaten von Gründonnerstag bis zum Sonntag Jubilate, dem dritten Sonntag nach Ostern, entstanden in den Jahren 1720 und 1721, in schlanker vokaler Besetzung mit zwei Sopranen und Bass, ohne Chor, in Standard-Streicherbesetzung, gelegentlich ergänzt um wenige, dafür dann umso wirksamere obligate Beiträge.

Graupner komponiert seine klar gegliederten, knapp dimensionierten Werke frei von allem strukturellen Ballast, ist gleichsam dem Impuls der möglichst subtilen Explikation des Wortes verpflichtet, das heißt: Auf Texte des Darmstädter Kollegen und Schwager Graupners, Johann Conrad Lichtenberg, hin orientiert. Satztechnisch klingt die historische Basis mit, Kontrapunktisches dominiert aber nicht. Graupner eignet sich die Ebene des Chorals auf höchst individuelle Weise an, integriert sie abseits klassischer Erwartbarkeit in seine Werke. Dazu findet er linear immer wieder frappierend überzeugende Lösungen, fernab aller Standards oder gar schematischen Formeln.

Echte Könner

Insofern bieten diese fünf Kantaten – die Titel sind ‚Ein jeglicher sei gesinnet‘, ‚Zerfließ‘, mein Herz, in Blut‘, ‚Nun ist auferstanden‘, ‚Christ lag in Todesbanden‘ und ‚Du schönes Wohnhaus‘ – reichlich attraktives Futter für Stimmen und Instrumente. Letztere sind einfach besetzt und entsprechen schon in dieser Hinsicht der kammermusikalischen Faktur der Werke. Die obligaten Beiträge von Oboen und Traversflöte ergänzen den Satz punktuell und bedachtvoll, in ihrer raren Präsenz besonders aufleuchtend.

Vokal sind neben Dominik Wörner im Bass die beiden Sopranistinnen Hanna Zumsande und Marie Luise Werneburg zu erleben. Hanna Zumsande stellt eine gereifte Stimme von kompletter Ausstrahlung vor, leicht abgedunkelt, mit einem linear potenten Ton, der viel modulationsfähige Substanz bietet. In Verbindung mit einer in den vergangenen Jahren stärker gewordenen Bebung der Stimme stellt sich eine gelegentlich leicht unscharfe Diktion ein. Marie Luise Werneburg verströmt sich in deutlich helleren Farben, dazu mit geradezu quecksilbriger Beweglichkeit in Graupners auch technisch ambitionierten Linien, nimmt neben natürlicher Diktion mit schöner, frei entfalteter Stimmsubstanz für sich ein. Dominik Wörner hat als Spiritus Rector der Unternehmung besondere Verdienste, erweist sich üppigen Lobs aber auch ob seiner sängerischen Präsentation mehr als würdig. Sein mächtiger Bass, in einzelnen Gesten durchaus aufblitzend, ist hier, in Graupners Klang-Delikatesse, mit besonderer Behutsamkeit platziert, poltert nicht, bringt sich so geschmackvoll wie differenziert ein. Wie stets herausragend bei Wörner: Seine plastische und unverstellt wirksame Diktion, die seinem Vortrag zusätzlich Autorität verleiht. Dazu finden sich die Drei mühelos zu chorischer oder choraler Gemeinsamkeit zusammen.

Florian Heyerick entfaltet das Tableau der Tempi ohne Druck, ganz aus der freien, plastischen, detailreichen Ausdeutung der musikalischen Charaktere und der Texte, die ihrerseits Inspiration und Resonanzraum für Graupner wie für seine Interpreten sind. Graupners an den Kantaten-Libretti hörbar geschärfte kompositorisches Vermögen wird wunderbar expliziert; Phrasen sind durchgehend delikat ausformuliert, kein Detail unterfällt pauschaler Behandlung. Besetzungsbedingt und vor dem Hintergrund der ästhetischen Faktur der Werke siedeln die dynamischen Verhältnisse eher auf der Seite der zarten und stillen Gesten; manches Rezitativ setzt Akzente, die von unvermittelt musikdramatischer Qualität sind.

Intoniert wird makellos, vokal behutsam und mit Bedacht geformt, instrumental ebenfalls von Leichtigkeit geprägt – eine Sphäre reinster Qualität. Das Klangbild ist gesammelt und in schöner Balance befindlich, gibt ein klares Abbild der Strukturen, verleiht auch der solistischen Instrumentalbesetzung eine edel gerundete Fülle.

Die Beiträge dieser losen Reihe zur Graupner-Diskografie können nicht hoch genug eingeschätzt werden: Hier sind es fünf zauberhafte Kantaten für zwei Soprane und Bass, subtile kammermusikalische Werke, die Christoph Graupner in seinem kompositorischen Vermögen und seinen individuellen Zügen zeigen. Dominik Wörner hat mit seinem Kirchheimer BachConsort nicht nur singend großen Anteil an diesem willkommenen Impuls. Man kann nur hoffen, dass diese schon jetzt kostbare Kette um weitere Perlen bereichert wird.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:






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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Graupner: Christ lag in Todesbanden: Kirchheimer BachConsort, Florian Heyerick

Label:
Anzahl Medien:
cpo
1
Medium:
EAN:

CD
761203557721


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Graupner, Christoph


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cpo

Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
Besonders stolz macht uns dabei, daß cpo - 1986 gegründet - in Rekordzeit in die Spitze vorgestoßen ist. Das Geheimnis dieses Erfolges ist einfach erklärt, wenn auch schwierig umzusetzen: cpo sucht niemals den Kampf mit den Branchenriesen, sondern füllt mit Geschick die Nischen, die von den Großen nicht besetzt werden, weil sie dort keine Geschäfte wittern. Und aus mancher Nische wurde nach einhelliger Ansicht der Fachwelt mittlerweile ein wahres Schmuckkästchen.
Am Anfang einer Repertoire-Entscheidung steht bei uns noch ganz altmodisch das Partituren-lesen, denn nicht alles, was noch unentdeckt ist, muß auch auf die Silberscheibe gebannt werden. Andererseits gibt es - von der Renaissance bis zur Moderne - noch sehr viele wahre musikalische Schätze zu heben, die oft näher liegen, als man meint. Unsere großen Werk-Editionen von Pfitzner, Korngold, Hindemith oder Pettersson sind nicht umsonst gerühmt worden. In diesem Sinne werden wir fortfahren.
Letztendlich ist unser künstlerisches Credo ganz einfach: Wir machen die CDs, die wir schon immer selbst haben wollten. Seien Sie herzlich zu dieser abenteuerlichen Entdeckungsfahrt eingeladen!


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