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Samstag, 30. September 2023

Leopold I: Requiem - Lectiones - Weser Rennaissance, Manfred Cordes

Kaiserliche Trauer


Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Trauermusiken von Leopold I. – Kompositionen, die weit mehr sind als Liebhaberei mit Ambition: Es sind vielmehr ernsthafte, substanzreiche Arbeiten von satisfaktionsfähigem Format.

Musik- oder allgemeiner kunstliebende Herrscher sind in der Geschichte in großer Zahl überliefert – ob dabei im Einzelfall nun genuines Interesse oder eher Repräsentationswille grundlegende Motivation waren, sei einmal dahingestellt. Seltener schon gibt es Herrschergestalten, die selbst auf beachtlichem Niveau musizierten. In nur sehr überschaubarer Zahl allerdings gab es umfassend kompositorisch tätige Größen, zumal solche, die den Vergleich mit der spezialisierten Zeitgenossenschaft nicht zu scheuen brauchten. Einer dieser besonderen Persönlichkeiten ist der Habsburger Kaiser Leopold I. (1640-1705). Auf einer aktuell beim Label cpo erschienen, bereits im Jahr 2016 vom Ensemble Weser-Renaissance Bremen unter der Leitung von Manfred Cordes eingespielten Platte ist das exemplarisch nachzuhören, basierend auf Forschungsarbeiten von Jörg Jacobi zum Werk Leopolds.

Das Album versammelt ausgreifende Trauermusiken – die Missa pro defunctis, die Leopold anlässlich des Todes seiner ersten Frau, Margarita Theresia, im Jahr 1673 komponierte und die auch zu dessen eigenem Tod gespielt wurde, danach jährlich zum Andenken des Kaisers. In großer Besetzung mit fünf Vokalstimmen und üppigem Orchester – bestehend aus zwei stillen Zinken, drei Posaunen, vier Violen und reich auszubuchstabierendem Basso continuo – erreicht er eine bemerkenswerte Intensität. Dennoch, bei aller Strenge des Ausdrucks wie der Satztechnik, wirkt die Musik aufgelockert, wird die Requiems-Sphäre nicht nur in düsteres Licht getaucht. Vokalsolistisch sind die Anforderungen zeittypisch, auf schmalem Grat zwischen knapp konturierten Ensembles und tatsächlich entfalteten Soli von einiger Eloquenz wandelnd; linear etabliert sich von Satz zu Satz Leopolds feine Invention, auch sein wacher Sinn für knapp formulierte instrumentale Akzente.

Die nachfolgenden ‚Tres Lectiones Pro Defunctis Claudiae Felici‘ aus dem Jahr 1676 entsprangen neuerlichem Schmerz des Kaisers: Nur drei Jahre nach seiner ersten musste er auch seine zweite Gemahlin, Claudia Felicitas von Tirol, zu Grabe tragen. Wieder verarbeitete er seinen Schmerz, indem er eine musikalische Klage formulierte, wiederum in der Atmosphäre gedämpfter Trauer, die sich freilich expressiv freier gibt und deutlich steigert: In den drei Teilen folgt einer einleitenden Sonate der bereits aus dem Requiem bekannte, reich gegliederte vokal-instrumentale Verlauf, dann aber, als Besonderheit, rein vokale fugierte Passagen, die die Intensität des Ausdrucks noch einmal spürbar steigern und frappierend intim wirken. Schließlich ist die Motette ‚Vertatur est in luctum‘, entstanden für das Passionsfest der Sieben Schmerzen Mariens, zu hören, die stilistisch an die vorher skizzierte Sphäre anknüpft und die vokal-instrumentale Welt der größeren Werke aufgreift.

Exzellentes Ensemble

Heikles und interessantes Repertoire in jedem Fall, das bei Manfred Cordes und seinem Ensemble Weser-Renaissance Bremen in allerbesten Händen ist. Vokal sind die beiden Sopranistinnen Monika Mauch und Gerlinde Sämann zu erleben, der Altus Marnix de Cat, die Tenöre Hans-Jörg Mammel und Johannes Weiss sowie der Bass Harry van der Kamp – das ist selbst für Cordes‘ stets hochkarätige Besetzungen noch einmal eine besonders prominente Reihe, die Erfahrung, stilkundige Expertise und schieres vokales Vermögen vereint und zu einem rundum feinen Klangerlebnis werden lässt. Die Verbindung von solistischer und Ensemblewelt gelingt mühelos, Glanzstücke sind allen Registern gleichermaßen zugebilligt. Intoniert wird ohne Probleme, auch im chromatisch geschärften Verlauf oder den rein vokalen Passagen der Lectiones. Die Phrasierung wird maßgeblich und aktiv von den entschieden artikulierenden Vokalisten bestimmt.

In glückender Parallele zu denen positioniert sich das gleichfalls kleinteilig agierende Instrumentalensemble. Das schon angesprochene reiche Tableau – der Basso continuo ist mit Dulzian, Violone, Chitarrone und Cembalo ausbuchstabiert – erlaubt eine farbige Gestaltung der Partien, dabei durchaus nicht nur im Reich gedeckter Töne verharrend. Außergewöhnliche Virtuosität ist – analog zum vokalen Befund – nicht vonnöten. Dafür wird dosiert eingesetztes figuratives Feinwerk souverän verlebendigt. Insgesamt findet die Formation zu schönen Konstellationen voller Sonorität und Klangfreude, am deutlichsten manifestiert in den hochexpressiven Vor- und Zwischenspielen. Manfred Cordes lässt die Musik in bewegter Frische fließen, wenn auch gattungsbedingt weitgehend ohne drängende Impulse. Insgesamt – auch in Sachen Klangstärke – wird viel fruchtbare Arbeit im Reich der feinen Schattierungen geleistet.

Als Kaiser ist Leopolds I. Reputation unter keineswegs einfachen Vorzeichen und Zeitläuften nicht die schlechteste. Und auch als Komponist braucht sich der Monarch nicht vor dem schöpferischen Vermögen seiner Zeit zu verstecken. Seine Kompositionen sind weit mehr als Liebhaberei mit Ambition: Es sind vielmehr ernsthafte, substanzreiche Arbeiten von satisfaktionsfähigem Format.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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    Leopold I: Requiem - Lectiones: Weser Rennaissance, Manfred Cordes

Label:
Anzahl Medien:
cpo
1
Medium:
EAN:

CD
761203507825


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Leopold I.,


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cpo

Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
Besonders stolz macht uns dabei, daß cpo - 1986 gegründet - in Rekordzeit in die Spitze vorgestoßen ist. Das Geheimnis dieses Erfolges ist einfach erklärt, wenn auch schwierig umzusetzen: cpo sucht niemals den Kampf mit den Branchenriesen, sondern füllt mit Geschick die Nischen, die von den Großen nicht besetzt werden, weil sie dort keine Geschäfte wittern. Und aus mancher Nische wurde nach einhelliger Ansicht der Fachwelt mittlerweile ein wahres Schmuckkästchen.
Am Anfang einer Repertoire-Entscheidung steht bei uns noch ganz altmodisch das Partituren-lesen, denn nicht alles, was noch unentdeckt ist, muß auch auf die Silberscheibe gebannt werden. Andererseits gibt es - von der Renaissance bis zur Moderne - noch sehr viele wahre musikalische Schätze zu heben, die oft näher liegen, als man meint. Unsere großen Werk-Editionen von Pfitzner, Korngold, Hindemith oder Pettersson sind nicht umsonst gerühmt worden. In diesem Sinne werden wir fortfahren.
Letztendlich ist unser künstlerisches Credo ganz einfach: Wir machen die CDs, die wir schon immer selbst haben wollten. Seien Sie herzlich zu dieser abenteuerlichen Entdeckungsfahrt eingeladen!


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