
Bruckner 5 for organ - Gerd Schaller, Orgel
Die Fünfte auf der Orgel
Label/Verlag: Profil - Edition Günter Hänssler
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Ein veritables Statement für Bruckner auf der Orgel wie für Gerd Schaller als Bruckner-Experten und -Interpreten. Die Fünfte als wunderbare spätromantische Orgelsinfonie.
Die Idee, Anton Bruckners Sinfonik im Spiegel seiner organistischen Existenz zu sehen, ist in der Rezeption seiner Musik, auch in der einschlägigen Literatur zu Leben und Werk, im Grunde schon immer geläufig und ein gängiger Topos. Bei all den plausiblen Ansätzen, die sich mit Blick auf die Faktur der Brucknerschen Sinfonien in Anlehnung an die Orgel namhaft machen lassen, wird wohl niemand den orchestersinfonischen (Vor-)Rang der Werke bestreiten wollen, ihre Existenz als genuine Orchestermusik ernsthaft in Frage stellen. Dennoch gibt es immer wieder Ansätze – selten so systematisch wie aktuell von Hansjörg Albrecht bei Oehms, der bis 2024 alle Sinfonien in Bearbeitungen für die Orgel eingespielt haben will –, dieser Frage praktisch nachzugehen, wie sehr einzelne Sätze oder ganze Sinfonien für ein Abbild auf der von Bruckner geliebten und meisterlich gespielten Orgel denn nun geeignet seien.
Gerd Schaller nimmt in diesem Reigen eine besondere Stellung ein: Er ist – nach seinem überaus gelungenen Versuch mit der von ihm selbst komplettierten 9. Sinfonie – ein ‚Durchdringer‘ besonderen Rangs, erstellt seine Spielversionen selbst, destilliert eine Essenz, wie er es schon im Zusammenhang mit seiner Deutung der Neunten selbst beschrieben hat. Denn die vorliegende Fünfte ist nicht das maximal mögliche Abbild des Orchestralen, gar eine Nachempfindung prägnanter instrumentaler Klangfarben, sondern eine genuine Sinfonie für Orgel, eine Klangschöpfung einer eigenen künstlerisch-ästhetischen Realität für das Instrument, das auch Bruckners musikalisches Leben prägte. Das gelingt auf der aktuell beim Label Profil Edition Günter Hänssler vorliegenden Platte überzeugend und stringent in seiner Wirkung.
Gelungene Verbindung von Raum, Instrument und Interpret
Gerd Schaller hat sich neben seinem Rang als Bruckner-Dirigent auch als Bearbeiter einen Namen erworben: Er hat das Finale der 9. Sinfonie komplettiert und das Gesamtergebnis schließlich für die Orgel bearbeitet oder das berührende Streichquintett für großes Orchester bearbeitet und ebenso erfolgreich eingespielt. All das hat ihn als vielseitige Interpretenpersönlichkeit hervortreten lassen. Jetzt, bei der Deutung der Fünften auf der Orgel, kommt ihm diese versatile Kompetenz zugute. Schaller bleibt den technischen Anforderungen nichts schuldig, pedaliter und manualiter wirkt sein Spiel mühelos. Gerade auf dem Feld rhythmischer Präzisionsarbeit ist sein Spiel autoritativ: Sowohl die unegalen Verschränkungen im Adagio als auch das geradezu wild gezackte Scherzo im Molto vivace dokumentieren das eindrucksvoll. Die Choralphrasen im Finale werden ohne jede Sentimentalität geboten, eher strotzend vor frischer Kraft, ohne jeden wolkigen Romantizismus. Schaller gestaltet die Tempi in absolut stimmigen Relationen – man spürt auch in dieser Hinsicht die große Erfahrung des Bruckner-Dirigenten von Rang, dessen mit der Philharmonie Festiva realisierter Zyklus der Sinfonien aus Sicht des Rezensenten zu den sträflich unterschätzten der Diskografie gehört.
Gerd Schaller spielt wie schon im Fall der Neunten die Eisenbarth-Orgel der ehemaligen Zisterzienserabteikirche im fränkischen Ebrach, spielt also an jenem Ort, an dem auch zahlreiche seiner erfolgreichen Orchesteraufnahmen entstanden sind. Die Orgel ist in der 1984 erfolgten Gestaltung von Wolfgang Eisenbarth die Zusammenführung von historischen – Anteile einer spätbarocken Seuffert-Orgel von 1742/43 sind darin ebenso enthalten wie solche einer 1902 errichteten Steinmeyer-Orgel – und modernen Elementen. Diese Mischung ist Bruckners Lebens- und Erfahrungswelt vermutlich gar nicht fremd, jedenfalls in der ästhetischen Praxis näher, als es durchgestylte moderne Hochleistungsinstrumente sein könnten. Schaller nutzt die üppigen und spezifischen Möglichkeiten zu farbiger Registrierung im Sinne der Satzgestaltung. Es bezaubern schöne Soli über dem Plenum, viele klar zeichnende Lösungen unterstützen den luziden spieltechnischen Ansatz Schallers. Denn der artikuliert hochpräzise, bietet viel durchbrochenes Spiel, lässt Verschattungen durch übermäßiges Überbinden nicht zu – ein ‚scharf gestellter‘ Bruckner gewissermaßen, der Größe nicht verleugnet, sie aber nicht aus pompöser Geste gewinnt und dank dieser artikulatorischen Feinarbeit zugleich die Weite des Raumes bändigt: Das Klangbild ist, wie eigentlich immer bei Aufnahmen aus dem Kloster Ebrach, auf erstaunlich schlüssige Weise balanciert und strukturklar, dabei in der Substanz durchaus füllig.
Zu hören ist ein veritables Statement für Bruckner auf der Orgel wie für Gerd Schaller als Bruckner-Experten und -Interpreten. Die Fünfte als wunderbare spätromantische Orgelsinfonie.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Bruckner 5 for organ: Gerd Schaller, Orgel |
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Label: Anzahl Medien: |
Profil - Edition Günter Hänssler 1 |
Medium:
EAN: |
CD
881488230147 |
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Bruckner, Anton |
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Profil - Edition Günter Hänssler Profil - The fine art of classical music
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