
Stamitz: Three Violion Concertos, Symphony - David Castro-Balbi, Württembergisches Kammerorchester Heilbronn, Kevin Griffiths
"Mannheimer goût" mit enormem Eigenwert
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
David Castro-Balbi und das Württembergische Kammerorchester Heilbronn unter Kevin Griffiths überzeugen auf ganzer Linie mit Werken von Johann Stamitz.
Kürzlich wurde ich vom Moderator eines beliebten Radio-Klassiksenders auf ein Violinkonzert Johann Stamitz’ aus der vorliegenden Einspielung des Labels cpo aufmerksam gemacht und dabei in freundlichem Tonfall über einige musikhistorische Sachverhalte informiert: Stamitz sei der Hauptvertreter der „Mannheimer Schule“ und habe mit seinen zahlreichen kompositorischen Innovationen, die leider lediglich angedeutet wurden, als zentraler Vorbereiter der musikalischen Klassik fungiert. Seine charakteristischen Eigenschaften als „Vorklassiker“, der den Weg zum Dioskurenpaar Haydn und Mozart geebnet habe, dokumentierten sich in exemplarischer Weise in dessen (insg. 11) Violinkonzerten – einer Gattung, die unter Stamitz’ tüchtigen Händen vollkommen neue Entwicklungszüge angenommen habe, die wiederum auf spätere Generationen einflussreich wirken sollten.
Die hier nur steckbriefartig wiederzugebenen Kausalitäten gattungsgeschichtlicher Entwicklung folgten also gänzlich dem Narrativ: „Auf dem Weg zur Klassik“. Das Rezeptionsmuster des Moderators war für mich insofern interessant nachzuvollziehen, als dieses offenbar bis heute – fernab der weitgehend autonomen Forschungsdiskurse – kaum an Aktualität und Konjunktur eingebüßt zu haben scheint.
So weit, so schade – denn die Eigenwertigkeit Stamitz’ und speziell seiner wundervollen Violinkonzerte gerät angesichts derartiger Deutungen, im Sinne des vermeintlich Unfertigen oder lediglich Vorbereitenden, allzu häufig aus dem Blick. Man ist daher der künstlerischen Kooperation zwischen dem Geiger David Castro-Balbi (Solist des Leipziger Gewandhauses) und dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn unter Kevin Griffiths mehr als dankbar, dass sie mit ihren eindrucksvollen Darbietungen der Violinkonzerte Nr. 2–4 sowie der Es-Dur-Symphonie op. 4, Nr. 4, den herausragenden Eigenwert eines jeden Werks hervorheben. In diesem klanglichen Korrektiv (naiv repetierender Meinungsbilder) liegt der große Wert dieser 2021 erschienenen Aufnahme. Die Qualitäten der Interpretation lassen falsche Vergleiche mit einem Früher oder Später der Musikgeschichte vergessen und fokussieren den Hörer auf die besagte Eigenwertigkeit der Kompositionen.
Enge Verflechtungen
Was macht die Aufnahme besonders? Nun, die Musiker haben wohltuend verstanden, dass die Konzerte zwar äußerlich einer immer gleichen Formdramaturgie folgen (z. B. Ecksätze: Ritornellform), jedoch stets neu ausgestaltet werden und damit das traditionelle Gattungsgerüst von innen heraus flexibilisieren. Diese individualisierenden Momente beziehen sich etwa auf die engen, immer wieder anders konzipierten Verflechtungen zwischen dem thematischen Tutti und figurativen Solo, die der Geiger Castro-Balbi mit einer schier unerschöpflichen Palette klangfarblicher Differenzierungen zu realisieren versteht.
Damit sind wir bei dem für Stamitz so zentralen Parameter der Dynamik, dessen Neudeutung im Sinne einer nicht mehr blockartig-kontrastierenden (Concerto grosso), sondern nun wirklich vermittelnden Abstufung von Laut und Leise ja wahrlich eine Revolution bedeutete. Diese wirkungsvollen Effekte werden in der Einspielung derart erfahrbar gemacht, als wenn sie das erste Mal erklingen würden. Das muss man erst einmal nachmachen!
An dieser Stelle von spieltechnischen Einzelheiten zu sprechen, die die Musiker trotz aller an sie gestellten Ansprüche sämtlich beherrschen, verbietet sich eigentlich, wenn die Innovationen auf dem Gebiet nicht für Stamitz’ Neuverständnis des Genres so wichtig wären. Der Abwechslungsreichtum der Bogentechnik und die neue Beanspruchung der linken Hand – ganz zu schweigen von den neuartigen Verbindungen der Techniken – wird vom Solisten Castro-Balbi grandios präsentiert. Es macht schlichtweg Freude, diesem durchweg abwechslungsreichen wie hochvirtuosen Spiel aktiv zu lauschen. Der Heilbronner Klangkörper begleitet nicht bloß – das sieht die Gattung zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch nicht vor –, sondern steht in der Funktion der Ergänzung, Erweiterung, wenn nicht gar Kommentierung des dialogischen Geschehens.
So bleibt es – summa summarum – bei einer rundum geglückten Präsentation nicht allein der drei Violinkonzerte, sondern auch der wunderschönen Es-Dur-Symphonie, weshalb am Ende dieser Kritik nur die wärmste Empfehlung eines großartigen CD-Projekts stehen kann, welches hoffentlich eine Fortsetzung erfährt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Stamitz: Three Violion Concertos, Symphony: David Castro-Balbi, Württembergisches Kammerorchester Heilbronn, Kevin Griffiths |
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Label: Anzahl Medien: |
cpo 1 |
Medium:
EAN: |
CD
761203547920 |
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Stamitz, Johann |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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