
Bent Sorensen: St. Matthew Passion - The Norwegian Soloists Choir, Ensemble Allegria, Grete Pedersen
Passionsstimme der Gegenwart
Label/Verlag: BIS Records
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Bent Sørensen richtet den Blick der Gegenwart auf die Passionsgeschichte nach Matthäus: Das Ergebnis verrät intensive Beschäftigung mit den Traditionen der Passionsvertonung ebenso wie eine starke, eigenständige kompositorische Stimme.
Der dänische Komponist Bent Sørensen (geb. 1958) ist als produktiver Komponist eines breiten Spektrums verschiedenartiger Musik bekannt – vom Feld des Konzertanten über die Chormusik bis zur Oper hat er vieles durchmessen, ist dabei mit Aufträgen renommierter Klangkörper bedacht worden und hat sich auf diesem Weg als vernehmliche Stimme einer nordischen Kompositionskunst der Gegenwart etabliert. Andrew Mellor beschreibt die Positionierung Bent Sørensens in seinem Booklettext folgendermaßen: „Sørensen ist ein moderner Komponist, der tonale Intervalle ehrt und sich zwischen den Magnetpolen warmer, romantischer Tonalität und reicher, Schönberg’scher Atonalität bewegt…“.
Davon vermittelt auch die aktuell beim Label BIS erschienene Matthäuspassion des Komponisten einen Eindruck. Bent Sørensen bekundet in persönlichen Bemerkungen zum Werk, lange Jahre darauf hingearbeitet zu haben, sich innerlich und in der Annahme von zu diesem Weg ‚passenden‘ Aufträgen auf einen besonderen Höhepunkt zubewegt zu haben – um ‚Trittsteine‘ dorthin zu sammeln. Schließlich begann er im Jahr 2018 mit der Arbeit an der Passion, deren Uraufführung ursprünglich für den März 2020 geplant war, wie so viele andere Projekte aber zunächst der sich ausbreitenden Corona-Pandemie zum Opfer fiel. Im März 2021, als öffentlich Konzerte vor Publikum noch immer unmöglich waren, gab es immerhin eine gestreamte, auch im Radio übertragene Aufführung. Schließlich fand die ‚echte‘ Uraufführung am 27. März 2022 im Dom zu Oslo statt; in den drei Tagen zuvor entstand die vorliegende Aufnahme.
Text und Musik
Textgrundlage ist natürlich die Passionsgeschichte des Matthäus-Evangeliums, doch hat Bent Sørensen mit dem Librettisten Jakob Holtze verschiedene Textebenen zu einem englischsprachigen Gesamttableau mit wenigen lateinischen Einschüben – etwa aus dem Symbolum Nicenum – realisiert. Zu hören sind Dichtungen verschiedener Hände, von Edith Södergran, Anna Achmatowa, Emily Dickinson, Søren Ulrik Thomsen, Ole Sarvig und Frank Jæger – je in kleine Partikel geteilt und in zehn Sätze zusammengefügt, die ausgehen von ‚In veils of mist‘, über ‚Betania‘ und ‚Crucifixus‘ zu ‚Tenebrae‘ und ‚Magdalena‘, schließlich wieder ‚Into the mist‘ führen. Eine Melange also, die sich klar von der Konkretion einzelner Stationen des Passionsgeschehens entfernt, den dramatischen Bogen aber ebenso deutlich wie im Neuen Testament selbst spannt, untersetzt und expliziert durch lyrische Weiterungen.
Bent Sørensens Chorsatz ist spannungsreich, dicht, reich an prägnanter Chromatik. Wann immer sich harmonisch ein spätromantisches Gefühl einzustellen scheint, wird es vom Komponisten ebenso kunstvoll wie entschieden abgefangen. Gewiss, es dominieren keinesfalls raue oder eckige Gesten, doch ästhetisch eindimensional oder unterfordernd ist Sørensens Musik gleichfalls zu keinem Zeitpunkt. Das Instrumentalensemble ist neben dem dichten Chorsatz oft begleitend gefordert, in fließenden Bewegungen, gelegentlich beinahe in einen seriösen Parlando-Ton fallend. Auch klarere Impulse und affektive Steigerungen sind zu verzeichnen, getragen von luzide geführten Bläsern, etwa fein energetisierten Trompeten.
Potente Ensembles
Das Osloer Ensemble Allegria durchmisst diese Musik mit zwei konzentrierten Streicherformationen, die so etwas wie das klingende Kontinuum bilden – hier vor allem mit Geschmack und klingender Vorsicht spielend. Dazu kommen charaktervoll gesetzte Bläserstimmen – neben Flöten, Oboen und Fagotten auch Trompeten und Posaunen, dazu atmosphärisch beitragende Glocken.
Der mit 28 Sängerinnen und Sängern besetzte Norwegische Solistenchor ist ein sattsam profiliertes Ensemble, mit harmonisch besetzten Registern, die klar gebaut und voller Kern sind, gleichwohl nicht dem ehernen Zuschnitt entsprechen, für den etwa die berühmten baltischen Chöre stehen. Vielmehr ist der seit drei Jahrzehnten von Grete Pedersen geleitete Chor auf ein Ideal des harmonischen Zusammenklangs hin orientiert. Und gerade mit dieser Qualität wird er der oft sphärisch verdichteten Musik Sørensens deutlich gerecht. Strukturell sind die chorischen Anteile durchaus zerklüftet angelegt – der Chor agiert mit gleichbleibend hoher Spannung und Präsenz. Vier Soli lösen sich aus dem Ensemble, gelegentlich in kürzeren Interjektionen, erweitert zu episodischem Geschehen, immer wieder auch in geschmackvoller Interaktion miteinander. Die vokale – wie die instrumentale – Intonation gerät mühe- und makellos; angesichts des ambitionierten kompositorischen Geflechts ein durchaus relevanter Befund. Linear wird vokale Intensität erreicht; die Rolle impulsiver Momente übernehmen überwiegend die Bläser.
Grete Pedersen lässt in einem ruhigen, einerseits lyrischen, zugleich erzählerisch motivierten Grundpuls musizieren. Das dynamische Tableau ist ruhevoll gestaltet, kontrastiert durch die angesprochenen Akzente. Das Klangbild aus dem Dom zu Oslo ist fabelhaft: In Sachen Struktur, Balance, Plastizität der Register und harmonisch integrierter Räumlichkeit bleiben keine Wünsche offen – vermutlich wird man ein derart rundes, stimmiges, lebendiges Hörerlebnis kaum je live im Kirchenraum oder Konzertsaal haben können.
Bent Sørensen richtet den Blick der Gegenwart auf die Passionsgeschichte nach Matthäus: Das Ergebnis verrät intensive Beschäftigung mit den Traditionen der Passionsvertonung ebenso wie eine starke, eigenständige kompositorische Stimme. Im Zusammenwirken des Norwegischen Solistenchors und des Ensembles Allegria entsteht eine beeindruckende Betrachtung.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Bent Sorensen: St. Matthew Passion: The Norwegian Soloists Choir, Ensemble Allegria, Grete Pedersen |
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Label: Anzahl Medien: |
BIS Records 1 |
Medium:
EAN: |
CD SACD
7318599926117 |
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BIS Records Most record labels begin with a need to fill a niche. When Robert von Bahr founded BIS in 1973, he seems to have found any number of musical niches to fill. The first year's releases included music from the renaissance, Telemann on period instruments, Birgit Nilsson singing Sibelius and works by 29 living composers - Ligeti and Britten as well as Rautavaara and Sallinen - next to Purcell, Mussorgsky and Richard Strauss. A musical chameleon was born, a label that meant different things to different - and usually passionate - devotees. Mehr Info... |
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