
L'Italiana in Algeri - Orchestra of the 18th century, Giancarlo Andretta
Quirlig und grob
Label/Verlag: Glossa
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Mehr Sorgfalt hätte diesem Live-Mitschnitt einer Rossini-Oper in allen Bereichen gut getan.
Vor 40 Jahren erschien die erste (und bis vor kurzem einzige) historisch informierte Einspielung von Gioachino Rossinis ‚L’italiana in Algeri‘ auf dem Tonträgermarkt (Fonit Cetra/CBS-Sony), eine WDR-Produktion von 1979 unter dem Rossini-Experten Gabriele Ferro mit der Capella Coloniensis und Lucia Valentini Terrani, Francisco Araiza, Wladimiro Ganzarolli und Enzo Dara in den Hauptrollen. Allem also, was damals an Rang und Namen aufzubieten war. Dass vokale Akkuratesse über emotionalen Überschwang gestellt wurde, war auch der Studiosituation geschuldet. Im vorliegenden Fall liegt uns ein Live-Mitschnitt aus dem Amsterdamer Concertgebouw vor, mit jenem Orchestra of the 18th Century, um das es seit Frans Brüggens Tod 2014 eher still geworden war. Früher hatte es sich eher wenig als Opernorchester profiliert, heute erweist es sich etwa dem Orchestra of the Age of Enlightenment und jenen anderen wenigen historisch informierten Klangkörpern ebenbürtige, die heute den Opern Rossinis, Donizettis oder Bellinis stellen.
Natürlich haben sich in den vergangenen Jahrzehnten viele ästhetische Voraussetzungen und Vorstellungen geändert – wo seinerzeit der Belcantogesang auf einigen wenigen Schultern ‚lastete‘, haben wir heute eine weit größere Anzahl speziell geschulter Künstler. Das diese unterschiedliche künstlerische Ausprägungen haben, ist selbstredend, und ein Vergleich zwischen den Generationen fällt schwer. Dennoch fällt auf, dass die frühere Generation sich vor der jüngeren nicht verstecken muss.
Gewisse Holzschnittartigkeit
Das erkennen wir schon in der ersten Cavatine des Lindoro. Alasdair Kent ist ein guter Tenore di grazia, aber ohne eben jene Eleganz, die Francesco Araiza auszeichnete. Und Vasilisa Berzhanskaya eine dramatische, vielleicht auch eine dramatisch überzogene Isabella, die ihre Partie mit viel Leben ausfüllt, dem Text jedoch einiges schuldig bleibt und nicht immer ganz sauber intoniert. Gerade eben jene Portion des Zuviel, die Betonung des Szenischen zuungunsten des musikalischen Details erweist sich als eher ‚stillos‘. Pablo Ruiz als Taddeo scheint sich in Puccini wohler zu fühlen als in Rossini. Überhaupt zeichnet die Darbietung im vokalen Bereich eine gewisse Holzschnittartigkeit aus, die die einen Lebendigkeit nennen mögen, andere einen Mangel an Exaktheit. Berzhanskaya kann auf einzelnen Tönen nicht flutend die Dynamik abschattieren, intendiert dies auch gar nicht, musiziert eher mit einer gewissen Sorglosigkeit – das klingt alles interpretatorisch (aus rein musikalischer Perspektive) eher beiläufig, im Detail nicht intensiv ausgearbeitet. Besonders arg muss man das anmerken bei Ricardo Seguel als Mustafà, der aus heikel auszuführenden Sechzehntelfolgen nicht recht alles herauszuarbeiten vermag, was frühere Generationen konnten – manches wirkt fast ‚buchstabiert‘ und rhetorisch überstülpt, damit man vokale Einfallslosigkeit nicht ganz so merkt. Wie anders klang das doch vor 40 Jahren: Man erinnere sich an die im Detail so fein ausgearbeiteten Rossini-Inszenierungen der 1980er-Jahre, die der perfekte Gegenpart der WDR-Produktion waren und weit sorgsamer als die ‚großformatigen‘ Aufführungen und Einspielungen mit der Vokalartistin Marilyn Horne.
Dass das Orchestra of the 18th Century noch weniger Opernerfahrung besitzt als die Capella Coloniensis, ist ebenso spürbar wie dass auch die Aufnahmetechnik der Live-Wiedergabe mehr schadet als nutzt. So kann die neue Veröffentlichung, so verdienstvoll sie auf den ersten Blick scheinen mag, keinen neuen Referenzstatus erlangen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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L'Italiana in Algeri: Orchestra of the 18th century, Giancarlo Andretta |
|||
Label: Anzahl Medien: |
Glossa 1 |
Medium:
EAN: |
CD
8424562211322 |
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Rossini, Gioacchino |
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Glossa Spaniens renommiertestes Klassiklabel wurde 1992 von Carlos Céster und den Brüdern José Miguel und Emilio Moreno gegründet. Sein "Hauptquartier" hat es in San Lorenzo del Escorial in den Bergen nahe Madrid. Zahlreiche herausragende Künstler und Ensembles aus dem Bereich der Alten Musik (z.B. Frans Brüggen und das Orchestra of the 18th Century, La Venexiana, Paolo Pandolfo, Hervé Niquet und sein Concert Spirituel u.v.a.) finden sich im Katalog des Labels. Doch machte GLOSSA von Anfang an auch wegen der innovativen Gestaltung und Produktionsverfahren von sich reden. Zu nennen wären hier die Einführung des Digipacks auf dem Klassikmarkt und dessen konsequente Verwendung, der Einsatz von Multimedia Tracks oder die Platinum-Serie mit ihrem avantgardistischen Design. Innerhalb der vergangenen knapp zwei Jahrzehnte konnte GLOSSA so zu einem der interessantesten Klassiklabels auf dem Markt avancieren. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt auch dem Spiritus rector und Gesicht des Labels, Carlos Céster. Mehr Info... |
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