
Die Befreiung Israels - Il Gardellino, Peter van Heyghen
Farbenkosmos
Label/Verlag: Passacaille
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Möglicherweise etwas abseitiges Repertoire – dringlich und frisch geboten, wie hier von Il Gardellino und Peter Van Heyghen, entfalten aber auch diese Gelegenheitsoratorien von Telemann und Rolle mühelos ihre Reize.
Auf einer aktuell beim belgischen Label Passacaille erschienenen Platte werden zwei Oratorien auf geistliche Motive vorgestellt, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden sind: Zunächst Georg Philipp Telemanns ‚Das befreyte Israel‘, das 1759 im Hamburger Drillhaus zur Uraufführung kam, dann ‚Die Befreyung Israels‘ von Johann Heinrich Rolle, die dieser 1774 in Magdeburg im Rahmen seiner Konzertreihe erstmals der Öffentlichkeit präsentierte. Beide basieren auf dem Libretto von Justus Friedrich Wilhelm Zachariae, im Falle Rolles bearbeitet und erweitert, gewissermaßen zu dramatischer Höhe geführt von Christoph Christian Sturm.
Im Kern geht es um den Auszug der Israeliten aus Ägypten, das Wunder vom Schilfmeer und den Triumph des Gottes der Hebräer über die Streitmacht des Pharao. Man ahnt: Die dramatische Wendung, die Telemanns Oratorium, in konzentrierte Arien und wenige gliedernde Chöre gruppiert, sich tendenziell noch verwehrt, lag durchaus nahe. Rolles Co-Librettist Sturm führt Moses, seinen Diener und späteren Nachfolger Josua, der Gemahlin des Moses, Zipora, sowie seine Schwester Mirjam als mehr als nur allegorisch intendierte Figuren ein, eröffnet dem Komponisten so Raum für ausgreifende Rezitative und viel orchestrales wie vokales Farbenwerk. Eingespielt und -gesungen haben diese beiden geistlichen Oratorien jetzt das Ensemble Il Gardellino und namhafte Solisten, angeführt von Peter Van Heyghen.
Telemann sieht sich durch Zachariaes Dichtung zu bildkräftiger Mitdeutung angehalten, zieht instrumental all seine fein gezeichneten Register. Formal ist er dabei alles andere als streng, zeigt sich in dieser wie in stilistischer Hinsicht als bedeutender Anverwandler und Ausdeuter des musikalisch Möglichen. Man meint auch in diesem Werk die für sein Idiom einzig zutreffende Variante, den einzig richtigen Telemann zu hören.
Johann Heinrich Rolle geht beherzt in die Möglichkeiten des dramatisch geweiteten Texts hinein, formuliert griffig, plastisch, kompakt und unmittelbar. Sein Orchestersatz ist insofern moderner als der Telemanns – mit dem sich Rolle übrigens auf der Basis gegenseitiger Wertschätzung austauschte –, als er eine oft geschlossene Akkordik als wesentliches klingendes Kontinuum kennt, während Telemann eine – wenn auch aller Schwere entledigte – kontrapunktische Grundierung nie ganz leugnen kann. Rolle setzt Chöre von einiger Schlagkraft, variantenreiche Rezitative – durchaus spätbarocke Traditionen anklingen lassend. Die Arien verraten eine linear feine, elegante Stilistik, gerahmt von sinnfälligen obligaten Konstellationen, die nicht selten terzen- und sextenselig zu schwelgen haben.
Erfrischender Zugriff
Das kammermusikalisch besetzte Ensemble Il Gardellino versammelt sich zu einem aufgeräumten, luziden Klang, der zugleich beseelt ist und von federnder Energie, elegant in der Tongebung, dazu rhythmisch präzis und geschärft. Das harmonisch etwas weichere Gewand bei Rolle wird lustvoll ausgekostet, um angemessene Verzierungskunst bereichert; vor allem die Streicher erweisen sich als veritables Kraftzentrum. Die obligate Kunst ist fein – fabelhafte Oboen, Flöten und Fagotte etwa –, die Rezitative werden agil und entschieden strukturiert.
Solistisch agieren Miriam Feuersinger (Sopran), Elvira Bill (Mezzosopran), Daniel Johannsen (Tenor) und André Morsch (Bass), ergänzt um den Bass Sebastian Myrus, dem bei Telemann einige Soli zufallen und der gemeinsam mit Jana Pieters (Sopran), Jonathan De Ceuster (Altus) und Leander Van Gijsegem (Tenor) das Ripieno-Quartett bildet, das sich gemeinsam mit den Soli zu einem kleinen chorischen Ensemble formt.
Solistisch ist der Gesang exquisit, ausgewogen, stilsicher, technisch makellos, voll im Saft der hörbaren Erfahrung aller Beteiligten stehend. Rezitative geraten eloquent und zupackend, arios entfalten sich Charme und Leichtigkeit. Einzig die Diktion ist etwas heterogener – die Männerstimmen zeigen sich in dieser Hinsicht deutlich profilierter und natürlicher Geste. Chorisch, wenn man acht Stimmen denn im herkömmlichen Sinne so nennen will, sind schlanke, bewegliche Stimmen zu erleben, technisch virtuos und gelenkig. Wohl mag dem Ensemble an kernig gesteigerter Wucht etwas abgehen, doch punktet es überdurchschnittlich mit graziler Eleganz. Gerade in Rolles oft etwas schlichterem, verdichteten Satz reüssiert es dank schmaler Ausformung der Register.
Schöner Sog
Peter Van Heyghen gestaltet in Sachen Tempi ein frisch gestaffeltes Tableau, immer wieder akzentuiert und mit schönem Sog zwischen verschiedenen musikalischen Charakteren. Die Intonation genügt durchgehend höchsten Ansprüchen, getragen und geprägt von einem federn-gespannten Orchesterklang. Artikulatorisch nutzen Vokalisten und Instrumentalisten das attraktive kompositorische Futter zu reicher Explikation – bei Telemann stärker in variantenreicher Kunstfertigkeit, bei Rolle deutlicher in der Ausformung einer genuin dramatischen Geste. Das Klangbild ist klar, gut gestaffelt, dazu fein balanciert und konturscharf. Es bezieht räumliche Wirkung ein, sakralisiert oder überhöht diesen Aspekt aber, dem konzertant-weltlichen Entstehungskontext der Werke entsprechend, zurecht nicht. Im ansprechend fotografierten und gestalteten, dreisprachigen Booklet wird umfassend informiert; die Libretti sind vollständig zu finden.
Möglicherweise ist das etwas abseitiges Repertoire – dringlich und frisch geboten, wie hier von Il Gardellino und Peter Van Heyghen, entfalten auch diese Gelegenheitsoratorien von Telemann und Rolle mühelos ihre Reize. Schön, das – im Falle Rolles erstmals – auf so hohem Niveau musiziert nachhören zu können. Eingang in das allgemeine Konzertrepertoire werden diese Werke kaum finden – verdient und substanziell gerechtfertigt wäre das allemal.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Die Befreiung Israels: Il Gardellino, Peter van Heyghen |
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Label: Anzahl Medien: |
Passacaille 1 |
Medium:
EAN: |
CD
5425004841322 |
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Rolle, Johann Heinrich |
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Passacaille Das belgische Label PASSACAILLE wurde 1995 gegründet und sollte von Anfang an eine Plattform für hochrangige belgische Künstler der historischen Aufführungspraxis sein. Das Barockorchester il Fondamento mit seinem Leiter Paul Dombrecht und der Hammerklavierspezialist Jan Vermeulen gehörten zu den ersten, die für das Label aufnahmen. Später erweiterte sich der Künstlerkreis um weitere prominente Namen wie Wieland Kuijken oder das Ensemble Octophorus. Bald erhielten die Aufnahme internationale Preise, was als zusätzlicher Anreiz gesehen wurde, sich im künstlerischen Bereich auch internationalen Künstlern und Ensembles zu öffnen. Ab 2000 begann die Zusammenarbeit mit Künstlern aus verschiedenen europäischen und transatlantischen Ländern. 2006 übernahm der belgische Traversflötist und Musikwissenschaftler Jan de Winne das Label und erweiterte den Künstlerkreis des Labels erneut um international renommierte Künstler wie zum Beispiel Graham O'Reillys Ensemble Européen William Byrd und Lorenzo Ghielmis Ensemble La Divina armonia, das hier erst kürzlich eine fulminante Aufnahme von Händels Orgelkonzerte Op.4 vorgelegt hat. Als weitere Neuzugänge seien noch der brasilianische Cembalist Nicolau de Figueiredo, der Cellist Sergei Istomin und der Fortepianist Alexei Lubimov zu nennen. Im Rahmen der Neuorganisation des Labels möchte Jan de Winne den bewährten ursprünglichen Schwerpunkt Alter Musik in historischer Aufführungspraxis beibehalten, aber auch nach und nach Musik späterer Epochen in das Programm integrieren. Mehr Info... |
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