
J.H.Schein: Israels Brünnlein - Opella Musica, Gregor Meyer
Ein Schatz
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Johann Hermann Schein und seinem Israelsbrünnlein die Ehre zu geben, ist nie vertane Mühe: Opella Musica und Gregor Meyer reihen sich mit dieser exquisiten solistischen Deutung in die Folge künstlerisch hochstehender Gesamtbetrachtungen ein.
In diesem Jahr jährt sich die Veröffentlichung von Johann Hermann Scheins ‚Fontana d’Israel‘ oder Israelsbrünnlein zum 400. Mal: 1623 erschien jene Sammlung von 26 Motetten auf ‚Italian-Madrigalische Manier‘, so Scheins eigene Beschreibung, die ebenso als geistliche Madrigale, also in gewisser Weise in einer Zwischenstellung befindlich beschrieben werden können. Ein gewichtiger Grund, das Jubiläum zu feiern in jedem Fall – so wie es das jetzt das Ensemble Opella Musica und sein Leiter Gregor Meyer mit einer neuen Gesamteinspielung beim Label cpo tun. Und auch ein guter Grund, um darüber nachzudenken, warum Johann Hermann Schein und sein Werk bis heute nicht ganz ihrem tatsächlichen Rang entsprechend wahrgenommen und gewürdigt werden. Natürlich ist da die unmittelbare und weit prominentere Zeitgenossenschaft von Heinrich Schütz zu erwähnen, der auf die Wahrnehmung der Epoche beinahe jenen fast alles überschattenden Einfluss hat, wie es für Johann Sebastian Bach und die ausgehende Barockzeit gesagt werden kann. Dazu kommen die generell schwierigen Zeitläufte im 30jährigen Krieg, die musikalische Praxis, Druck und Überlieferung, ja oft das schiere Überleben selbst in Frage stellten. Und man muss konzedieren, dass es anderen unbedingt hörenswerten Stimmen, etwa Tobias Michael, Nachfolger Scheins als Thomaskantor, mit Blick auf die Rezeption bis heute noch weit schlechter ergangen ist.
Scheins Israelsbrünnlein hat seit einigen Jahrzehnten immer wieder zu systematischer Betrachtung angeregt, das zeigt schon ein kurzer Blick auf einige der wichtigen Gesamteinspielungen der jüngeren Vergangenheit: Hermann Max und sein Kleines Konzert sind da vertreten, später Hans-Christoph Rademann und sein Dresdner Kammerchor, in solistischer Besetzung Weser-Renaissance Bremen; dazu mit Auszügen in ebenfalls höchster Qualität Cantus Cölln und weitere Formationen von Rang und Namen. Die kurze Liste ist keinesfalls vollständig und zeigt zweierlei: So schlecht ist die Lage diskografisch nicht, zumal die angesprochenen Einspielungen sämtlich ein hohes, im Rahmen unterschiedlicher Zugänge ästhetisch variierendes Niveau mit deutender Sorgfalt verbinden. Und: Dass so viele Interpreten der Spitzenklasse sich dieser Werke annehmen, gibt mehr als einen Hinweis darauf, von welchem Gewicht Scheins Kompositionen sind.
Die madrigalischen Motetten wirken in ihrer Ausdeutung der biblischen Texte und Gebete trotz präsenter Kontrapunktik leicht zugänglich, gelegentlich fluid, zugleich bis zur lautmalerischen Geste auf das Engste mit jeder noch so kleinen Regung der Texte verbunden. Vergleiche mit der Musik Heinrich Schütz‘ müssen nicht sein, drängen sich aber auf: Schein wirkt mit seinen Sätzen etwas persönlicher, bei aller Komplexität auch emotionaler, was keinen Qualitätsunterschied markiert, allerdings einen ziemlich überzeugenden Weg in Richtung einer solistischen Besetzung weist.
Delikatesse und Natürlichkeit
Das Leipziger Ensemble Opella Musica mit seinem Leiter Gregor Meyer singt das Programm in der Besetzung mit den beiden Sopranistinnen Isabel Schicketanz und Heidi Maria Taubert, der Altistin Susanne Langner, dem Tenor Tobias Hunger und dem Bass Friedemann Klos. Die Formation hat in der Vergangenheit in interessantem, durchaus etwas abseitsstehendem Repertoire Profil gewonnen. Zuletzt war der Abschluss des Kuhnau-Zyklus‘ ebenfalls bei cpo ein echtes Ereignis. In Scheins delikater Satzkunst sublimieren sie ihr solistisches Vermögen in einen feinen, zugleich affektstarken Gesamtklang von jugendlicher Frische und Helligkeit. Das feine musikalische Material wird mit sensiblem Zugriff ausgearbeitet; alle Stimmen sind mit je registertypischem Gepräge versehen. Basis ist ein natürliches Sprechen: Opella Musica entfaltet eine frappierende Wirkung aus einer unangestrengt natürlichen Diktion, jede artifizielle Geste verlässlich meidend. Viele kleine Deutungseinheiten lassen ein zugängliches, bei aller satztechnischen Komplexität leicht fassliches Gewebe farbkräftig Gestalt gewinnen. Die Intonation ist sattelfest und zugleich leicht in der Wirkung: Die in dieser Hinsicht besonders ergiebigen Stellen – etwa in ‚Die mit Tränen säen‘ oder ‚Da Jakob vollendet hatte‘ – werden mit Genuss ausgekostet. Im Tableau der Tempi ist das maßvolle Schreiten der Motette ebenso vertreten wie die fallweise und affektgetrieben drängende Beschleunigung des Madrigals.
Gregor Meyer auf einer Truhenorgel und Tillmann Steinhöfel auf dem Violone bilden die schlichte Continuo-Besetzung: Sie grundieren sicher, vermeiden zugleich jede Fülligkeit, was den intrikaten fünfstimmigen Satz durchgehend zur Geltung kommen lässt. Die klangliche Realisierung bietet ein perfekt gestaffeltes, mild räumliches Bild, das dem auf große Natürlichkeit abzielenden Interpretationsansatz des Ensembles deutlich entspricht und insgesamt fabelhaft geglückt ist.
Johann Hermann Schein und seinem Israelsbrünnlein die Ehre zu geben, ist nie vertane Mühe: Opella Musica und Gregor Meyer reihen sich mit dieser exquisiten solistischen Deutung in die nicht unendlich lange Folge künstlerisch hochstehender Gesamtbetrachtungen der Sammlung ein. Zugleich wird klar, auf welch beeindruckender Höhe Scheins Satzkunst siedelt. Kongenial verlebendigt – wie hier – ist sie auch dem Publikum der Gegenwart dringlich und triftig.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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J.H.Schein: Israels Brünnlein: Opella Musica, Gregor Meyer |
|||
Label: Anzahl Medien: |
cpo 1 |
Medium:
EAN: |
CD
761203545926 |
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Schein, Johann Hermann |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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