
Berthold Damcke: Piano Trios, Chamber Works - Pianotrio Then-Bergh Yang Schäfer
Im Geiste Mendelssohns und Schumanns
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das Klaviertrio Then-Bergh/Yang/Schäfer entdeckt mit Berthold Damcke einen erstklassigen Romantiker, der auf den Spuren Mendelssohns und Schumanns wandelte.
Der heute weitgehend vergessene Schriftsteller Walter Kiaulehn (1900 – 1968) war in der Nachkriegszeit Leiter des Feuilletons beim Münchner Merkur und als Literaturkritiker hoch angesehen. In einem bemerkenswerten, noch heute gültigen Stoßseufzer machte sich Kiaulehn Gedanken über das rasche Verschwinden einstmals berühmter Werke aus dem literarischen Betrieb: ‚Das große Schwurgericht der Literatur, das insgeheim alle fünfzig Jahre zusammentritt – keiner kann sagen wie und wo – verurteilt in Schnellverfahren ganze Reihen von Schriftstellern und ihre Werke zum Tode des Vergessens. Es gibt keine Revision gegen diese Urteilssprüche, und kein Lamento hilft. Dennoch erschrickt man beim Blick zurück, wie viele auf der Strecke geblieben sind.‘
Diese Klage über den ‚Tod des Vergessens‘ lässt sich beinahe bruchlos auf die Musik übertragen, wo kaum weniger Komponisten und ihre Werke auf der Strecke geblieben sind. Nicht immer, aber oft wurden die Tondichter zu Lebzeiten international geschätzt, ihre Werke häufig gespielt – doch der Ruhm verblasste schnell. Als ein Beispiel unter vielen kann man Berthold Damcke nennen, einen Komponisten aus der Generation Mendelssohns und Schumanns: 1812 in Hannover geboren, 1875 in Paris verstorben. Von Liszt und Berlioz geschätzt, hinterließ er ein beachtliches kompositorisches Werk, das es fast vollständig noch zu entdecken gilt. Einen ersten Schritt hierzu haben die drei Mitglieder des Klaviertrios Then-Berg – Yang – Schäfer mit vorliegender Doppel-CD getan: Neben den beiden Klaviertrios und der Cellosonate erklingen kürzere Stücke, darunter ein ‚Allegro caractéristique‘ für Klavier und ‚Deux Morceaux de Salon‘ für Cello und Klavier.
Hohe Inspiration
‚Morceaux de Salon‘ – komponierte Damcke etwas Salonmusik, also eingängige Massenware ohne persönliches Profil? Nein, gewiss nicht. Alle hier versammelten Werke zeugen von einem herausragenden handwerklichen Können und hoher Inspiration, und wenn man dem Tondichter überhaupt etwas vorwerfen kann, dann ist es das Fehlen eines unmittelbar wiedererkennbaren kompositorischen Profils. Damcke war Epigone im besten Sinne des Wortes, er schrieb Musik im Geiste Mendelssohns und Schumanns. Zumal die vier Charakterstücke für Klavier op. 30 klingen wie Schumann in Reinkultur. Wenn man diesen Einwand jedoch beiseite lässt, kann die Musik aufs Schönste überraschen. Das liegt sicherlich an den Werken selbst, aber in hohem Maße auch am Anteil der Interpreten.
Michael Schäfer, an allen Stücken beteiligt, nimmt klaglos die Rolle des Begleiters an, wenn Violine oder Violoncello im Vordergrund stehen; und er überzeugt mit virtuoser Brillanz, vor allem in ‚La Demande‘ op. 16, einem sechseinhalb Minuten dauernden Klavierstück, dessen technische Rasanz den Vergleich mit Liszt nicht scheuen muss. In den beiden Klaviertrios überzeugt das sensible Zusammenspiel aller Beteiligten und eine sehr nuancenreiche Gestaltung auch dort, wo Damcke vielleicht die eine oder andere Schleife zu viel dreht – zumal das zweite Trio op. 48 ist ihm streckenweise etwas zu lange geraten, überzeugt jedenfalls weniger als das spritzige, einfallsreiche erste Trio, in dem vor allem der Finalsatz (Allegro molto vivace) einen echten Geniestreich darstellt. Mindestens dieses erste Trio kann sich neben den genannten Vorbildern behaupten und hätte definitiv eine Chance im Konzertsaal verdient.
Und jeder Cellist, der sein Zugaben-Repertoire erweitern will, sollte es einmal mit den beiden ‚Morceaux de Salon‘ versuchen. Diese herrlich lyrischen, melodieseligen Stücke werden von Yang und Schäfer so überzeugend vorgetragen, dass man regelrecht dahinschmelzen kann. Weniger sehnsuchtsvoll, aber interpretatorisch auf ähnlich hohem Niveau präsentiert das Duo die (einzige) Cellosonate op. 43, gewidmet übrigens dem seinerzeit hochberühmten Pianisten und Komponisten Ignaz Moscheles – der mit Damcke das Schicksal teilt, heute allenfalls noch den auf das 19. Jahrhundert spezialisierten Musikhistorikern bekannt zu sein. Ilona Then-Bergh, Wen-Sinn Yang und Michael Schäfer dürfen für sich in Anspruch nehmen, solche Spezialisten zu sein – und, sozusagen fast nebenbei, erstklassige Musiker, die hier ein beeindruckendes Plädoyer für wunderschöne Kammermusik vorgelegt haben. Schließlich wird diese Musik auch klanglich einwandfrei präsentiert. Eine rundum überzeugende Doppel-CD.
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Berthold Damcke: Piano Trios, Chamber Works: Pianotrio Then-Bergh Yang Schäfer |
|||
Label: Anzahl Medien: |
cpo 1 |
Medium:
EAN: |
CD
761203552122 |
![]() Cover vergössern |
cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei... |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag cpo:
-
Schlank und festlich: Michael Alexander Willens bietet mit seiner Kölner Akademie eine festliche Weihnachtsgabe. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Intrigen im Kreml: Die deutsche Barockoper 'Boris Goudenow' macht in einer CD-Produktion von den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik großen Eindruck. Weiter...
(Karin Coper, )
-
Schwergewicht: Wilhelm Furtwänglers erste Sinfonie ist keine leichte Kost. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Weitere CD-Besprechungen von Dr. Michael Loos:
-
Französische Entdeckungen: Der Trompeter Håkan Hardenberger überzeugt mit einem rundum gelungenen Programm französischer Konzerte des mittleren und späteren 20. Jahrhunderts. Weiter...
(Dr. Michael Loos, )
-
Spätromantisches aus der Ukraine: Thomas de Hartmann komponierte Orchesterwerke von unterschiedlicher Qualität, kann sich aber mit dem Klavierkonzert und dem Scherzo-fantastique behaupten. Weiter...
(Dr. Michael Loos, )
-
Zwischen Czerny und Chopin: Nach der Einspielung der Sonaten profiliert sich Michele Bolla erneut als einfühlsamer und fein nuancierender Moscheles-Interpret. Weiter...
(Dr. Michael Loos, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Seltene Cello-Werke: Bartosz Koziak spielt Musik von Bohuslav Martinu. Weiter...
(Dr. Jan Kampmeier, )
-
Auftakt zu einer Trilogie: 'Christus das Kind' ist eine interessante Ausgrabung, die das Umfeld frühromantischer Oratorienliteratur verdeutlicht bzw. erst ins Blickfeld rückt. Ein 'Aha!'-Effekt stellt sich aber nicht ein. Weiter...
(Benjamin Künzel, )
-
Suggestive Trauergesänge: Glagolitische Riten beeindruckten Igor Kuljerić seit seiner Jugend. In seiner Totenmesse sprengt er damit den Rahmen. Weiter...
(Christiane Franke, )
Portrait

"Bei der großen Musik ist es eine Frage auf Leben und Tod."
Der Pianist Herbert Schuch im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich