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Montag, 27. März 2023

Genug - Ensemble BachWerkVokal, Gordon Safari

Bach im Austausch


Label/Verlag: MDG
Detailinformationen zum besprochenen Titel


BachWerkVokal natürlich mit Bach – in frischer, mit etlichen individuellen Akzenten versehener Deutung. Dazu ältere Impulse und programmatische Ausflüge bis in die Gegenwart.

Das junge österreichische Ensemble BachWerkVokal hat unter dem Titel ‚Genug‘ bei Dabringhaus & Grimm sein drittes Album vorgelegt, wiederum mit einer Motette Johann Sebastian Bachs als geistigem Ausgangspunkt: Hier ist es ‚Komm, Jesu, komm‘ BWV 229. Zuvor gab es mit ‚Cantate Domino‘, darauf folgend ‚Jesu, meine Freude‘ Programme, die, von Bach ausgehend, mit Telemann, Händel, Krebs, Doles oder Mozart die Zeitgenossenschaft und Nachfolge ebenso in den Blick nahmen wie mit Buxtehude die Welt der Vorläufer. Hier, auf der aktuellen Platte, spielt Bach eine dominante Rolle – der einleitenden Motette sind mit der zentral angeordneten Kantate BWV 82 ‚Ich habe genug‘ und der beschließenden Kantate BWV 60 ‚O Ewigkeit, du Donnerwort‘ weitere Schwergewichte beigegeben. Die Rolle der älteren Stimmen übernehmen Bachs Vorvorgänger als Thomaskantor Johann Schelle und der Thüringer Johann Rudolf Ahle mit je einem schlichten, als ‚Aria‘ betitelten Satz. Die von Bach weiter in die Zukunft führenden Stimmen werden überraschend besetzt: Zwei Lieder von Alma Mahler-Werfel bieten die stilistische Ausweitung bis in die Spätromantik und rahmen eine für das Ensemble BachWerkVokal im Jahr 2021 entstandene kantatenartige Komposition des jungen Österreichers Jakob Gruchmann (geb. 1991). Das ist affektiv ein erwartbar schroffer Kontrast, bietet auch inhaltlich eine große Ferne zur Welt der barocken Todessehnsucht. Bei Gruchmann sind es auf einen eher handfesten Text von Albert Vinzens das Spannungsfeld von ‚Gier und Genug‘ sowie, in Umkehrung der älteren Vorbilder, die Angst des gegenwärtigen Menschen vor dem Tod bei umso entschiedenerer Konzentration auf das Hier und Jetzt. Stilistisch ist das zerklüftet, expressiv, instrumental mit avancierten, aber doch im Rahmen der jeweiligen Spezifik abzubildenden Klanggestalten.

Luzide und fein

Das Vokalensemble war bei den vergangenen Produktionen der fein schimmernde Kern des jeweiligen Programms – und ist es auch hier: In personell verschiedenen Besetzungen mit je zwei Stimmen pro Register singt es schlank und klar, mit quasi solistischer Verantwortung für das Geschehen – und einem hörbar diesem Anspruch entsprechenden Bewusstsein. Dennoch integrieren sich die Stimmen in einen beinahe empfindsam, mindestens aber subtil zu nennenden Gesamtklang. Das gilt für Bach, gelingt aber vor allem bei Schelle und Ahle mit anrührender Schlichtheit. Die erklingenden Instrumente werden bei Bach und den Älteren dezent und behutsam eingesetzt, dabei farbig und variantenreich in der Wirkung. Neben einem luziden Basso continuo sind es bei Bach edle obligate Soli – allein schon die Oboe in BWV 82 verdient hohes Lob –, die für das Ensemble einnehmen. Bei der Gruchmann-Kantate lassen sich avancierte Gesten hören, ohne dass das Spektrum genuiner Klangerzeugung gemäß den instrumentalen Eigenheiten in Frage stünde.

Den vokalsolistisch größten Part meistert der Bariton Max Tavella in BWV 82 – und er tut das mit großem Atem, einer flexiblen, eher hell gefärbten Stimme, die die solistische Qualität, die in dem Vokalensemble steckt, aufs Glücklichste herausstellt. In BWV 60 wird rollendeckend agiert, der Tenorpart von Maximilian Kiener allerdings mit der Einschränkung einer etwas unsteten Tonproduktion. Bei dem Mahler-Lied ‚Laue Sommernacht‘ geht der Altistin Alicia Grünwald der letzte süffige Charme wohl etwas ab, obwohl die nötige stimmliche Autorität nicht nur behauptet wird. In ‚Hymne an die Nacht‘ reüssiert Electra Lochhead mit feiner Sopranglut, linear scharf und affektiv entschlossen.

Ausgelotete Feinheiten

Gordon Safari veranstaltet mit Blick auf die Tempi wie auf die dynamische Entfaltung keinerlei Überdruckexperimente, lotet Feinheiten aus, sucht nach dem, was in der Musik ist, nicht nach äußerer Force. Mit fast milder, dennoch klarer Geste wird Musik aus der zu Grunde liegenden Sprache hergeleitet – immer wieder mit klangzauberischer Anmutung.

BachWerkVokal natürlich mit Bach – in frischer, mit etlichen individuellen Akzenten versehener Deutung. Dazu ältere Impulse und programmatische Ausflüge bis in die Gegenwart. Dass Gordon Safari und sein Ensemble bei ihren interessanten Programmen den Weg des geringsten Widerstandes gingen, kann ihnen niemand nachsagen.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Genug: Ensemble BachWerkVokal, Gordon Safari

Label:
Anzahl Medien:
MDG
1
Medium:
EAN:

CD
760623225968


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Ahle, Johann Rudolf
Bach, Johann Sebastian
Schelle, Johann


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MDG

Die klangrealistische Tonaufnahme

»Den beim Sprechen oder Musizieren entstehenden Schall festzuhalten, um ihn zu konservieren und beliebig reproduzieren zu können, ist eine Idee, die seit langem die Menschen beschäftigte. Waren zunächst eher magische Aspekte im Spiel, die die Phantasie beflügelten wie etwa bei Giovanni deila Porta, der 1598 den Schall in Bleiröhren auffangen wollte, so führte mit fortschreitender Entwicklung naturwissenschaftlichen Denkens ein verhältnismäßig gerader Weg zur Lösung...« (Riemann Musiklexikon)

Seit Beginn der elektrischen Schallaufzeichnung ist der Tonmeister als »Klangregisseur« bei der Aufnahme natürlich dem Komponisten und dem Interpreten, aber auch dem Hörer verpflichtet. Die Mittel zur Tonaufzeichnung sind hinlänglich bekannt. Die Kriterien für ihren Einsatz bestimmt das Ohr. Deshalb für den Hörer hier eine Beschreibung unserer Hörvorstellung.

Lifehaftigkeit

In der Gewißheit, daß der Konzertsaal im Wohnzimmer (leider) nicht realisierbar ist, konzentriert sich unser Bemühen darauf, die Illusion einer Wirklichkeit zu vermitteln. Die Musik soll im Hörraum so wiedererstehen, daß spontan der Eindruck der Unmittelbarkeit entsteht, das lebendige Klanggeschehen mit der ganzen Atmosphäre der »Lifehaftigkeit« erlebt wird. Da wir praktisch ausschließlich menschliche Stimmen und »klassische« Instrumente - auch sie haben ihren Ursprung im Nachahmen der Stimme - aufnehmen, konzentriert sich unsere Klangvorstellung auf natürliche Klangbalance und tonale Ausgeglichenheit im Ganzen, und instrumentenhafte Klangtreue im Einzelnen. Darüber hinaus natürliche, ungebremste Dynamik und genaueste Auflösung auch der feinsten Spannungsbögen. Weitestgehend bestimmend für die Illusion der Lifehaftigkeit ist auch die Ortbarkeit der Klangquellen im Raum: freistehend, dreidimensional, realistisch.

Musik entsteht im Raum

Um diesen »Klangrealismus« einzufangen, ist bei den Aufnahmen von MDG eine natürliche Akustik unbedingte Voraussetzung. Mehr noch, für jede Produktion wird speziell in Hinblick auf die Besetzung und den Kompositionsstil der passende Aufnahmeraum ausgesucht. Anschließend wird »vor Ort« die optimale Plazierung der Musiker und Instrumente im Raum erarbeitet. Dieser ideale »Spielplatz« ermöglicht nun nicht nur die akustisch beste Aufnahme, sondern inspiriert durch seine Rückwirkung die Musiker zu einer lebendigen, anregenden Musizierlust und spannender Interpretation. Können Sie sich die Antwort des Musikers vorstellen auf die Frage, ob er lieber in einem trockenen Studio oder in einem Konzertsaal spielt?

Die Aufnahme

Ist der ideale Raum vorhanden, entscheidet sich der gute Ton an den Mikrofonen - verschiedene Typen mit speziellen klanglichen Eigenheiten stehen zur Auswahl und wollen mit dem Klang der Instrumente im Raum in Harmonie gebracht werden. Ebenso wichtig für eine natürliche Abbildung ist die Anordnung der Mikrofone, damit etwa die richtigen Nuancen in der solistischen Darstellung oder die Kompensation von Verdeckungseffekten realisierbar werden. Das puristische Ideal »nur zwei Mikrofone« kann selten den komplexen Anforderungen einer Aufnahme mit mehreren Instrumenten gerecht werden. Aber egal wie viele Mikrofone verwendet werden: Stellt sich ein natürlicher Klangeindruck ein, ist die Frage nach dem Zustandekommen des »Lifehaftigen« zweitrangig. Entscheidend ist, es klingt so, als wären nur zwei Mikrofone im Spiel.

Ohne irgendwelche »Verschlimmbesserer« wie Filter, Limiter, Equalizer, künstlichen Hall etc. zu benutzen, sammeln wir die Mikro-Wellen übertragerlos in einem puristischen Mischpult und geben das mit elektrostatischem Kopfhörer kontrollierte Stereosignal linear und unbegrenzt an den AD-Wandler und zum digitalen Speicher weiter. Dadurch bleiben auch die feinsten Einschwingvorgänge erhalten. Auf der digitalen Ebene wird dann ohne klangmanipulierende Eingriffe mit dem eigenen Editor in unserem Hause das Band zur Herstellung der Compact Disc für den Hörer erstellt, für Ihr hoffentlich großes Hörvergnügen.


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