
Mahler: Symphonie Nr. 9 - Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Simon Rattle
Magischer Mahler
Label/Verlag: BR-Klassik
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das BRSO und Simon Rattle mit einer Referenz-Aufnahme der Neunten.
Im November 2021, mitten im kritischen Spannungsfeld pandemiebedingter Einschränkungen, ereignete sich in der Münchner Isarphilharmonie eine echte Sternstunde. In einem kurzfristig für den Verkauf neu aufgelegten, nur noch zu 25% kontingentierten und dem Andenken des kurz zuvor verstorbenen Bernard Haitink gewidmeten Sonder- und Benefizkonzert spielte das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks an zwei Abenden Gustav Mahlers Symphonie Nr. 9.
Atemberaubende Spannung
Von den ersten Takten der sich allmählich entwickelnden melodischen Keimzelle an erzeugt Rattle eine atemberaubende Spannung und Intensität. Sublime Pianissimo-Sphären definieren das charakteristische Seufzer-Motiv mit seinem programmatisch immer wieder viel diskutierten "Leb wohl"-Gehalt. Resigniertes Innehalten macht Rattle zu Momenten, in denen die Zeit wirklich stillzustehen scheint. Mit unnachgiebiger Kraftentfaltung führt er die Dramaturgie hin zu Mahlers buchstäblich ausgespielter Vortragsanweisung "mit äußerster Gewalt". Subtile Dialoge zwischen zweiter Violine und Horn oder letzterem und Flöte stehen für die individuell hochklassige instrumentale Behandlung der Soli.
Bestechende Klarheit
Im tänzerisch-parodistischen Chaos des zweiten Satzes behält das BRSO mit bestechender Klarheit die Übersicht über stimmliche und motivische Konturen. Eklatant zugespitzte harmonische Reibungspunkte haben bei Rattle volle dissonante Sprengkraft. Der choralartig verträumte Mittelteil ruht mit melancholischer Innigkeit in sich. Berührend ist die warme Streicherintensität des "Adagio", die instrumentalen Soli, ob Fagott-Motiv oder wehmütiger Gesang der Violine sind weiterhin erstklassig vorgetragen. Auch in den musikalischen "Auflösungserscheinungen" der nach und nach im vierfachen Piano verklingenden Sphären halten das BRSO und Rattle die musikalische Hochspannung und immense Suggestivität bis zum Schluss - genauer gesagt, bis lange nach dem letzten Ton. Traditionell Rückblickendes, radikal Modernes, schonungslos aufgezeigte seelische Abgründe, überirdisch entrückte, gesangvolle Schönheit - diese Interpretation hat auf alle symphonisch letzten und essentiellen Fragen, die hier von Mahler musikalisch verhandelt werden, eine Antwort. Wer, wie der Autor, das Glück hatte, damals live dabei gewesen zu sein, wird diese Aufführung dieser "Neunten" nicht vergessen. Ein wahrer Glücksfall, dass sie aufgezeichnet und nun veröffentlicht wurde. Mit besonders schwärmerischen Adjektiven wie "magisch" sollte man zurückhaltend umgehen - dieses Konzert verdient dieses Prädikat. Bleibt zu hoffen, dass sich das BRSO und Rattle in seiner neuen Amtszeit häufig Mahler zuwenden.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Mahler: Symphonie Nr. 9: Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Simon Rattle |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: Aufnahmejahr: |
BR-Klassik 1 07.10.2021 078:55 2021 |
Medium:
EAN: BestellNr.: Booklet |
CD
4035719002058 900205 |
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Mahler, Gustav |
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"GUSTAV MAHLER: Symphonie Nr. 9 Für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks stellten die Aufführungen von Gustav Mahlers neunter Symphonie am 26. und 27. November 2021 in der Isarphilharmonie den Aufbruch in ein neues Kapitel seiner Mahler-Interpretation dar, denn mit dem designierten neuen Chefdirigenten Simon Rattle steht ein ebenso glühender Mahler-Verehrer an der Spitze des Orchesters, wie es seine Vorgänger Jansons, Maazel und Kubelík waren. Das Benefizkonzert am 26. November widmeten die Musiker dem Andenken des im Oktober 2021 verstorbenen Dirigenten Bernard Haitink, der 61 Jahre lang mit dem renommierten Klangkörper verbunden war. Die sehr lange Stille nach dem Schlussakkord war ein Gänsehaut-Moment; einer jener Augenblicke, für die man ins Konzert geht, für die überhaupt Musik gemacht wird. Vor allem seine neunte Symphonie wird als Mahlers Reaktion auf eine Herzkrankheit verstanden, die diagnostiziert wurde, kurz bevor er im Sommer 1908 die ersten Entwürfe niederschrieb. Er war tief verzweifelt und ahnte kaum, wie wenige Lebensjahre ihm tatsächlich nur mehr verbleiben sollten. Die Verarbeitung und Auseinandersetzung mit dem Erlebten und den Themen Abschied vom Leben, Sinn des Daseins, Tod, Erlösung, Leben nach dem Tod und Liebe geschah bei ihm – wie stets – in der Musik und durch Musik. Seine neunte Symphonie entstand zwischen 1909 und 1910 in Toblach in einer Art Schaffensrausch. Die Uraufführung fand am 26. Juni 1912 in Wien statt: die Wiener Philharmoniker spielten das Werk unter Leitung von Bruno Walter. Mahler war bereits am 18. Mai 1911 verstorben und konnte die Uraufführung seines letzten vollendeten Werks nicht mehr miterleben. Bereits eine der ersten Reaktionen auf die Uraufführung deutete den synkopischen Rhythmus, mit dem das viersätzige Werk beginnt, als Schlag eines kranken Herzens. Da Mahler an einer Herzkrankheit starb, wurde seine letzte vollendete Symphonie kurzerhand in Todesnähe gerückt: Paul Bekker gab ihr die heimliche Überschrift „Was mir der Tod erzählt“ und Peter Andraschke vermutete ganz konkret, Mahler habe hier, „wohl bedingt durch sein Herzleiden, seine Todesahnung komponiert“. Etwas poetischer schrieb Willem Mengelberg, der erste passionierte Mahler-Dirigent, in seine Partitur: „Mahlers Seele singt ihren Abschied!“ Und Simon Rattle konstatiert ganz aktuell: „Hier geht’s um die ganze Welt.“" |
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BR-Klassik BR-KLASSIK, das Label des Bayerischen Rundfunks (BR), veröffentlicht herausragende Live-Konzerte des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks (BRSO), des Chors des Bayerischen Rundfunks, des Münchner Rundfunkorchesters sowie der Konzertreihe musica viva. Dabei ist es ein wesentliches Ziel des Senders, über seine Radio- und TV-Programme hinaus auch digital sowie via CD und DVD allen Musikfreunden weltweit Zugang zu besonderen Aufnahmen zu bieten und auf diese Weise auch jenes Publikum zu erreichen, welches keine Möglichkeit hat, die Konzerte der internationalen Tourneen selbst vor Ort live zu erleben. Neben den jeweiligen Chefdirigenten wie beispielsweise Mariss Jansons oder Sir Simon Rattle finden sich großartige Künstlerpersönlichkeiten wie Daniel Barenboim, Herbert Blomstedt, Bernard Haitink und viele andere mehr. Die Reihe BR-KLASSIK WISSEN liefert unterhaltsame und kurzweilige Hörbiografien von Jörg Handstein mit vielen Hintergrundinformationen und Musikbeispielen auf jeweils 4 CDs, erzählt von Udo Wachtveitl sowie spannende Werkeinführungen in bedeutende Kompositionen der Musikgeschichte. Durch die Reihe BR-KLASSIK ARCHIVE werden historische Aufnahmen des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks wieder verfügbar. Beispielsweise die legendäre Aufführung des Verdi-Requiems unter der Leitung Ricardo Mutis mit Jessye Norman, Agnes Baltsa, José Carreras und Jewgenij Nesterenko und dem Chor des BR im Jahr 1981 oder etwa denkwürdige Konzertabende mit der Pianistin Martha Argerich: 1973 unter Leitung von Eugen Jochum mit Mozarts Klavierkonzert KV 456 sowie zehn Jahre später mit Beethovens Klavierkonzert Nr.1 unter Seiji Ozawa. Mittlerweile umfasst der gesamte Katalog über 200 Aufnahmen und hat bereits mehr als 50 renommierte und internationale Auszeichnungen erhalten, darunter den Preis der Deutschen Schallplattenkritik, den Diapason d’or, den BBC Music Magazine Award und den ICMA. BR-KLASSIK wird weltweit durch NAXOS vertrieben. Selbstverständlich gehören hierzu auch digitale Portale wie Spotify, Apple, amazon u.v.a.. Die Naxos Music Library präsentiert zudem für Universitäten und öffentliche Bibliotheken via Internet einen ständig wachsenden Katalog mit tausenden von Titeln weltweit führender Labels. Studenten, Lehrpersonal und andere Benutzer können sich jederzeit einloggen und in der Bibliothek, im Hörsaal, im Studentenwohnheim, im Büro oder zu Hause das komplette Repertoire abrufen - auch die Aufnahmen von BR-KLASSIK. Mehr Info... |
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