
The Yiddish Songs - Dalia Schaechter, Cislla Csovari, Matthias Hoffmann, Dustin Drosdziok
Energetische Revue
Label/Verlag: ARS Produktion
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Mit 'Mazeltov, Rachel’e' liegen beim Label Ars nun die musikalischen Nummern des gleichnamigen Bühnenwerks auf CD vor: ein Reigen an lohnenswerten Ausgrabungen unbekannter jüdischer Komponisten.
Eine Operette nennt Autor und Arrangeur Christian von Götz sein Bühnenwerk ‚Mazeltov, Rachel’e‘, das im Juni 2021 an der Oper Köln mit großem Erfolg über die Bühne ging. Die Geschichte hat Revuecharakter mit vielen Unterhaltungsmomenten und anrührendem Tiefgang: Die israelische Sängerin Lea ist todkrank und hadert mit ihrem Leben, auch mit der Tatsache als Jüdin vor allem Richard Wagner gesungen zu haben. Nachts in ihrer Wohnung erscheinen ihr die Ahnen – allen voran ihre Ururgroßmutter Rachel, die als Operettendiva im Odessa der 1860er-Jahre eine umschwärmte Lokalberühmtheit war. Im Laufe der Handlung treten Rachels Ehemann Leyser, der Theaterimpresario Abraham Goldfaden und Leas Urgroßmutter Gisse, die in Auschwitz ermordet wurde, hinzu. Alle erzählen aus ihrem Leben, es entspinnt sich ein fragiles Netz aus Zusammenhängen und Erkenntnissen, bis schließlich Lea stirbt und von den Ahnen zu sich geholt wird. Von Götz verwebt jüdisches Kulturleben im 19. Jahrhundert, die Pogrome, die Flucht aus dem Osten in die Neue Welt, den Holocaust und jüdische Identität in der Gegenwart zu einem abendfüllenden Stück, das einem mit viel Energie und Lust am Leben entgegentritt.
Beim Label Ars sind mittlerweile die musikalischen Nummern von ‚Mazeltov, Rachel’e‘ auf einer nicht ganz einstündigen CD erschienen. Der Begriff ‚Operette‘ klebt als Label ein wenig fragwürdig auf dem Werk, sind doch die ausgewählten Songs nahezu gänzlich aus dem Bereich des Yiddish Ragtime oder Yiddish Broadway. Das hat mitnichten etwas mit der heuten Musical-Szene zu tun, aber es sind vornehmlich Show-Songs, die in ihrer Form vielleicht am ehesten mit Berliner Chansons oder Couplets zu vergleichen sind. Die Ausgrabungen an sich sind fraglos spektakulär und mehr als willkommen, um diese Schätze jüdischer Unterhaltungskunst des frühen 20. Jahrhunderts endlich einmal hören zu können. Wer kennt heute, zumal in Europa, schon Komponisten wie Louis Friedel, Alexander Olshanetsky, Reuben Doctor, Solomon Smulewitz, David Meyerowitz oder eben den im Stück auftauchenden Abraham Goldfaden, um nur einige der hier vertretenen Tonkünstler zu nennen?
Es macht große Freude, die allesamt in jiddischer Sprache eingespielten Lieder zu erleben. Teils erklingen sie in ihrem ursprünglichen Wortlaut, zum großen Teil sind sie aber von Christian von Götz im Zuge der dramatisierten Verwendung textlich angepasst bzw. eingerichtet worden. Das Zentrum und Herzstück von ‚Mazeltov, Rachel’e‘ ist eine jiddisch gesungene Version von Isoldes Liebestod aus Richard Wagners ‚Tristan und Isolde‘. Eine spannende Konfrontation der Musik des Antisemiten Wagner mit Sprache und Kultur der Verfolgten, die der Musik bei aller gelungenen Ironisierung nicht die Kraft raubt – sie vielleicht sogar noch auf eine zutiefst menschliche Art und Weise verstärkt.
Mitreißender Eindruck
Im schön gestalteten Beiheft liest man ein Interview mit dem Autor, der all die Gedankengänge und Absichten wortreich erklärt. Was sich letztlich – vor allem in der Reduktion auf einen Tonträger – davon einlöst, steht auf einem anderen Blatt. Der mitreißende Eindruck der Musiknummern ist unumstößlich, das kleine Instrumentalensemble, bei dem sich Christian von Götz als Gitarrist in Szene setzt, lässt es ordentlich krachen, befeuert schmissig die Rhythmen und Farben, findet aber auch zu innigen und aufrichtigen Tönen, wie beispielsweise in Olshanetskys ‚Sheyn‘, das von Matthias Hausmann als Goldfaden ebenso schlicht wie beglückend schön gesungen wird. Auch Dustin Drosdziok als Leyser und Csilla Csövari als Gisse entwickeln kommunikative Kraft und stellen ihre hohe Musikalität wie sprachliche Gewandtheit unter Beweis.
Die Lea von Verena von Götz und die Rachel von Altmeisterin Dalia Schaechter kommen dagegen auf CD nicht besonders gut weg – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Verena von Götz ist fraglos sehr musikalisch, an ihrer Intonation ist nichts auszusetzen und aller Lieder entledigt sie sich souverän. Allein eine Figur wird daraus nicht – eine Anmerkung, die auch die anderen Solistinnen und Solisten teilweise betrifft –, aber Verena von Götz kann sich nicht auf eine üppige vokale Darbietung zurückziehen, sondern bleibt eine singende Schauspielerin, die mit Zwischentönen und Schattierungen Ausgelassenheit, Betroffenheit oder Trauer herzustellen versucht, ohne dass der Funken überspringen will. Das flotte ‚Mayn Mishpukhe‘ will nicht zünden und das fast finale ‚A pogrom‘ will nicht anrühren – zumindest nicht in der akustischen Reduktion. Hier ist vermutlich die darstellerische Komponente unabdingbar, um die Leistung der Künstlerin wirklich zu würdigen.
Ähnlich verhält es sich mit Dalia Schaechter. Sie trifft inhaltlich in Sekundenschnelle ins Schwarze, hat aber nicht mehr die stimmliche Verfassung, um auf CD für sich einzunehmen. ‚Mikh ruft di fidl‘ entwickelt noch eine gewisse Komik durch den ältlich instabilen, dünnen Klang, aber spätestens beim so oft zitierten ‚jiddischen Liebestod‘, will die Tonaufnahme einfach nicht mehr überzeugen. Die Idee dahinter ist klar, aber die Umsetzung sollte dem Liveerlebnis auf einer Bühne vorbehalten bleiben.
Der Gesamteindruck dieses Albums ist zwiespältig: ein spannendes Konzept, interessante Ausgrabungen, kraftvolle Ideen – die Ausführung begnügt sich dann aber mit viel Fassade und Effektgedanken, die gerne mal in einem Schulterzucken beim Hörer verpuffen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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The Yiddish Songs: Dalia Schaechter, Cislla Csovari, Matthias Hoffmann, Dustin Drosdziok |
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Label: Anzahl Medien: |
ARS Produktion 1 |
Medium:
EAN: |
CD
4260052386149 |
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ARS Produktion Das exquisite Klassiklabel ARS Produktion wurde 1987 von Annette Schumacher mit dem Ziel gegründet, jungen, aufstrebenden Künstlern und interessanten Programmen gleichermaßen eine individuelle musikalische Heimat und entsprechende Marktchancen, u.a. durch internationalen Vertrieb und Vermarktung zu geben. Die bei Paul Meisen ausgebildete Konzertflötistin hat sich damit nach langer aktiver Musikerlaufbahn einen geschäftlichen Traum erfüllt.
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