
Bach: Magnificat - Gaechinger Cantorey, Hans-Christoph Rademann
Vater und Sohn vertonen das Magnificat
Label/Verlag: ACCENTUS Music
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Eine neue Referenzaufnahme mit der Gaechinger Cantorey unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann setzt Maßstäbe.
Wenn Vater Bach und Sohn Bach denselben Text vertonen, kann man im Vergleich erkennen, wie die verschiedenen musikalischen Auffassungen zu verschiedenen kompositorischen Lösungen führen. Hier ist es das Magnificat, das von Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach gleicherweise in Töne gefasst wurde. Soviel sei bereits zu Beginn verraten: Beide erfahren durch die Gaechinger Cantorey unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann eine maßstäbliche Einspielung, die nicht leicht zu übertreffen sein wird.
Auffallend ist zunächst, mit welchem Tempo Rademann und sein Chor das Werk des Vaters angehen. Bis auf wenige Ausnahmen ist Rademann schneller als zum Beispiel Harnoncourt in der Aufnahme aus dem Jahre 1984. Und ein anderes Detail spricht für die Weiterführung der historisch informierten Aufführungspraxis: Die Solisten nehmen sich in der neuen Aufnahme in ihrem Vibrato sehr zurück und begünstigen damit die Klarheit der Darstellung. Bei dem Trio „Suscepit Israel“ kommt es bei Harnoncourt zu unschönen Überlappungen durch die unterschiedlichen Vibrati, während es bei Rademann fast wie aus einem Mund erklingt. Letzteres gilt auch für das Duo Alt und Tenor bei „Et misericordia“. An diesem Detail kann man erkennen, wie der damalige Anstoß durch Harnoncourt zu einer höchst erfreulichen Weiterentwicklung seines Ansatzes geführt hat.
Schauen wir zunächst Vater Bach an. Federnd, beinahe tänzerisch wird der einleitende Chorsatz genommen. Der Chor verschleift dabei die Noten nicht, sondern lässt jede ihren eigenen Raum. Er fügt sich nahtlos in den Instrumentalsatz ein. Dabei bleiben beide, Chor und Orchester, durchsichtig und ausgewogen. Es ist einfach ein Vergnügen, dieser Aufnahme zu lauschen. Ähnlich ergeht es den Solopartien. Der instrumentale Anteil wird stets beinahe unmerklich modelliert. Der musikalische Fluss wird dadurch nicht gehemmt. Zupackend dann „Omnes generationes“, ein tönendes Gewebe entsteht. Erwähnt sei noch das vokale Trio „Misericordia“, das einfühlsam gesungen wird, die Sänger sind hervorragend aufeinander eingespielt und fügen sich nahtlos in den Orchestersatz ein. Der Höhepunkt des chorischen Geschehens ist erreicht bei „Fecit potentiam“. Wie der Chor sich steigert und auf dem Höhepunkt des verminderten Septakkordes verweilt, um nach einer Pause intensiv den Schlussteil zu zelebrieren: so schlüssig und spannungsgeladen hat man es selten erlebt. Man könnte Nummer auf Nummer folgen und würde bei jeder neue Schönheiten entdecken. Erwähnt sei noch das vokale Trio „Misericordia“, das einfühlsam gesungen wird, die Sänger sind hervorragend aufeinander eingespielt und fügen sich nahtlos in den Orchestersatz ein. Bei all den Einzelheiten geht nie die Spannung über das ganze Werk hin verloren.
Perfekte Polyphonie
Vom Vater zum Sohn. Es ist seine erste Vokalkomposition und entstand 1749 als Probestück für die Bewerbung zum Thomaskantor in der Nachfolge seinen Vater. Er scheiterte ebenso wie sein Bruder Wilhelm Friedemann; den Zuschlag erhielt Johann Gottlob Harrer, der ohne weitere Bedeutung geblieben ist. Carl Philipp Emanuel (CPE) eröffnet sein Magnificat mit einer prachtvollen Orchestereinleitung, fast noch im barocken Stil. Die neue Musik des Zeitalters der Empfindsamkeit schimmert aber in manchen Wendungen schon durch. Die Harmonik ist einfacher; die Melodie wird zum tragenden Gerüst. Aber noch könnte es der Vater komponiert haben, zumal in seinen letzten Lebensjahren, als seine Tonsprache für Kammer- und Klaviermusik die ersten Einflüsse der kommenden Entwicklung enthielt. In den Arien wird indessen schon eifrig der neue Stil praktiziert. Die Kadenz erhält ein neues Gewicht. Die Sänger haben Koloraturarien, die in der Aufnahme gut gemeistert werden. Lediglich der Tenor bleibt etwas blass – das stört den Gesamteindruck nur wenig. Komplementäre Rhythmen machen sich beinahe selbstständig. „Suscepit Israel“ singt der Alt in berückender Schönheit. Überraschend kommt hier schon das Gloria und nimmt das Thema des Eingangschors wieder auf und singt mit derselben Behändigkeit, die aber keine Eile zulässt. Das Schlussstück ist „Sicut erat“. Hier gelingt dem Komponisten eine perfekte Polyphonie, die der des Vaters nicht nachsteht. Am Ende kommt der Komponist zu einem glanzvollen Schlussstück.
Insgesamt geht man fehl, wenn man ein qualitatives Gefälle zwischen Vater und Sohn sucht. Beide Kompositionen stehen für sich und haben ihr eigenes Recht. Dem Magnificat von CPE ist eine weitere Verbreitung zu wünschen. Das dreisprachige Booklet enthält eine ausgezeichnete Einführung in beide Werke und ist zudem mit stimmungsvollen Fotos garniert.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Bach: Magnificat: Gaechinger Cantorey, Hans-Christoph Rademann |
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Label: Anzahl Medien: |
ACCENTUS Music 1 |
Medium:
EAN: |
CD
4260234832709 |
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Bach, Carl Philipp Emanuel |
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