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Freitag, 9. Juni 2023

Winterstürme - Sächsische Staatskapelle, Christian Thielemann

Thielemann dirigiert Wagner-Highlights


Label/Verlag: Profil - Edition Günter Hänssler
Detailinformationen zum besprochenen Titel


In der Edition Günter Hänssler ist ein Konzertmitschnitt von den Salzburger Osterfestspielen von 2021 auf CD erschienen, mit dem ersten Aufzug der 'Walküre' und einem Best-of aus 'Götterdämmerung'.

Man kann nun wirklich nicht behaupten, dass in Bezug auf herausragende „Walküre“-Aufnahmen irgendein Mangel besteht. Das gilt speziell für Aufnahmen vom 1. Aufzug mit dem ekstatischen Liebesduett zwischen Siegmund und Sieglinde – seit jeher ein Wunschkonzert-Klassiker und eine der überwältigendsten Musiken, die jemals geschrieben wurden. Vermutlich hat jeder Wagner-Fan mindestens (!) fünf Lieblingsaufnahmen zuhause stehen und könnte jetzt trefflich mit mir streiten, ob Jessye Norman die beste Sieglinde aller Zeiten war oder doch eher Leonie Rysanek (oder vielleicht Margarete Teschemacher  oder Hilde Konetzni …).

Genauso ließe sich debattieren, ob Ludwig Suthaus auf der Furtwängler-Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern der in jeder Hinsicht perfekteste Siegmund der Schallplattengeschichte ist. Denn wer hat vorher oder später jemals die „Winterstürme“ so hingebungsvoll, poetisch textverständlich, schmelzend und klangschön gesungen, dabei trotzdem die Kraftreserven besitzend, um in den Knallermomenten die ganz großen vokalen Geschosse auszupacken – ohne jemals schrill oder gequetscht zu klingen? Okay, das schafft Max Lorenz auch, auf andere Weise, aber der hat statt Furtwängler nur Karl Elmendorff als Dirigent, der 1944 in der 1.-Aufzug-Radioaufnahme nicht mal annähernd den Orchestertaumel entfacht, den Furtwängler zehn Jahre später für EMI im Studio entfesselt.

Nun ist in der „Edition Staatskapelle Dresden“ bei Hänssler eine Doppel-CD erschienen, die eine konzertante Aufführung dieses 1. Aufzugs vom Oktober 2021 bei den Salzburger Festspielen dokumentiert. Es dirigiert Christian Thielemann, als Solisten stehen ihm Anja Kampe und Stephen Gould als Wälsungenpaar zur Verfügung, plus René Pape als Hunding.  Auf der zweiten CD hört man instrumentale Ausschnitte aus „Götterdämmerung“ („Morgendämmerung“, „Siegfrieds Rheinfahrt“, „Trauermarsch“) mit Brünnhildes Schlussgesang als Finale, abermals mit Kampe.

Wo beginnen? Vielleicht mit dem wunderbar warmen Orchesterklang der Sächsischen Staatskapelle. Sie klingen durchweg phänomenal und liefern einen Breitwand-Sound, der sich gut in jedem Hollywoodstreifen machen würde. Dazu passt, dass Thielemann hier Wagner extrem breit dirigiert, fast hypnotisch. Man verfällt beim Zuhören in eine Art Trance, gleich von den ersten Takten des „Walküre“-Vorspiels an, lässt sich berauschen, ja sogar beglücken. Die dramatischen Momente erheben sich wie ein Aufbäumen aus dem Gesamtklang empor, sie sind keine Akzente, die Kontraste markieren. Gleichzeitig scheint Thielemann das Tempo immer wieder bewusst zu verlangsamen, wenn’s richtig zur Sache geht. Das führt dazu, dass das taumelnde Orchesternachspiel beim 1. Aufzug der „Walküre“ fast träge wirkt, nicht so, als würden da zwei Menschen in ungebremster Lust übereinander herfallen.

Wie ein Thriller

Da bildet Furtwängler den größtmöglichen Kontrast, indem er beim Hörer wirklich den Adrenalinspiegel steigen lässt. So dass man atemlos zuhört, wie bei einem Thriller. (Um den es sich zweifellos handelt.) Bei Thielemann ist man eher – metaphorisch gesprochen – in der „Wunderbaren Welt der Tiere“ am Sonntagabend im ZDF. Was man bevorzugt, ist eine Frage des persönlichen Geschmacks. Das Publikum in Salzburg scheint begeistert zu sein, denn man hört auf der CD endlosen Applaus und großen Jubel, der in vollständiger (!) Länge und mit allem Fußgetrampel und allen Bravos dokumentiert ist. Irgendwann dachte ich, das hätte man für die CD-Edition kürzen sollen, es wirkt ab einem bestimmten Punkt wie Parodie. (Das gilt noch mehr für CD 2, wo es als Bonus-Track noch Tonausschnitte der Generalprobe gibt, mit Zwischenansagen von Thielemann. Sollen die belegen, was für ein netter Kerl er ist? Einen nennenswerten Mehrwert liefern diese Probendokumente für mich nicht. Aber womöglich sehen das eingefleischte Thielemann-Fans anders.)

Tja, und dann sind da natürlich die Sänger. Wenn man gleich zum Wunschkonzert-Moment „Ein Schwert verhieß mir der Vater“ springt und Stephen Gould hört, muss man sagen: das ist schlichtweg nicht konkurrenzfähig. Jedenfalls nicht auf Tonträger. (Live mag das eine andere Sache sein.) Goulds Töne schrammen permanent an der richtigen Tonhöhe vorbei, wirken einerseits naiv-kindlich, dann wieder extrem gedrückt, nie „schön“ in irgendeinem klassischen Sinn, aber auch nicht charaktervoll. Eigentlich brilliert Gould nur in einem einzigen Moment, nämlich den endlos gehaltenen „Wälse“-Rufen, wo er seine Stimme unter maximalen Druck setzt und einen gleichmäßig lauten, imposanten, gleichmäßig schwingenden Klang erzeugt. Auch das wirkt hier – auf mich – in dieser Endlosigkeit ebenfalls wie Parodie. Vor allem machen die „Wälse“-Rufe alleine keine irgendwie interessante „Walküre“ aus. Da fehlt in der Textbehandlung jegliches Gespür für die Verführungskraft der gesungenen Worte, jeder Sinn für Überraschung und vor allem: anders als beispielsweise Suthaus kann Gould nie den Klang so intensivieren, dass man merkt, jetzt geht’s ums Ganze, jetzt brennen die Sicherungen durch, jetzt gibt’s kein Halten mehr, die Tore des unendlichen Rausches öffnen sich. (Das sind die Momente, auf die jeder eingefleischte Wagnerianer wartet, und diese Momente gibt’s glücklicherweise auf Tonträgern zuhauf.)

Leuchtraketen

Anja Kampe an der Seite von Gould verfügt über einen warmen vollen Sopranklang, der hier (übers Mikrofon) statuarisch und mütterlich klingt. Die zaghafte und mädchenhafte Zögerlichkeit, die Konetzni ebenso wie Teschemacher demonstrierten, fehlt von Anfang an. Und im Gegensatz zu Rysanek – deren Stimme meist um Nuancen zu tief klingt – kann Kampe nicht in den Bann schlagen mit diesem stetigen Warten, wo bei Rysanek ein vergleichbar üppiger Sopran „erwacht“ und dann die berühmten Leuchtraketen abfeuert, die einen als Hörer süchtig nach mehr machen. (Norman schafft da einen imposanten Mittelweg und bedient beides.)

Man könnte sagen, dass Kampe eine absolut professionelle Leistung anliefert, mit schönen Tönen und sympathischer Ausstrahlung. Aber aufregend ist sie nicht, wenn ich es krass reduziert formulieren müsste. Aufregendes Singen ist jedoch bei jeder Wiedergabe des 1. Aufzugs der „Walküre“ die absolute Grundvoraussetzung. Hier fehlt vokal beiden Solisten der Wille (oder das Können?) eine akustische Rollengestaltung abzuliefern, mit der Thielemann seine Wagner-Interpretation zum Ereignis auf CD hätte machen können. Und René Pape im Alleingang kann daran auch wenig ändern.

Im Schlussgesang – der immerhin fast 30 Minuten dauert – fällt dieser Mangel an aufregender Gestaltung noch mehr ins Gewicht. Weil dieses Finale über weite Strecken auf der Stelle zu treten scheint, schaltet man irgendwann emotional ab. Mir ging das zumindest so. Ich hörte nicht mehr gebannt zu und wartete, dass etwas Spannendes passiert (z.B. bei „Fliegt Heim, ihr Raben!“ oder bei „Alle Eide trog keiner wie er“). Für mich versank dieser Weltenuntergang, den Thielemann nachzuzeichnen versucht, in Wohlklang und Wohlbefinden, das war kein Roland-Emmerich-Spektakel. Auch nicht das, was P. Craig Russell in seinem neu ins Deutsche übertragenen „Ring“-Comic zeigt. Es fehlt einfach: der Kick. Und in „Götterdämmerung“ bietet Wagner zweifellos einige ultimative Kicks.

Wenig imposant

Als Dokument von Wagner-in-Coronazeiten mag diese Aufnahme, die ursprünglich vom ORF gemacht wurde und später von Hänssler übernommen wurde, irgendwann mal interessant sei. (Stichwort: Salzburger Osterfestspiele im Oktober.) Ich konnte damit wenig anfangen, und empfand sogar den „Trauermarsch“ wenig imposant. Und das, obwohl ich Thielemann in Bayreuth mit der „Götterdämmerung“ gehört habe und diesen Moment damals mit ihm phänomenal fand.

Ein Gutes hatte die Beschäftigung mit der neuen Aufnahme: Sie hat mich dazu gebracht, meine Alternativ-Versionen wieder auszukramen und stundenlang vergleichende Interpretationen zu hören. Ein angenehme Beschäftigung in frostiger Winters Frist.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Winterstürme: Sächsische Staatskapelle, Christian Thielemann

Label:
Anzahl Medien:
Profil - Edition Günter Hänssler
2
Medium:
EAN:

CD
881488220384


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Wagner, Richard


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Profil - Edition Günter Hänssler

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