
Weckmann: Sonatas for the Hamburg Collegium Musicum - Musica Fiata, Roland Wilson
Sonatenschatz
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Matthias Weckmann wird hier von Roland Wilson und seiner Musica Fiata als hochklassiger Instrumentalkomponist vorgestellt.
Matthias Weckmann (1616-1674) war einer der Meisterschüler des viele überstrahlenden Genies Heinrich Schütz. Geboren in Thüringen nahe Mühlhausen, wurde seine Begabung auf dem Mühlhausener Fürstentag 1627 entdeckt – und Schütz nahm ihn als Knabensopranisten an der Dresdner Hofkapelle auf. Nach dem Stimmbruch vom Hof nach Hamburg zum Organisten Jacob Praetorius zur weiteren Ausbildung geschickt, avancierte Weckmann nach einem Abstecher nach Dänemark zum Organisten der Dresdner Hofkapelle. In den 1640er Jahren pendelt er kriegsbedingt zwischen Tätigkeiten in Dresden, Hamburg und Kopenhagen, bevor er 1655 fest nach Hamburg auf die Stelle des Jacobiorganisten kam. In Hamburg entfaltete Weckmann eine reiche, weit über die Organistentätigkeit hinausgehende Aktivität, unter anderem mit der 1660 erfolgten Gründung des Collegium Musicum. Aus diesen Hamburger Jahren stammen die meisten seiner erhaltenen Kompositionen.
Darin erweist sich Weckmann als eminente kompositorische Stimme des 17. Jahrhunderts – in der heutigen Wahrnehmung freilich im Schatten seines Lehrers Schütz stehend, dessen Werk nach wie vor wesentlich breiter rezipiert wird. Überlieferungsfragen haben Einfluss auf die Langfristwirkung auch dieses Komponisten. Was aber von ihm bekannt und auch diskografisch verankert ist, braucht den Vergleich nicht zu scheuen, verrät vorzügliches Können, affektive Kraft, expressiven Mut und echte Inspiration.
Das ist auch in den hier erklingenden elf Sonaten exemplarisch nachzuhören, die in der Ratsbücherei Lüneburg überliefert sind und die der Zinkenist Roland Wilson mit seinem Ensemble Musica Fiata beim Label cpo herausgebracht hat. In großer formaler Freiheit führt Weckmann in diesen Werken die Besetzung von Violine, Cornettino – also Diskantzink – oder Zink, Posaune, Dulzian oder Basspommer und den hier von Orgel und Chitarrone gebildeten Basso continuo in alle nur denkbaren klanglichen Randbezirke. Exemplarisch sei der Diskantzink genannt, aber auch die in beinahe ebenso – jedenfalls erstaunliche – ambitionierte Höhen geführte Posaune; dazu der Dulzian oder der alternierend eingesetzte Basspommer – das Bassinstrument der Schalmei-Familie –, der zu prallen Akzenten im Tiefklangbereich angehalten wird. Das ergibt ein insgesamt ungemein farbiges Ensemblebild, harmonisch kühn bis beinahe zur Abwegigkeit und dank des hohen Stimmtons einen hellen, oft brillanten Klang evozierend.
Farbiges Ensemble
Musica Fiata und Roland Wilson sind ideale Interpreten dieses Repertoires: Wilson selbst spielt Zink und Diskantzink, Claudia Mende Violine, Mechthild Karkow die die Posaune alternierende Viola da braccio; ähnlich fungiert Heidi Grögers Viola da gamba. Detlef Reimers spielt ebendiese Posaune, dazu kommen Adrian Rovatkay auf Dulzian und Basspommer, Arno Schneider auf der Orgel und Michael Freimuth auf dem Chitarrone. Das Ensemble als Ganzes und seine Mitglieder als Einzelne haben sich umfangreich im Repertoire jener Zeit und Prägung profiliert – und spielen diese Expertise hier mit Überzeugung und, man darf sagen, mit Genuss aus. Technisch agieren sie makellos, stellenweise getragen von gleißender Energie und wirklichem Aplomb, dabei geschmackvoll und mit wachem Sinn für das Zusammenwirken der instrumentalen Partien. Das Ensemble spielt im besten Wortsinne gemeinsam, etliche individuelle Farben voller Charme und Eigenwert verbinden sich zu einem stimmigen Bild.
Die Tempi sind entschieden gestaltet: In alle Richtungen werden klare Akzente gesetzt, die die Szenerie lebendig machen. Im Plenum ist Mut zur Kraftentfaltung zu beobachten, zur scharf gestalteten Geste; die Klangwirkung ist bei aller wachen Sensibilität für das Moment des Delikaten in dieser Musik doch nie schüchtern. Die Intonation ist ein heikles Feld, Roland Wilson beschreibt es in seinem musikhistorisch wie aufführungspraktisch interessanten Bookletessay ausgehend vom Beispiel des Cornettino wie folgt: ‚…der Spieler des Cornettino muss nicht nur vielfach in der höchsten Lage mit der Violine zusammenspielen, sondern auch alle möglichen chromatischen Töne vom des bis zum ais erzeugen. C, cis, d, dis und es werden durchweg mit demselben Griff gespielt! Die Sonaten sind hier erstmals in ihrer richtigen Stimmung zu hören – das heißt in dem hohen Chorton der Zeit, der mindestens einen Halbton über dem heutigen Kammerton lag und die musikalische Spannung noch verstärkte. Es sind Akkorde von Fis-Dur bis b-Moll gefordert, die die Möglichkeiten der mitteltönigen Stimmung weit überschritten und vermutlich ein zyklisches Stimmungssystem wie Werckmeister III verlangten.‘ Soweit Roland Wilson. In der Tat scheint in der hohen Randlage mancher Ton, mancher Zusammenklang unter einem gewissen Druck zu stehen, doch überwiegt insgesamt dennoch der Eindruck beglückender Farbigkeit von Besetzung und Satz. Artikulatorisch lebt das Geschehen von den entschieden gesetzten Kontrasten: Ausgreifend vorgestellte lyrische Qualitäten wechseln sich mit prasselnder Kleinteiligkeit ab. Und das Klangbild wirkt dabei plastisch und aufgeräumt, ist reich an Strukturen, arbeitet die glänzenden Höhen ebenso verlässlich heraus wie die perkussiven Tiefen.
Ein echter Sonatenschatz: Matthias Weckmann wird hier von Roland Wilson und seiner Musica Fiata als hochklassiger Instrumentalkomponist vorgestellt. Das Programm gibt zumindest einen kleinen Hinweis darauf, was Heinrich Schütz auf diesem Gebiet wohl ebenso zu leisten im Stand gewesen sein muss, auch wenn von diesem Teil seines Werks nichts überliefert ist. Weckmann war in jedem Fall ein würdiger Meisterschüler.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Weckmann: Sonatas for the Hamburg Collegium Musicum: Musica Fiata, Roland Wilson |
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Label: Anzahl Medien: |
cpo 1 |
Medium:
EAN: |
CD
761203521722 |
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Weckmann, Matthias |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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