> > > Schürmann: Jason oder Die Eroberung des goldenen Vließes: Barockwerk Hamburg, Ira Hochman
Mittwoch, 29. März 2023

Schürmann: Jason oder Die Eroberung des goldenen Vließes - Barockwerk Hamburg, Ira Hochman

Oper ohne Bühnenluft


Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Beim Hören der vorliegenden Barockopern-Ausgrabung könnte man meinen, all die Bemühungen der letzten Jahrzehnte, dieses Repertoire mit Lebendigkeit und Theatralik wiederzubeleben, seien unerhört geblieben.

Ein wenig ist es zum Verzweifeln: Beim Hören der vorliegenden Barockopern-Ausgrabung könnte man meinen, all die Bemühungen der letzten Jahrzehnte, dieses Repertoire mit Lebendigkeit und Theatralik wiederzubeleben, seien unerhört geblieben. Georg Caspar Schürmanns dreiaktige Oper ‚Jason‘ wird unter der Leitung von Ira Hochman zur historisch informierten und artig vorgestellten Reanimation, die von akustisch wahrnehmbarer Bühnenwirksamkeit deutlich entfernt ist.

Dabei ist die Absicht eine bewundernswerte. Ira Hochman hat nach der interessanten Wiederaufführung von Schürmanns ‚Die getreue Alceste‘ im Jahr 2016, der ebenfalls eine (stark gekürzte) Einspielung bei cpo folgte, den richtigen Riecher und stieg erneut in die Hamburger Archive. Der Name Georg Caspar Schürmann ist noch immer allenfalls Spezialisten ein Begriff, seine Musik kennt man heute nicht mehr. Hochman hat gegen diesen Umstand verdienstvolle Änderungen angestoßen. Die Werke Schürmanns sind handschriftlich erhalten und verlangen nach einer Edition. Im Falle des ‚Jason‘ war die Wissenschaft bislang der Ansicht, es handle sich um ein Pasticcio mit Musik von verschiedenen Komponisten und der Anteil von Schürmanns Musik sei zu vernachlässigen. Durch akribische Forschungen u.a. an den erhaltenen Libretti von Aufführungen aus Braunschweig zwischen 1707 und 1713 und dem erhaltenen Manuskript der Hamburger Produktion 1720-22 wurde jedoch klar, dass die musikalische Basis dieser Oper hauptsächlich von Schürmann stammen muss. Einlage-Arien waren damals ohnehin üblich, als Besonderheit der Hamburger Tradition weist der ‚Jason‘ ebenfalls die Zweisprachigkeit mit deutschen und italienischen Arientexten auf.

Für die CD-Einspielung beim Label cpo, die im Oktober 2019 entstand, fertigte Hochman eine deutlich gekürzte Version an, die auf die Fremdarien verzichtet, auch einige Arien Schürmanns eliminiert und manche Instrumentalmusiken, die im Libretto vermerkt aber in der Partitur nicht erhalten sind, aus anderen Werken Schürmanns ergänzt. Der Zuhörer wird bei dieser nun gut zweistündigen ‚Jason‘-Oper Zeuge der entstehenden Liebesbeziehung zwischen Jason und Medea, die bekanntlich im Raub des Goldenen Vlieses gipfelt. Ein paar Nebenhandlungen rüschen das Bühnentreiben auf, so zum Beispiel ein unterhaltsames Buffo-Paar – Sarfax und Filaura – und Stränge um Stiro, den verlassenen Geliebten Medeas, den König Eeta und die eifersüchtige Hissifila, die nach Jasons Liebe giert.

Wenig energetisch

All das könnte Anlass für pralles Musiktheater sein, doch leider zelebrieren fast alle vokal Beteiligten einen kultivierten doch unenergetischen Stil, der eher an eine Passion denken lässt, als an ein barockes Bühnenspektakel. Dabei wäre Hanna Zumsande eine stimmlich äußerst attraktive Medea, die den technischen Anforderungen der Partie mehr als gerecht wird. Nur wirklich expressives Zupacken ist nicht ihre Stärke, die Handbremse bleibt stets angezogen. Ihre große Tonschönheit bleibt aber im Ohr, gerade auch im wunderbar gestalteten Schlaflied für den Drachen im dritten Akt. Wo das Drama vokal hinkönnte, lassen Geneviève Tschumi als Hissifila und Mirko Ludwig als Sarfax erahnen. Bei beiden stellen sich greifbare Figuren ein, sie verbinden Musikalität mit Ausdruck und liefern keine bloße Vokalschau. Freilich brechen sie aus dem vorgegebenen stilistischen Konzept auch nicht massiv aus, aber sie steuern einen Hauch Bühnenluft bei, der diesem ‚Jason‘ so elementar fehlt.

Das übrige Ensemble ist weitgehend stimmschön unterwegs, die mangelnde Ausdruckskraft eint die Besetzung. Ralf Grobes nicht mehr ganz taufrischer Bass als Assirtus wird mit großer Souveränität und Legatokultur in Form gehalten, Santa Karnīte gibt den Phoebus und die Pallas mit samtenem Timbre, als Eeta und Geist des Phryxus lässt Konstantin Heintel seinen gefälligen Bass erklingen und Andreas Heinemeyer entledigt sich akkurat der absurden Doppelbesetzung von Jason und Stiro – absurd vor allem, weil die akustische Wandlungsfähigkeit des Sängers nicht so groß ist, wie es die Doppelung nötig hätte. Bleibt noch die Filaura von Catherina Witting, die mit glockigem, körperlosem Sopran und geringer Textverständlichkeit leider keinen wirklich positiven Eindruck hinterlässt.

Auf der Haben-Seite steht in diesem ‚Jason‘ das Originalklang-Ensemble barockwerk hamburg unter Ira Hochmans Leitung. Hier musizieren hervorragende Instrumentalsolistinnen und -solisten, die Schürmanns Musik mit vielen Farben und feiner Dynamik nachspüren. Das spiel hat Eleganz und Transparenz, man hört, wie sehr Hochman und ihr Orchester an dieser Musik interessiert sind. Die kurzen Instrumentalpassagen sind somit auch wirkliche Showstopper, die nur allzu schnell verklungen sind. Dass bei all dieser Musikalität sich das Drama blutarm vorwärts schleppt und man sich ohrenfällig an hübsch vorgetragenen Nummern abarbeitet, ist ein bedauernswerter Umstand, der diese Neuproduktion überschattet.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Schürmann: Jason oder Die Eroberung des goldenen Vließes: Barockwerk Hamburg, Ira Hochman

Label:
Anzahl Medien:
cpo
2
Medium:
EAN:

CD
761203533923


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Schürmann, Georg Caspar
 - Jason oder Die Eroberung des Goldenen Vließes -
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Dirigent(en):Hochman, Ira


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cpo

Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
Besonders stolz macht uns dabei, daß cpo - 1986 gegründet - in Rekordzeit in die Spitze vorgestoßen ist. Das Geheimnis dieses Erfolges ist einfach erklärt, wenn auch schwierig umzusetzen: cpo sucht niemals den Kampf mit den Branchenriesen, sondern füllt mit Geschick die Nischen, die von den Großen nicht besetzt werden, weil sie dort keine Geschäfte wittern. Und aus mancher Nische wurde nach einhelliger Ansicht der Fachwelt mittlerweile ein wahres Schmuckkästchen.
Am Anfang einer Repertoire-Entscheidung steht bei uns noch ganz altmodisch das Partituren-lesen, denn nicht alles, was noch unentdeckt ist, muß auch auf die Silberscheibe gebannt werden. Andererseits gibt es - von der Renaissance bis zur Moderne - noch sehr viele wahre musikalische Schätze zu heben, die oft näher liegen, als man meint. Unsere großen Werk-Editionen von Pfitzner, Korngold, Hindemith oder Pettersson sind nicht umsonst gerühmt worden. In diesem Sinne werden wir fortfahren.
Letztendlich ist unser künstlerisches Credo ganz einfach: Wir machen die CDs, die wir schon immer selbst haben wollten. Seien Sie herzlich zu dieser abenteuerlichen Entdeckungsfahrt eingeladen!


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