
Telemann: Pimpinone oder Die ungleiche Heirat - Akademie für Alte Musik, Georg Kallweit
Alter Mann und 'wilde Hummel'
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Dieser 'Pimpinone' ist nicht nur stimmlich und instrumental eindrucksvoll besetzt, sondern ist obendrein eine wichtige Ergänzung zur mehr als nur übersichtlichen Diskographie des Werks.
Die drei Intermezzi ‚Pimpinone oder Die ungleiche Heirat‘ von Georg Philipp Telemann aus dem Jahr 1725 gehörten schon zu Lebzeiten des Komponisten zu dessen größten Bühnenerfolgen. Sie erzählen die Geschichte der Dienstbotin Vespetta, die beim reichen Pimpinone in Stellung geht und eine Ehe mit dem ‚lüsternen, alten Geldsack‘ anstrebt. So oder so ähnlich kennt man die Komödien-Konstellation aus Pergolesis ‚La serva padrona‘ oder später aus Donizettis ‚Don Pasquale‘, allerdings liefert das Original-Libretto von Pietro Pariati unter dem Titel ‚Pimpinone e Vespetta‘ von 1708 neben aller handfesten Komik und Drastik ungleich konkretere und schonungslosere Einblicke in die damaligen Strukturen des Ehelebens und gesellschaftlichen Missständen, als das beispielsweise bei ‚La serva padrona‘ der Fall ist.
Zu all diesen zeitkritischen Elementen und spielerischen Affronts findet sich im Beiheft der Neueinspielung von Telemanns ‚Pimpinone‘ beim Label cpo ein kluger Artikel von Birgit Kiupel, der mit seiner ausgewogenen Mischung aus Wissenschaft und einer sehr direkten Leichtigkeit der Formulierung überzeugt. Mit so einem anregenden Einstieg in diese Neuerscheinung, macht das Hören gleich doppelte Freude – zumal das komplett abgedruckte Libretto ein Verfolgen der Handlung erleichtert. Das ohnehin aus der Hamburger Operntradition heraus bereits zweisprachige Libretto in italienischer und deutscher Sprache ist redaktionell geschickt mit englischen bzw. deutschen Übersetzungen versehen worden.
Bis in die hintersten Winkel
Die Besetzung des neuen ‚Pimpinone‘, der im Juli 2020 in Berlin eingespielt wurde, ist hervorragend. Marie-Sophie Pollak gibt die Vespetta mit stilistischer Treffsicherheit und flexiblem Sopran. Pollak sowie der Bariton Dominik Köninger als Pimpinone haben sich für eine Gestaltung ihrer Partien entschieden, die das Vokale klar in den Vordergrund stellt. Alle Ausdrucksnuancen stehen im Dienst des Musikalischen, schöpfen primär aus dem Notentext und nicht aus einer ebenso denkbaren, hinzutretenden Theatralik. Es ist faszinierend, wie Köninger und Pollak Telemanns Komposition bis in die hintersten Winkel ausleuchten und ihr Zetern und Keifen, das Zirpen und Säuseln immer als musikalische Facette erscheinen lassen. Freiere, expressive Momente, die auch über das ‚Ziel‘ hinausschießen könnten, finden sich letztlich nicht.
Das hat Konsequenzen für das Erleben der dramatischen Vorgänge und Situationen beim Hörer. Selbst das virtuose Kabinettstückchen des recht jugendlich klingenden Köningers, wenn Pimpinone das Geschwätz der Frauen imitiert und sprunghaft in seine Reflexion einbindet, ist – bei aller Verblüffung über die hohe Vokalkunst des Sängers – von einer leicht ‚angezogenen Handbremse‘ überschattet. Gleiches gilt für die fraglos quirlige und blitzsaubere Vespetta von Pollak, der auf diesem Tonträger der Schritt zum akustischen Bühnengeschehen nicht nahtlos gelingt. Dennoch – textdeutlicher und tonschöner kann man dieses Werk wohl kaum präsentieren. Und wenn man bedenkt, dass hier gerade einmal zwei Solisten nahezu ununterbrochene 70 Minuten differenzierte Unterhaltung und musikalische Figurenzeichnung auf so hohem Niveau bieten, ist die schwach betonte Hör-Theatralik allemal zu verschmerzen.
Die Akademie für alte Musik Berlin steuert unter der Leitung von Georg Kallweit barocke Energetik und Farbenspiel vom Feinsten bei. In den beiden eingeschobenen Instrumentalpassagen von Charles Avison können die Musikerinnen und Musiker ihrer Spielfreude freien Lauf lassen. Wunderbar gelingt auch das Zusammenspiel mit den Solisten, die vom Kammerorchester nicht nur gestützt, sondern auch quasi dialogisch begleitet werden. Dieser ‚Pimpinone‘ reizt definitiv, sich näher mit Telemanns Opernschaffen zu beschäftigen und ist obendrein eine wichtige Ergänzung zur mehr als nur übersichtlichen Diskographie des Werks.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Telemann: Pimpinone oder Die ungleiche Heirat: Akademie für Alte Musik, Georg Kallweit |
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Label: Anzahl Medien: |
cpo 1 |
Medium:
EAN: |
CD
761203539420 |
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Telemann, Georg Philipp |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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