
Francaix: Musique pour le plaisir - Karolina Stalmachowska, Oboe
Virtuos, aber klanglich nicht optimal
Label/Verlag: DUX
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Bläser-Kammermusik vom Trio bis zum Sextett: Vier Werke aus der Feder von Jean Françaix in technisch sehr guten, klanglich nicht optimalen Interpretationen.
Rezeptionsgeschichte ist eine komplizierte Angelegenheit. Warum die Werke eines Komponisten aus dem Repertoire verschwinden und dann – scheinbar plötzlich – wieder auftauchen, ist ebenso schwer zu verstehen wie der umgekehrte Fall: Warum Stücke eines Tondichters eine Zeit lang viel gespielt werden und dann – vielleicht nicht plötzlich, aber allmählich – auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Wenigen Komponisten ist es vergönnt, von solchen 'Rezeptions-Wellen' verschont zu bleiben – einer davon ist der Franzose Jean Françaix (1912 – 1997), dessen Werke so stabil im Repertoire etabliert sind wie kaum bei einem seiner Zeitgenossen. Eine Beschreibung seiner Musik aus einem Konzertführer der 1960er Jahre kann auch heute noch uneingeschränkt Gültigkeit beanspruchen: '[Seine Werke] entzücken alle durch Einfallsfrische, natürliche Melodik, graziösen und pikanten Humor, feine Farbigkeit, rhythmische Lebendigkeit und, nicht zuletzt, durch klare, knappe Formen.'
Man kann über die Verwendung des Verbs 'entzücken' schmunzeln, aber davon abgesehen mag dies genau die Zusammenfassung für die vier auf dieser CD versammelten Werke für verschiedene Bläser-Besetzungen sein: Die Oboistin Karolina Stalmachowska hat zusammen mit elf weiteren Musikern Kompositionen aus den Jahren 1947 bis 1994 ausgewählt. Françaix´ Vorliebe für seltene Instrumenten-Kombinationen zeigt sich dabei unter anderem im Quartett für Englischhorn und Streichtrio (1970) sowie im Sextett (1991), das die Standard-Besetzung Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott und Horn um die in der Kammermusik fast exotisch wirkende Bassklarinette ergänzt.
Glänzender Klang
Stilistische Brüche gibt es in der Musik des Franzosen kaum. Das 'Divertissement' für Oboe, Klarinette und Fagott, entstanden kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, schlägt den gleichen virtuos-spielerischen Tonfall an wie das Trio für Oboe, Fagott und Klavier aus dem Jahr 1994. Der glänzende Klang und die scheinbare Leichtigkeit täuschen den Hörer hier wie da über die enormen technischen Herausforderungen der Stücke hinweg: Vor allem die schnellen (Eck-)Sätze sind teils hochvirtuos, und die klangliche Balance zwischen den Instrumenten ist nicht einfach zu halten. Während die polnischen Musiker den technischen Anforderungen durchgehend gerecht werden, gibt es in der Abstimmung doch gewisse Schwierigkeiten. Bei den beiden Trios hält es sich noch in Grenzen, aber im Sextett ist die Balance doch deutlich zu Gunsten der hohen Instrumente verschoben. Vielleicht auch ein Versäumnis der Aufnahmetechnik? In jedem Fall haben Fagott und Bassklarinette in jenem so spritzigen 'Sextour' wenig zu lachen.
Insgesamt das gelungenste Werk der Veröffentlichung ist das Englischhorn-Quartett aus dem Jahr 1970, das dem in der Kammermusik oft recht stiefmütterlich behandelten Instrument reichlich Raum zur Entfaltung gibt – Raum, den Stalmachowska zusammen mit der Geigerin Malgorzata Wasiucionek, der Bratscherin Maria Shetty und dem Cellisten Konrad Bargiel reichlich nutzt. Das Blasinstrument steht deutlich im Vordergrund, vielleicht eine Spur zu sehr, doch der Gesamteindruck ist positiv: Hier ist Françaix ein echter Geniestreich gelungen. Die fünf Sätze des Stückes sprühen vor Inspiration, Abwechslung und motivisch-thematischer Kombinationsfreude, die man schon gar nicht als 'Arbeit' bezeichnen möchte – so leicht wirkt sie.
Trotz gewisser Balance-Schwierigkeiten ist dies also für Freunde gepflegter (Bläser-)Kammermusik also eine empfehlenswerte CD, und wer den Komponisten Françaix kennt und schätzt, kann hier ohnehin nichts falsch machen. Dass sich der Franzose zeitlebens nicht um die Innovationen der Avantgarde kümmerte und noch in den 1990er Jahren unbekümmert in einem (im Wesentlichen) tonalen Stil komponierte, mag man begrüßen oder kritisieren. Der Qualität und Langlebigkeit der hier versammelten Werke tut dies aber überhaupt keinen Abbruch.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Francaix: Musique pour le plaisir: Karolina Stalmachowska, Oboe |
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Label: Anzahl Medien: |
DUX 1 |
Medium:
EAN: |
CD
5902547018089 |
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Francaix, Jean |
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DUX Das polnische Label DUX wurde 1992 von Malgorzata Polanska und Lech Tolwinski, beides Absolventen der Toningenieur-Fakultät der Frédéric Chopin Musikakademie in Warschau, gegründet. Hauptanliegen war die Produktion von Aufnahmen mit klassischer Musik, wobei man von Anfang an höchste Ansprüche an künstlerische und technische Standards stellte.Viele Aufnahmen von Dux erlangten sowohl in Polen als auch im Ausland breites Interesse bei Publikum und Kritik, die sich in zahlreichen Preisen und Auszeichnungen widerspiegelt. Ein Schwerpunkt des Labels ist natürlich das reiche musikalische Erbe Polens, das weitaus mehr umfasst als Chopin oder Penderecki. Im Katalog finden sich daher neben bekannteren Namen wie Wieniawski, Szymanowski oder Lutoslawski auch zahlreiche hierzulande bislang weniger bekannte oder völlig unbekannte Komponisten von der Renaissance bis zur Gegenwart, wie Ignaz Jan Paderewski, der Klaviervirtuose und spätere Premier- und Außenminister der Zweiten Polnischen Republik oder Stanislaw Moniuszko, ein Zeitgenosse Verdis und Schöpfer der polnischen Nationaloper. Aber auch zahlreiche polnische Künstler, Ensembles und Orchester gilt es bei DUX zu entdecken, darunter international renommierte Namen wie beispielsweise die gefeierte Altistin Ewa Podles. Mehr Info... |
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