> > > Crime Scenes: Anastasia Grishutina, Esther Valentin Fieguth
Samstag, 30. September 2023

Crime Scenes - Anastasia Grishutina, Esther Valentin Fieguth

Das Lied als Sprachrohr erlittener Gewalt


Label/Verlag: GWK Records
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Die Mezzosopranistin Esther Valentin-Fieguth und die Pianistin Anastasia Grishutina haben bekannte Lieder zu einem düsteren Szenario menschlicher Not arrangiert.

Wie oft haben wir es schon gehört. Das „Heideröslein“ von Franz Schubert. Artig gelauscht auf Phrasierung, Ausdruck, Tempo, mit vielen Freuden. Johann Wolfgang von Goethe dichtete diese volkstümliche Geschichte. Zahlreichen Komponisten gefiel es. Franz Schubert kleidete es in ein Kunstlied. In jüngerer Zeit adaptierten es Gegenwartskünstler, um den Finger in die Wunden zu legen. Es ist kein harmloses Volkslied. Gewaltsame, verschmähte Liebe. Alles ist interpretierbar. Die Mezzosopranistin Esther Valentin-Fieguth und die Pianistin Anastasia Grishutina sehen im Heideröslein eine Schilderung der Nötigung. Unschuldig, naiv, ungeschminkt bringen sie es zum Klingen. Mit Schärfe und Scharfsinn. Dennoch hell, geradezu mädchenhaft gesungen, in der Verbindung mit der Klavierstimme sensibilisiert für das Zusammenwirken von Wort und Ton. Weit konkreter in der inhaltlichen Ausrichtung folgt danach „Stille Oeyenfassung“ von Moritz Eggert. Birgit Kempker hat in einem Gedichtzyklus ihre Vergewaltigung durch einen Schulfreund verarbeitet. Moritz Eggert nahm daraus einen Auszug für seine „Neue Dichter Lieben“. Mit diesen beiden Liedern eröffnen die Künstlerinnen ihr Programm „Crime“, veröffentlicht im Label GWK RECORDS in Coproduktion mit dem SWR.

Das ist kein leichtes Unterfangen. Was man in Liederabenden um der Interpretationsbrillanz mit außergewöhnlichen Liedsängerinnen und Liedsängern sucht, entziehen sie dem oberflächlichen Genuss. Schuberts Forelle bringen sie zu Gehör als das, was sie darstellt, eine politische Metapher, entstanden, als der Dichter Schubart auf der Festung Hohenasperg einsaß. Darauf folgen Lieder von Samuel Barber, Robert Schumann, Hans Pfitzner, die von Missbrauch, Mord aus Leidenschaft, Selbstmord und Gotteslästerung erzählen. Dazwischen flackern helle Lichter aus der Feder von Eduard Grieg und Georgi Swiridow auf, Schilderungen süßer Verbrechen als Stimulanz für das Durchhalten der Zuhörenden. Das Finale ist kompromisslos.

Trügerisch

Mit Victor Ulmanns Lied „Müder Soldat“ beschreiben sie Krieg als Verbrechen, in Modest Mussorgskis „Der Feldherr“ benennen sie den Tod als einzigen Sieger nach der Schlacht. Zum Schluss folgt Ilse Weber „Ich wandre durch Theresienstadt“. In der Interpretation von Esther Valentin-Fieguth und Anastasia Grishutina klingt es trügerisch, so volksliedhaft schlicht wie das Heideröslein. Anastasia Grishutina hat die Liedstimme mit einer neuen Begleitung versehen. Dadurch schärft sie die Wahrnehmung. Die Schlusszeilen „Wann wohl das Leid ein Ende hat ­ wann sind wir wieder frei?“ schwebt im Raum, klagend, unaufgelöst, ein Schmerz, der nicht endet.

Im Interview, abgedruckt im Booklet, sprechen Esther Valentin-Fieguth und Anastasia Grishutina mit Susanne Schulte. Die Auswahl der Lieder ist kein Zufall. Das belegen ihre Äußerungen zu den Interpretationen der Gedichte, die den Liedern zugrunde liegen. Die Rolle der Vertonung bleibt außen vor. Dafür drücken sie in ihren Interpretationen umso eindeutiger aus, was sie während des Liedvortrages bewegt. Fotos zeigen die Künstlerinnen als von der Gewalt betroffene und von ihrer Mission entschlossene Frauen. Eine Auswahl der Liedtexte ist abgedruckt, ein Link führt zur Label-Website mit der vollständigen Auflistung.

2016 lernten sich Esther Valentin und Anastasia Grishutina an der Hochschule für Musik und Tanz Köln kennen. Das Studium führte sie zusammen. Seither treten sie als Lied-Duo auf. 2018 gewannen sie beim internationalen Schubert-Wettbewerb in Dortmund den ersten Preis sowie den Publikumspreis. Anastasia Grishutina wurde zudem als beste Liedbegleiterin ausgezeichnet. Die schwierigen Jahre zwischen 2019 und 2022 überlebten sie Dank der „New Talent“- Förderung durch den SWR. Nun wartet man auf ihr Comeback auf der Bühne. 

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Crime Scenes: Anastasia Grishutina, Esther Valentin Fieguth

Label:
Anzahl Medien:
GWK Records
1
Medium:
EAN:

CD
4260113461556


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Barber, Samuel
Eggert, Moritz
Grieg, Edvard
Mussorgsky, Modest
Pfitzner, Hans
Schubert, Franz
Schumann, Robert
Sviridov, Georgy
Ullmann, Viktor


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GWK Records

GWK RECORDS präsentiert junge Musikerinnen und Musiker, die mit renommierten internationalen Preisen ausgezeichnet wurden, die durch originäre Gestaltungskraft und technische Meisterschaft überzeugen und deren künstlerische Persönlichkeit fasziniert.

GWK RECORDS setzt kompromisslos auf höchste Qualität bei Aufnahme und Ausstattung der CDs. Dabei engagiert das Label die besten Tonmeister, die ausschließlich in Räumen mit einer bestechend natürlichen Akustik aufnehmen. GWK RECORDS stellt zudem regelmäßig Ersteinspielungen wichtiger zeitgenössischer Werke vor.

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