> > > Supersize Polyphony: Armonico Consort, Christopher Monks, Choir of Gonville & Caius College
Mittwoch, 29. März 2023

Supersize Polyphony - Armonico Consort, Christopher Monks, Choir of Gonville & Caius College

Supersize


Label/Verlag: signum classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Das Armonico Consort und der Choir of Gonville & Caius College markieren mit den vierzig- bis sechzigstimmigen Werken von Alessandro Striggio und Thomas Tallis einen im engeren Wortsinn merkwürdigen Punkt der musikalischen Spätrenaissance.

Die vierzigstimmigen Motetten ‚Ecce beatam lucem‘ von Alessandro Striggio und ‚Spem in alium‘ von Thomas Tallis gehören zweifellos zu einem sehr speziellen Teil des Repertoires der Spätrenaissance. In Verbindung mit der vierzig- bis sechzigstimmigen ‚Missa sopra Ecco sì beato giorno‘ des Italieners bieten sie vereinten vokalen Kräften von Potenzial attraktives ‚Futter‘. Speziell die vor nicht allzu langer Zeit wiederentdeckte Messe wurde bislang selten eingespielt – von Robert Hollingworth und Hervé Niquet. Dazu kommt unter dem Titel ‚Supersize Polyphony‘ eine Produktion, die bereits 2018 für Signum Classics entstand und jetzt erneut vorliegt: Das von Christopher Monks geleitete Armonico Consort verbindet seine vokalen Möglichkeiten darin mit denen des Choir of Gonville & Caius College, dem Geoffrey Webber als musikalischer Leiter vorsteht. Das Armonico Consort hat diese programmatischen Brocken 2021 in Konzerten zu seinem 20jährigen Bestehen im Konzert präsentiert. Der Aufbau ist schlüssig: Ecce beatam lucem‘ ist der Ausgangs-, ‚Spem in alium‘ der Zielpunkt; dazwischen kommen die Sätze der Messe zu Gehör, die wiederum durch einstimmige Gesänge der Hildegard von Bingen unterbrochen werden – eine gute Stunde Konzertprogramm, das man sich sehr gut vorstellen kann.

Dabei werden die vielstimmigen Sätze nicht als Kuriositäten oder Klangmonstren desavouiert, sondern als Note für Note – in zweifellos allergrößter Zahl – gegeneinander geführte Stimmen ernstgenommen und expliziert. Klingender Aplomb stellt sich von selbst ein und wird willkommen geheißen. Die Idee mit der Musik Hildegard von Bingens wird im – typisch britisch – knappen Booklet nicht erläutert. Man könnte sich vielleicht vorstellen, dass so etwas wie der Gegensatz von schlichtester und ins Extreme ausgedehnter vokaler Satzkunst gemeint ist und gezeigt werden soll. Eine echte, nachvollziehbare Beziehung der beiden Ebenen zueinander gibt es aber nicht; systematische Zweifel an der Konstruktion wären also berechtigt. Doch erfüllen die Bingen-Momente eine andere Funktion zuverlässig: Sie sind aufführungspraktisch hilfreich, indem sie ein Durchatmen beim Hören der riesenhaften Klangwelten ermöglichen und so die Aufmerksamkeit für deren Komplexität immer wieder neu erfrischen.

Mit vereinten Kräften

Consort und Chor entfalten überwiegend eine kraftbasierte Stimmkultur; die Einzelstimmen – natürlich werden die Stimmen einfach besetzt – werden in ihren Registereigenarten kenntlich, auch individuell. Dabei schaffen sie einen lebendigen, alles andere als schüchternen Großklang, versammeln sich aber auch zu geschmeidigem Fluss und vorsichtiger Gestalt – der Beginn des Sanctus in der Messe gerat beinahe zart. Daher gilt generell: Diese vielstimmigen Sätze überwältigen, entgegen dem möglichen Vorurteil, nicht in jedem Moment und sind durchaus im Rahmen der struktureller Größe verbleibenden Flexibilität vielschichtig. Eine von Adrian France gespielte Bassposaune grundiert die Striggio-Sätze wirksam und gibt dem Geschehen klangliche Kontur.

Bei Hildegard von Bingen tritt je eine prägnante Solostimme in schlanker Gestalt hervor, dazu ausgehaltene leere Klänge – was Wirkung macht und, wie angedeutet, Sammlung bietet, allerdings als musikalische Welt eigenen Rangs merkwürdig isoliert im Programm steht.

Erfreulich frisch

Die vollstimmige Musik kennt keinen Stillstand, wird teils sogar erfreulich frisch musiziert. Ausgeprägt ruhige Tempi würden das der Musik zweifellos eignende Problematische – eine notwendig ausgeprägte gewisse Flächigkeit, fortwährender harmonischer ‚Stillstand‘, wenig strukturelle Griffigkeit – nicht ungeschehen machen. Insofern ist der frische Ansatz besonders erfreulich. Dynamisch hocherfreulich ist die Bandbreite; doch darf man in den großen Momenten hörend durchaus beeindruckt sein: Ein Vokalplenum von solcher Pracht wird in keinem anderen Repertoire zu realisieren sein. Intoniert wird perfekt – alles andere dürfte es bei so vielen gleichzeitig klingenden Quinten und Oktaven auch nicht geben, soll das Vorhaben denn gelingen. Wie stets bei englischen Ensembles ist der Aspekt der Intonation durchaus kraftbasiert. Und bei allem Klang werden Texte gesungen: Ja, das ist sogar im 60stimmigen Agnus Dei der Messe möglich. Insgesamt werden in aktiver, nicht übertriebener Diktion die vielen kleinen Entwicklungen betont, die Struktur geben und gliedern. Ebenso gern wie sie diese kleinteilige Arbeit ‚erledigen‘, geben sich die Vokalisten der rauschhaften Klanglichkeit der Fläche hin: Wer wollte es ihnen verdenken? Technisch ist ein erstaunlich lebendiges Abbild des hochkomplexen Geschehens realisiert, plastisch und griffig, durchaus in merklicher Nähe zum Geschehen und von der Gefahr entfernt, ein mulmiges Raumgeschehen zuzulassen.

Das Armonico Consort und der Choir of Gonville & Caius College markieren mit den vierzig- bis sechzigstimmigen Werken von Alessandro Striggio und Thomas Tallis einen im engeren Wortsinn merkwürdigen Punkt der musikalischen Spätrenaissance.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Supersize Polyphony: Armonico Consort, Christopher Monks, Choir of Gonville & Caius College

Label:
Anzahl Medien:
signum classics
1
Medium:
EAN:

CD
635212056035


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