
Dein ist mein ganzes Herz - Nylund, Beczala, Schade, Wiener Symphoniker, Manfred Honeck
Ein gut gemeintes Präsent
Label/Verlag: Profil - Edition Günter Hänssler
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die Wiener Symphoniker gratulieren Franz Lehár mit viel Erwartbarem zum 150. Geburtstag.
Im April 2020 wäre Franz Lehár 150 Jahre alt geworden. Zum Geburtstag konnte kaum irgendwo musikalisch gratuliert werden, weil die Pandemie zu diversen Lockdowns und gerade auch in der Kulturbranche quasi zum Stillstand geführt hatte. Die Wiener Symphoniker mit ihrer großen Lehár-Tradition ließen sich das Zelebrieren aber nicht nehmen und nutzten ein digitales Format, wie es auch andernorts in den vergangenen zwei Jahren boomte: Sie zeichneten das Festkonzert im Theater an der Wien mit Manfred Honeck am Pult und einem hochkarätigen Vokaltrio auf – ohne Publikum. Unter dem mehr als abgegriffenen Titel 'Dein ist mein ganzes Herz' und dem noch verdächtigeren Untertitel 'The most beautiful melodies by Franz Lehár' ist der süffige Geburtstagsgruß beim Label Profil/Edition Günter Hänssler auf einer CD nebst einer DVD-Dokumentation – Titel: 'The Man of Smiles' – erschienen.
Die DVD-Produktion von Thomas Macho mit einem intim inszenierten und filmisch aufgearbeiteten Lehár-Interview über seine Karriere und sein Leben ist recht unterhaltsam. Zwischeneinblendungen des aufgezeichneten Konzerts markieren sinnfällige Punkte der Gesprächs- und Konzertdramaturgie. Wolfgang Hübsch spielt den ältlichen Lehár und Aglaia Szyszkowitz die jüdische Journalistin Elsa Herz. Das Gespräch lässt die großen Erfolge Revue passieren und beharrt immer wieder auf der fragwürdigen Position Lehárs im Dritten Reich. Zu wirklichen Antworten kommt es nicht, auch weil sich Lehár eben diesen mit den bekannten Rechtfertigungen und schließlich einem emotionalen Einbruch entzieht. Um mehr über Lehár zu erfahren, empfehlen sich nachdrücklich die ausführlichen, lesenswerten Biografien und Abhandlungen zum Komponisten von Stefan Frey, der auch an der hier verwendeten Dialogfassung mitgearbeitet hat.
Populärer Lehár
Der Audiomitschnitt des Studio-Konzerts vom Juni 2020 bietet viel Erwartbares und ewig Populäres. Aus dem 'Land des Lächelns' singt Piotr Beczała natürlich 'Dein ist mein ganzes Herz' und 'Immer nur lächeln'. Für 'Wer hat die Liebe uns ins Herz gesenkt' steht ihm Camilla Nylund zur Seite. In Sachen 'Lustige Witwe' gibt es 'Lippen schweigen', das 'Vilja-Lied' und Danilos 'Da geh ich zu Maxim' und am Ende des Konzerts folgen 'Freunde, das Leben ist lebenswert' und 'Meine Lippen, sie küssen so heiß' aus 'Giuditta'. Das alles ist nachvollziehbar gewählt, aber auch ungemein berechenbar und ein wenig enttäuschend. Aber von 'The most beautiful melodies' sollte man sich auch nicht zu viel Ambition erwarten. Immerhin dürfen auch ein Dauerbrenner aus 'Friederike' und das 'Wolgalied' erklingen, der 'Gold und Silber-Walzer' und Angèles Auftritt aus dem 'Graf von Luxemburg'.
Einzig die Tondichtung für Tenor und Orchester 'Fieber' fällt aus dem konventionellen Rahmen und macht die Hörer endlich auch mit dem unbekannten Lehár vertraut. Diese 13-minütige Szene wird von Michael Schade mit viel Charakter und textlicher Prägnanz gestaltet. Der einstmals lyrische Schmelz seines Tenors ist zwar nicht mehr der frischeste, aber Schade wirfst sich mit wunderbarer Artikulation und immensem Ausdruck ins Zeug. Der jugendliche Zarewitsch ist kurz darauf bei aller Gestaltungskraft seine Sache nicht mehr.
Camilla Nylund lässt trotz ihres edlen Timbres viele Wünsche offen, singt ihre Operetten-Arien im großen Opernton, wie es auch für die späten Lehár-Operetten bei aller nachgesagten Opernnähe nicht adäquat ist. Von den doppelbödigen Figuren einer Hanna Glawari, einer Friederike oder Angèle Didier ist nichts zu spüren. Aber die Melodien sind – in üppigen Klang eingehüllt – da, beim Vilja-Lied sogar mit einem effektvollen Piano auf dem letzten Ton. Piotr Beczała hat an Stimmfrische und Charme mehr zu bieten, kommt aber stilistisch auch an seine Grenzen. Die großen Tauber-Lieder gelingen ihm noch am besten, als Danilo klingt er verloren und leider sehr fehl am Platz.
Die Wiener Symphoniker und Manfred Honeck sind eine verlässliche Größe, die rauschhaften Klangzauber produzieren und überraschend selten in die Kitsch-Ecke greifen. Der ‚Gold und Silber-Walzer‘ darf zwar schmachten, aber die flotten Tempi entgehen immer haarscharf der puren Sentimentalität. Gleiches gilt für so manche instrumentale Zwischenpassage, wie im Vilja-Lied oder im Wolgalied, wo Honeck in geschmackvoller Abstimmung von Tempo, Dynamik und Agogik das drohende Klischee beherzt umschifft.
Am Ende bleibt somit ein höfliches Danke für den aufwendigen Geburtstagsgruß und sobald die Gäste gegangen sind, stellt man das gut gemeinte Präsent durchaus wertschätzend in den Schrank – aber eher weit nach hinten.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Dein ist mein ganzes Herz: Nylund, Beczala, Schade, Wiener Symphoniker, Manfred Honeck |
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Label: Anzahl Medien: |
Profil - Edition Günter Hänssler 1 |
Medium:
EAN: |
CD
881488220049 |
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Lehár, Franz |
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Profil - Edition Günter Hänssler Profil - The fine art of classical music
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