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Mittwoch, 29. November 2023

Josquin the undead - Jürn Schmelzer

Josquin-Gedenken


Label/Verlag: Glossa
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Josquin und Graindelavoix – das passt. Großer Klangstrom entfaltet sich in konstruktiv stabilen Bahnen, verknüpft mit der stimmlichen Freiheit, die für die Formation charakteristisch ist. Ein wichtiger Beitrag zum Josquin-Jahr.

Unter dem ungewöhnlichen Titel ‚Josquin, the Undead‘ hat das belgische Ensemble Graindelavoix aktuell bei Glossa seinen Tribut zum 500. Todestag Josquin Desprez‘ vorgestellt. Und seien sie auf den ersten Blick etwas gewagt – abwegig sind die Gedanken Björn Schmelzers, des eigenwilligen Leiters der Formation, durchaus nicht: Das Programm spiegelt Josquins musikalisches und musikhistorisches Nachleben, seine thematisch oft Tod, Verfall, Reue oder Melancholie zuneigenden Werke, die teils exzessive Verwendung wiederholender Strukturen als prägendes Kompositionsprinzip, das, zumal in rascher zu muszierenden Sätzen, als Totentanz gedeutet werden kann; dazu kommen Lamenti auf Josquins Tod von Nicolas Gombert, Benedictus Appenzeller und Hieronymus Vinders sowie Josquins intensive Klage ‚Nymphes des bois‘ auf den Tod von Johannes Ockeghem.

Es gibt also eine Fülle durchaus plausibler Ansätze, die sich der titelgebenden, in der deutschen Übersetzung wie in der bildlichen Darstellung auf dem Cover etwas makaber wirkenden gedanklichen Einbettung zuordnen lassen. Auch die Chansons vermeintlich leichteren Zuschnitts wie ‚Baisiez moy‘ oder ‚Petite Camusette‘ lassen sich so interpretieren, die ganz auf die ernste Klage hin ausgerichteten wie ‚Parfons regretz‘, ‚Douleur me bat‘ oder ‚Plusieurs regretz‘ ohnehin. Das so sich fügende Programm bietet der spezifischen Klangfreude und Sonorität des Ensembles reichen Raum zu Reflexion und üppiger Entfaltung, den die Vokalisten auf ihre eigene Weise zu nutzen wissen.

Spezielle Könner

Denn seit vielen Jahren ist das belgische Ensemble Graindelavoix eine der eigenwilligen Größen bei der Interpretation von Musik der Renaissance – beachtenswert wegen einer unerreicht reflektierten Programmgestaltung, zugleich wegen der vokalen Stilistik: Konsequent verschließen sich Björn Schmelzer und sein Ensemble einem ‚einfachen‘ Schönklang – so elaboriert der bei anderen Josquin-Interpreten wie etwa den Tallis Scholars auch sein mag – und geben sich stimmlicher Individualität hin, auch der intensiven Verzierung, vor allem einer für die Interpretation derartigen Repertoires absolut erstaunlichen expressiven Kraft. Diesen Zugang pflegt das Ensemble generell auch bei den Werken anderer Komponisten. Während diese Idee, das Satzgerüst durch die genannten Eigenarten weiter zu verunklaren, zuletzt bei einigen – auf Grund ihrer kompositorischen Faktur ohnehin zumindest harmonisch fast schon existenzgefährdeten – Madrigalen von Carlo Gesualdo di Venosa weniger verfangen hat, entfaltet die strukturell wesentlich stabilere Musik Josquins in dieser Deutung einen enormen Sog, der das Geflecht magisch erscheinen lässt. Das liegt auch an den langsamen Tempi, in den Schmelzer den Ensembleklang entfaltet, an der offensiven Klangstärke, am Mut zum Risiko, den die farbig entfaltete Intonation beinhaltet, an den ganz großen Linien, die das Bild prägen, dazu an einem außergewöhnlich klar konturierten Tiefklang, den das rein männlich besetze Ensemble präsentiert, mit dem Bass Arnout Malfliet als ästhetischem Höhe- und klingendem Tiefpunkt, dessen enorme Präsenz schier verblüfft.

Josquin und Graindelavoix – das passt. Großer Klangstrom entfaltet sich in konstruktiv stabilen Bahnen, verknüpft mit der stimmlichen Freiheit, die für die Formation charakteristisch ist. Ein wichtiger Beitrag zum Josquin-Jahr.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Josquin the undead: Jürn Schmelzer

Label:
Anzahl Medien:
Glossa
1
Medium:
EAN:

CD
8424562321175


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Glossa

Spaniens renommiertestes Klassiklabel wurde 1992 von Carlos Céster und den Brüdern José Miguel und Emilio Moreno gegründet. Sein "Hauptquartier" hat es in San Lorenzo del Escorial in den Bergen nahe Madrid. Zahlreiche herausragende Künstler und Ensembles aus dem Bereich der Alten Musik (z.B. Frans Brüggen und das Orchestra of the 18th Century, La Venexiana, Paolo Pandolfo, Hervé Niquet und sein Concert Spirituel u.v.a.) finden sich im Katalog des Labels. Doch machte GLOSSA von Anfang an auch wegen der innovativen Gestaltung und Produktionsverfahren von sich reden. Zu nennen wären hier die Einführung des Digipacks auf dem Klassikmarkt und dessen konsequente Verwendung, der Einsatz von Multimedia Tracks oder die Platinum-Serie mit ihrem avantgardistischen Design. Innerhalb der vergangenen knapp zwei Jahrzehnte konnte GLOSSA so zu einem der interessantesten Klassiklabels auf dem Markt avancieren. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt auch dem Spiritus rector und Gesicht des Labels, Carlos Céster.


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