
Ferdinando Paer: Leonora - Innsbrucker Festwochenorchester, Alessandro de Marchi
Italienischer Beitrag zum Beethovenjahr
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Alessandro De Marchi bricht eine Lanze für eine andere 'Leonore'.
Spätestens seit Peter Maags Decca-Einspielung von 1978 ist für Opernfreunde Ferdinando Paërs 'Leonora ossia L’amor conjugal' ein Begriff – eben jene 1804 uraufgeführte Oper, die zu Beethovens Lebzeiten weit erfolgreicher war als dessen Oper auf den gleichen Textvorwurf. Die damalige Einspielung mit dem Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks bot mit Urszula Koszut und Siegfried Jerusalem, mit Norbert Orth als Pizarro mit Edita Gruberová, Wolfgang Brendel und Giorgio Tadeo sowie John van Kesteren ein rundum hochkarätig und prominent besetztes Solistenensemble auf, von dem sich aber niemand über Gebühr in den Vordergrund drängte.
Dieser Live-Mitschnitt von den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2020 aus dem Tiroler Landestheater blickt nicht zurück und rückt der Partitur (in einer Neuedition von Christian Seidenberg) vor allem durch hochinspiriertes, lebendiges, historisch informiertes Orchesterspiel zu Rande – jedwede Betulichkeit, die man Maag vorwerfen könnte, entfällt hier. Das Innsbrucker Festwochenorchester unter Alessandro De Marchi bietet einen hervorragend ausgearbeiteten Teppich, der allein schon hinreichend musikalisches Drama bietet. Einen Chor benötigt Paër nicht, dadurch fehlt jene Komponente, die sowohl in Pierre Gaveaux‘ Opéra comique 'Léonore, ou l‘amour conjugal' von 1798 als auch bei Beethoven eine deutliche Dimensionserweiterung bedeutet.
Glückendes Ensemble
Eleonora Bellocci ist eine frische, sehr gut aufgelegte Sopranistin, die trotz einer gewissen Leichtigkeit auch Heroinenattitüde annehmen kann. Durch diese Besetzungsentscheidung wird so der Fokus noch stärker auf das Gesamtbild gelenkt: das rundum glückende Ensemble. Äußerst spannend, dass auch in Leonoras großer Arie (wie schon bei Gaveaux und später bei Beethoven) von Solohorn von prominenter Bedeutung in der Klanggestalt ist.
Paolo Fanale als Florestan kann man ein wenig als Geschmackssache ansehen – der Tenor neigt recht stark zur Larmoyanz, so dass der Effekt seiner Partie leider deutlich beeinträchtigt ist. Doch ist Fanale im Grunde der einzige Mitwirkende, bei dem deutliche Abstriche zu machen sind. Marie Lys ist eine charmante, hochvirtuose Marcellina von beeindruckender Präsenz, die sich neben Gruberová nicht zu verstecken braucht, ganz im Gegenteil, mehr Stilgefühl an den Tag legt. Ein harmonisch zu ihr passender, nicht minder hochwertiger Partner ist Luigi De Donato. Dem Rocco ist bei Paër keine Arie gegönnt, doch hat er in diversen Ensembles mitzuwirken.
Pizzaro ohne Arien
Paërs 'Leonora' bietet, wie auch Gavaux‘ 'Léonore', Jean-Nicolas Bouillys Libretto noch ohne jene wichtige Ergänzung, die für Beethoven bedeutungstragend werden sollten – die Rolle des Pizarro ist ganz ohne Arien ausgestattet. Der Tenor Carlo Allemano ist denn auch stimmlich weniger reich ausgestattet als seine Ensemblekollegen, er forciert teilweise unschön, und durch den eher tiefen Ambitus seiner Stimme, der zwar einen guten Kontrast zu Florestan bietet, kontrastiert er nicht wirklich scharf zu dem Rocco von Renato Girolami, mit lebhaftem, vokal bestens aufgelegtem Bariton mit (nicht übertriebener) Tendenz zum Buffonesken.
Ein paar störende Bühnengeräusche hätte die Aufnahmetechnik noch wegschneiden können, doch insgesamt ist das Klangerlebnis sehr überzeugend. Zwei eher oberflächliche Einführungstext und ein vollständiges Libretto bieten eine insgesamt gute Ausstattung einer wichtigen Produktion. Schade, dass De Marchi beim Florestan nicht nachjustieren konnte – sonst hätten wir hier eine rundum gelungene neue Referenzeinspielung.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Ferdinando Paer: Leonora: Innsbrucker Festwochenorchester, Alessandro de Marchi |
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Label: Anzahl Medien: |
cpo 2 |
Medium:
EAN: |
CD
761203541126 |
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Paer, Ferdinando |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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