
Beethoven: Fidelio - Dresdner Philharmonie, Marek Janowski
Wegen Corona ins Studio
Label/Verlag: Pentatone Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Dieser 'Fidelio' macht in vielen Punkten definitiv Freude – auch wenn es so einige frühere Aufnahmen gibt, die tiefer schürfen.
Der Corona-Pandemie sind so einige Projekte zum Opfer gefallen. Mancherorts wurde aus geplanten Produktionen eine Light-Version als Stream ohne Publikum oder es blieben reizvolle Besetzungen und Ideen auf bereits gedruckten Spielplänen. In Dresden wurde aus dem disponierten konzertanten 'Fidelio' im Frühjahr 2020 schließlich eine klassische Studioeinspielung von Beethovens einziger Oper. Was live nicht sein sollte, fand sich im Juni und November 2020 unter Studiobedingungen erneut zusammen – mit Abständen und unter fraglos erschwerten Bedingungen. Diese hört man der beim Label Pentatone neu erschienenen Doppel-CD dieses 'Fidelio' nur in wenigen Momenten an. Im Großen und Ganzen ist hier eine hörenswerte Aufnahme entstanden, die vor allen Dingen ein stattliches Ensemble vor den Mikrofonen versammelt und sich mit Marek Janowski am Pult der Dresdner Philharmonie mit einem erfahrenen Maestro schmückt.
Ganz ausgewogen ist das Klangbild nicht, auch wenn es prachtvoll aus den Lautsprechern tönt – die Abstände und Platzierung der Mikrofone bergen die Gefahr rhythmischer Ungenauigkeiten und einer teils schwierigen Balance zwischen Stimmen und Orchester. Die nachträglich eingespielten Chorpassagen mit zwei verschiedenen Chören – dem MDR Rundfunkchor für Pizarros Arie und dem Sächsischen Staatsopernchor Dresden für die übrigen Stellen – machen diese Hürden akustisch erfahrbar wie beispielsweise zu Beginn des zweiten Finale, wo es empfindlich wackelt.
Viele Pluspunkte
Dennoch gibt es viele Pluspunkte in diesem 'Fidelio'. Allen voran ein geradezu sensationeller Pizarro von Johannes Martin Kränzle mit einer bezwingenden Mischung aus Noblesse und abgründiger Brutalität. Da ist nichts dämonisiert, sondern erschreckend menschlich. Kränzle überzeugt mit seinem Rollenporträt auf ganzer Linie und zugleich ist er der einzige Künstler, der seine Dialogpassagen glaubhaft zu sprechen in der Lage ist. Alle anderen Solistinnen und Solisten mühen sich redlich, bleiben aber im typisch tönenden Operndialog-Nirwana stecken, können sich nicht von Betulichkeit und Unbeholfenheit befreien. Leider gehört zu diesen Dialogaussetzern auch der ansonsten herrlich gestaltete Rocco von Georg Zeppenfeld, der mit seinem balsamischen Bass auch die Doppelbödigkeit der Figur anpackt.
Dass die zugegebenermaßen nicht hochwertigen Dialoge des 'Fidelio' schwierig zu servieren sind, sei unbenommen. Aber wenn sich eine Einspielung mit dem Hinweis schmückt, die Dialoge seien eigens für diese Aufnahme von Katharina Wagner und Daniel Weber adaptiert, dann sind Erwartungen geweckt. Diese Dialogfassung bietet aber keinen eigenen Zugriff, sie erscheint letztlich nur stark gekürzt. Das hilft wenig – eine Dialogregie und -idee wäre hier dringend notwendig gewesen.
Da die Dialoge recht kurzgehalten sind, verblasst der unschöne Eindruck rasch, sobald die Musiknummern einsetzen. Marek Janowski pflegt einen unpathetischen Zugang, treibt sein Orchester und Soloensemble mächtig an und vermeidet schwelgerische Traditionen. Das ist in vielerlei Hinsicht begrüßenswert theatral, lässt aber auch im großen Bogen Tiefe und existentielle Töne vermissen. Durch die Schlusstakte des zweiten Aktes rast Janowski wie ein Getriebener, das Quartett allerdings kostet er mit überraschend viel Ruhe aus. Die oft gescholtenen (angeblichen) Stilbrüche dürfen unter Janowskis das sein, was sie sind: eine Stärke dieses eigenwilligen Werks. Zu diesem Thema bietet das Beiheft auch einen klugen und lesenswerten Text von Steffen Georgi.
Lise Davidsen ist ein junger Star der Opernwelt, die Leonore hat sie vor der Pandemie bereits in London auf der Bühne verkörpert. Nun verewigt sie ihre frische Interpretation auf Tonträger. Ihr üppiger Sopran ist ungemein beeindruckend: die gleißende Höhe, die satten und dunklen Farben in der Mittellage, die schiere Kraft und Klangfülle, die von dieser Stimme ausgeht. Mit Beethovens Stimmführung hat Davidsen keine Probleme, die gefürchteten Spitzentöne und Koloraturen der Arie meistert sie bravourös und ihr 'Töt erst sein Weib!' ist ein vokales Leuchtfeuer. Ins Ensemble fügt sich die Sängerin ebenso gut. In Sachen Textausdeutung und Zwischentöne hat diese vielversprechende Leonore aber noch Luft nach oben. In ein paar Jahren gibt es hoffentlich noch einmal die Chance, ein vielschichtigeres Porträt zu dokumentieren.
Glasklare Diktion
Als Florestan ist Christian Elsner eine ungewöhnliche Besetzung, lyrisch grundiert und mit wenig Heldenton. Und doch sind genau dies die Stärken seiner Interpretation. Er zeichnet einen gebrochenen Mann, der auf der Schwelle zwischen Leben und Tod steht, dessen Hoffnung nur noch eine Erinnerung ist. Elsner kämpft, wie so viele Tenöre, um die Finaltakte seiner großen Arie, aber er gewinnt – mit durchschimmernder Jugend und zugleich glaubwürdig angegriffener Tonschönheit. Seine Diktion ist glasklar, man glaubt diesem Florestan jedes Wort. Christina Landshamer liefert eine blitzsaubere und sympathische Marzelline, während Cornel Frey der undankbaren Partie des Jaquino mit seinem wendigen Spieltenor noch einiges an Profil abgewinnt. Einer Studioaufnahme würdig ist die Luxusbesetzung des Don Fernando mit Günther Groissböck. Dieser 'Fidelio' macht in vielen Punkten definitiv Freude – auch wenn es so einige frühere Aufnahmen gibt, die tiefer schürfen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Beethoven: Fidelio: Dresdner Philharmonie, Marek Janowski |
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Label: Anzahl Medien: |
Pentatone Classics 2 |
Medium:
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CD SACD
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Beethoven, Ludwig van |
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