
Scelsi, Giacinto - Action Music No.1 - Suite No.8
Entbergung des Kosmos
Label/Verlag: Kairos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Mit ,Action music' hat Giacinto Scelsi seinem 1955 verfassten Klavierstück einen für ihn sehr ungewöhnlichen Namen gegeben. Sonst tragen seine Klavierstücke dieser Zeit so klangliche und mit ihrem Klang an den Kosmos rührende Namen wie ,Bot-Ba', ,Ttai' oder ,Ka'. Auch unter seinen späteren Werken ist keines, das ein solch unmusikalische und an diesseitiges verhaftete Bezeichnung trägt. Was mag Scelsi zu diesen Namen bewogen haben? ,Action' ist nicht nur ein Begriff der englischen Sprache für ein aufregendes Geschehen. ,Action' ist auch ein Wort für ,Handlung' und ,Tat'. Auch die Mechanik eines Klaviers wird ,Action' genannt. Scelsi scheint hier die Handlung wichtiger zu sein als die Interpretation. Das Verhältnis zwischen Noten und Ausdrucksbezeichnungen wird umgekehrt – nicht mehr sind die Noten mit einem ,Ausdruck' zu spielen, sondern sie füllen nur noch den vorher feststehenden Ausdruck. Der Pianist wird zum bloßen Mittler, sein Spiel zum Kosmos entbergendes Ritual. So entspricht das Spiel des Stückes seiner Entdeckung. Scelsi verstand sich nicht als Komponist, sondern als Medium, durch welches die Musik hindurchgeht und von ihm lediglich fixiert wird. Die ,Action Music' verbirgt in der Kette zwischen Kosmos und Hörer sowohl die Person des Komponisten als auch die des Pianisten.
Mit ihrem improvisatorischen Gestus, ihren rauen Akkorden, ihren Ton- und Figurenwiederholungen, ihrem Nachlauschen den Schwingungen der Saiten klingt die frühere ,Suite Nr. 8 (Bot-Ba)' der ,Action Music' recht ähnlich. Mehr noch tritt ein Flimmern hinzu, ein Changieren der Klangfarben, das zugleich eine genaue Tonhöhenwahrnehmung verbirgt – die größte Annährung, die auf einem herkömmlichen Klavier an die Mikrotonalität möglich ist. Laut Untertitel ist die Suite eine ,Evokation Tibets mit seinen Klöstern, hohen Bergen: Ritualen, Gebeten und Tänzen.' Eine unwirtliche Landschaft, nahe am Himmel, die den Menschen ihre Kleinheit in der Unendlichkeit des Kosmos aufzeigt.
Bernhard Wambach sieht die Stücke als innere Auseinandersetzung der individuellen Existenz, als verzweifelnden Versuch, sich an die Erleuchtung anzunähern. Stark differenziert er Tempi und Dynamik, legt immer wieder einzelne Töne und Akkorde frei. Rituelle Wiederholungen von Klangfiguren werden zu einem inneren Zweikampf zwischen dionysischem Rausch und Vernunft gebundener Beherrschung. Das Wiederholen und immer wieder neu Betrachten ermöglicht erst die Entdeckung, die Betrachtung aller Dimensionen, die Annäherung an Erkenntnis. Wiederholen ist zugleich ein Voraussetzung für den Rausch – Tiefe der Gedanken und Rausch liegen eng beieinander, doch streng getrennt. Die Erleuchtung ist der Moment der Vereinigung zwischen Rausch und Gedanken, das freie, ungebundene Denken. Hartnäckig sucht Wambach den Rausch, und fasst ihn wieder in Gedanken. Sein Spiel gewinnt die Spannung aus dem ewig währenden Versuch, beide Pole miteinander zu vereinen. Es hat etwas düsteres, trübsinniges, Wambachs linke Hand ist schwerer als die rechte. Aber trotz aller Unerreichbarkeit der Erleuchtung, ein unbeugsames, tiefes Streben zieht ihn zu ihr hin.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Scelsi, Giacinto: Action Music No.1 - Suite No.8 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: Aufnahmejahr: Veröffentlichung: |
Kairos 1 19.11.2003 48:01 2001 2003 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
9120010280047 0012312KAI |
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