
Schreker: Der ferne Klang - Oper Frankfurt, Sebastian Weigle
'Hörst du den Ton?'
Label/Verlag: OehmsClassics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Dieser 'Ferne Klang' zeigt mit großer Klarheit und Leidenschaft, wie populär Schrekers Meisterwerk und seine Musik im Allgemeinen sein sollten.
Im Frühjahr 2019 kam Franz Schrekers Oper 'Der ferne Klang' in Frankfurt am Main an den Ort ihrer Uraufführung zurück. Dieses stilistisch vielgesichtige und vielschichtige Werk wurde 1912 zum Sensationserfolg und Schreker damit zum ernsthaften Konkurrenten für Richard Strauss. Doch die Erfolgssträhne war eher kurz: Spätestens in Nazi-Deutschland galt Schrekers Musik als ‚entartet‘, der Komponist und sein Schaffen gerieten mehrere Jahrzehnte nahezu in Vergessenheit. Mittlerweile verhält es sich anders, wenngleich Schrekers Musik lange nicht so präsent auf den Opernbühnen ist, wie die anderer seiner Zeitgenossen. Eine gewisse Skepsis scheint es immer noch zu geben, oft vielleicht nur aus Unkenntnis. Gegen diese Unkenntnis hilft beispielsweise Hören – und zwar den Mitschnitt der Frankfurter Neuproduktion des 'Fernen Klangs' als Livemontage vom März und April 2019, der auf drei CDs beim Label Oehms erschienen ist.
Faszinierende Musiksprache
Unter der musikalischen Leitung Sebastian Weigle mag Schrekers Komposition zwar ein paar herausfordernde Ecken und Kanten verloren haben, aber der souveräne und klangvolle Zugriff nimmt auf Tonträger fraglos für sich ein. Die tontechnische Aufbereitung ist hervorragend, so dass die teils mächtig aufbrausenden Klangmassen niemals die Singstimmen überlagern, die hörerfreundlich im Vordergrund angesiedelt sind und größtenteils auch sehr textverständlich agieren. Weigle betont das Süffige und Flirrende an Schrekers Partitur, lässt es beispielsweise im zweiten Akt sogar fast swingen. Alles ist da vom operettigen Chanson bis hin zum impressionistischen Tongemälde der Waldszene mit unaufgeregtem Pinsel gemalt. Verstörend modern oder aufrüttelnd ist diese Schreker-Interpretation wahrlich nicht, vielmehr taugt sie als barrierearmer Zugang zur faszinierenden Musiksprache des bereits 1934 verstorbenen Komponisten.
Im Zentrum der sich über viele Jahre erstreckenden Geschichte stehen Grete und Fritz. Er ist ein Komponist, der nach dem reinen, vollendeten ‚fernen Klang‘ sucht und dabei seine Liebe opfert. Grete, die eigentliche Hauptperson, durchläuft ein Schicksal vom bürgerlichen Mädchen, das von ihrem Vater beim Kegeln verschachert wird, hin zur Edel-Kurtisane und schließlich zur verachteten Straßenhure. In ihren Armen stirbt am Ende Fritz, der nun endlich den ‚fernen Klang‘ vernimmt, ohne ihn noch für seine eigene Musik nutzen zu können. Das von Schreker selbst verfasste Libretto ist symbolisch ordentlich überfrachtet, bedient sich fasziniert bei Sigmund Freud und bietet so ziemlich alles, was 1912 auf einer Opernbühne fesseln, schockieren oder anrühren konnte – durchzogen von einer tonalen Musik, die geschickt mit Wagners Erbe und zeitgenössischen Strömungen zu jonglieren versteht.
Glänzendes Ensemble bis in die kleinste Partie
Im Frankfurter Mitschnitt überzeugt vor allen Dingen ein glänzend aufgelegtes Ensemble, das bis in die kleinsten Partien stimmstarke Darstellerinnen und Darsteller aufbietet. Als Grete zeichnet Jennifer Holloway ein eindrückliches Porträt. Mit vollem, leuchtendem Sopran ist sie eine Grete, die sich weniger als pures Opfer denn als selbstbewusste Kämpferin präsentiert. Im ersten Bild erscheint sie fast zu dramatisch, aber im Laufe der Oper spürt man die kluge Einteilung ihrer unerschöpflichen Reserven. Genau dosiert balanciert sie auf dem Grat zwischen jugendlicher Dramatik und lyrisch feiner Linie. Herrlich gelingen ihr die Waldszene und die Szenen mit Fritz. Letzterer ist mit Ian Koziara vokal überraschend fragil besetzt. Das macht seine Interpretation zwar sehr glaubwürdig, aber gerade im Zusammenspiel mit Jennifer Holloway erhoffte man sich etwas mehr aufblühende Höhen und eine Portion Stamina. Wie Holloway gelingen auch ihm beeindruckend klangschöne Phrasen und Momente, sprachlich bewegt er sich als Nicht-Muttersprachler im Rahmen dieses Mitschnitts auf absolut respektablem Niveau.
Dem Dr. Vigelius von Dietrich Volle stünde ein wenig mehr akustisch erfahrbare Dämonie gut an, aber seine klare Gestaltung gepaart mit der Kunst, Sprache und Musik zu einer untrennbaren Einheit zu verschmelzen, entzieht sich jeder Kritik. Der junge Bariton Iurii Samoilov glänzt in seinem kurzen Auftritt als Schmierenschauspieler mit Luxustimbre, Gordon Bintner gibt einen prachtvollen und umschmeichelnden Grafen, Theo Lebow trifft als Chevalier mit seinem Lied vom ‚Blumenmädchen von Sorrent‘ traumwandlerisch ins Schwarze. Im Reigen der grandios besetzten Nebenpartien sollen auch die Mutter von Barbara Zechmeister, der alte Graumann von Magnús Baldvinsson, der schmierige Wirt von Anthony Robin Schneider und das zweifelhafte Individuum von Hans-Jürgen Lazar mit ihren scharf geschliffenen Figuren nicht unerwähnt bleiben. Als altes Weib bietet die Oper Frankfurt eine wahre Legende auf: Nadine Secunde gibt die Kupplerin mit stark beanspruchtem Stimmmaterial und einem Farbgemenge, das stark an die Hexe aus 'Hänsel und Gretel' erinnert. Neben dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester überzeugt auch das andere wunderbare Kollektiv des Hauses: der Chor der Oper Frankfurt in der Einstudierung von Tilman Michael.
Was bei den lohnenswerten Oehms-Veröffentlichungen immer wieder positiv auffällt, sind die ansprechend gestalteten Booklets. Auch im Falle des 'Fernen Klangs' finden sich ein spannender Artikel zu Schrekers Musik von Maximilian Nickel und Kurzbiografien sämtlicher Künstlerinnen und Künstler. Das vollständig abgedruckte Libretto gibt es allerdings nur in deutscher Sprache, während die übrigen Beiträge auch auf Englisch vorhanden sind.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Schreker: Der ferne Klang: Oper Frankfurt, Sebastian Weigle |
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Label: Anzahl Medien: |
OehmsClassics 3 |
Medium:
EAN: |
CD
4260034869806 |
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Schreker, Franz |
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OehmsClassics Ein erfülltes Leben ist ohne Musik kaum denkbar. Musik spiegelt unsere Wahrnehmung der Umwelt und die Realität heutiger wie vergangener Zeiten. Gute Musik ist immer neu, immer frisch, immer wieder entdeckenswert. Deshalb bin ich überzeugt: Es gibt nicht -die- eine, definitive, beste Interpretation der großen Werke der Musikgeschichte. Und genau das macht klassische Musik so spannend: Jede Musikergenerationen experimentiert, entdeckt neue Blickwinkel, setzt unterschiedliche Schwerpunkte - derselbe Notentext wird immer wieder von anderen Strömungen belebt. Deshalb ist ein Musikstück, egal aus welchem Jahrhundert, auch immer Neue Musik. OehmsClassics hat es sich zur Aufgabe gemacht, am Entdecken der neuen Seiten der klassischen Musik mitzuwirken. Unser Respekt vor den künstlerischen Leistungen der legendären Interpreten ist gewiss. Unser Ziel als junges CD-Label sehen wir jedoch darin, den interpretatorischen Stil der Gegenwart zu dokumentieren. Junge Künstler am Anfang einer internationalen Karriere und etablierte Künstler, die neue Blickwinkel in die Interpretationsgeschichte einbringen - sie unterstützen wir ganz besonders und geben ihnen ein Forum, um auf dem Tonträgermarkt präsent zu sein. Sie, liebe Musikhörer, bekommen damit die Gelegenheit, heute die Musikaufführung zu Hause nachzuvollziehen, die Sie gestern erst im Konzertsaal oder Opernhaus gehört haben. Wir laden Sie ein, gemeinsam mit uns die neuen Seiten der klassischen Musik zu erleben!
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