
Pärt: Miserere - Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner Rundfunkorchester, Howard Arman
Luzides Lob
Label/Verlag: BR-Klassik
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Ein schönes, rundes Programm des BR-Chors, das Arvo Pärt in seinen Eigenarten und seinem unverwechselbaren Kern expliziert: So kann man gratulieren, auch nachträglich.
Anlässlich des 85. Geburtstags des estnischen Komponisten Arvo Pärt im Jahr 2020 war eine Reihe mehr als ansprechender Platten zu verzeichnen, die der ohnehin reichen Pärt-Diskografie Impulse verliehen. Auch der Bayerische Rundfunk hatte geplant, Pärt zu Beginn der Saison 2020/21 mit einem eigenen Geburtstagskonzert in Anwesenheit des Jubilars zu ehren, das dann pandemiebedingt nicht wie geplant stattfinden konnte. Jetzt liegt beim Hauslabel des BR eine Platte vor, die Pärt dennoch eine rundum gelungene Würdigung zuteilwerden lässt.
Das Programm umfasst Werke, die zwischen 1986 und – rechnet man Bearbeitungen ein – 2019 entstanden sind. Sie reichen von reiner A-cappella-Literatur über Instrumentalwerke verschiedener Besetzungen bis zur vokal-instrumentalen Großform. Ein Programm, das geeignet ist, all das Typische, Charakteristische, Unverwechselbare zu Gehör zu bringen, das Pärt auszeichnet. Rein chorisch sind 'Which was the son of...' (2000), 'Tribute to Caesar' (1997), 'The Deer's Cry' (2007) und 'Ja ma kuulsin hääle' (2017) angelegt. Für die Sphäre der Instrumentalwerke stehen das älteste Stück der Programmfolge 'Festina lente', ein 1986 entstandener Satz für Streichorchester und Harfe sowie 'Sequentia' für Violine, Schlagwerk und Streichorchester (2005/2019). Den Kern bildet das gut halbstündige 'Miserere' von 1989/92 für Soli, Chor, Orgel und Instrumentalensemble. Alle Sätze sind gehaltvoll, nichts Ephemeres ist zu hören. Aus Pärts in der Tat reichem Schaffen ließen sich etliche Programme wie dieses entwerfen – gleich an Rang und Substanz.
Die Verbindung von Pärt und dem BR-Chor reicht etliche Jahre zurück, der Vorbereitungsphase der Aufführung des 'Miserere' anlässlich der Salzburger Festspiele 2019 wohnte Pärt in München bei, was er in der Vergangenheit bei ihm gewidmeten Konzerten durchaus vergleichbar zu tun pflegte. Eine Aufführung mithin, die besondere Autorität beanspruchen kann. Das Stück ist klar profiliert in Geste und Besetzung, geeignet, alle die es hören, zum Innehalten zu bringen: Es sind nur knapp über 30 Minuten Musik, und dennoch wirkt es in seiner Intensität geradezu abendfüllend.
Konzentration und Frische
Der BR-Chor unter seinem Leiter Howard Arman bietet eine hochkonzentrierte Leistung: Die im Studio aufgenommenen A-cappella-Sätze singt er mit angemessen ‚geradem‘ Klang, luzide in Kraftentfaltung und Präsenz, in sehr schön profilierten Registern, die sich zu wunderbar verhaltenen Qualitäten verstehen. Die weit ausgedehnte Klangwirkung der Musik Pärts wird genau und dezidiert gegliedert, klug und mit Gewinn; feine Zäsuren und eine leuchtend klare Sprache unterstützen das.
In den Instrumentalstücken ist der Grundansatz ebenfalls gesammelt, kommt die Deutung ohne äußerliche Gesten aus, ganz auf die Pärt-typische Ausdruckskraft vertrauend, die sich verlässlich einstellt, wenn der interpretatorische Ansatz wie hier jeder Geste Beachtung schenkt, wenn nicht gedrückt oder gewollt, sondern mit Geduld expliziert wird.
In der Live-Situation des 'Miserere' erfüllt der BR-Chor das 'Dies irae' mit Verve und Frische zum grundstürzenden Klangerlebnis, vor allem im Gegensatz zur auch dynamisch verhaltenen Formulierung der anderen Sätze; das beschließende 'Rex tremendae' ist dann ein magischer Satz nach Art des populären und geradezu archaisch eindrucksvollen 'De profundis' für Männerchor und Glocken: Hier findet Pärts Kompositionskunst ganz zu sich selbst. Die instrumentalen Partien werden vom Österreichischen Ensemble für Neue Musik übernommen, das die im Grunde kargen Gesten und knappen Wendungen präzis abbildet, dezidiert feine Farbwerte in den stets heiklen Besetzungen zur Geltung bringt. Jeder Akteur agiert als Solist und ist zugleich wacher Teil einer agilen Kammermusikformation.
Vokales Kontinuum
Die vokalen Soli werden von Anna-Maria Palii (Sopran), Benno Schachtner (Altus), Andrew Lepri Meyer und Moon Yung Oh (Tenor) sowie Thomas Hamberger (Bass) in erlesener Qualität vorgetragen, in klarer Stimmführung mit beachtlichen linearen Qualitäten: Die sind umso mehr gefragt, als Pärts Musik in den einzelnen Versen immer wieder stockt und zum Stehen zu kommen scheint – die Vokalisten sind das Kontinuum und sorgen für den hintergründigen Fortgang. Gespannte Aufmerksamkeit zu halten ist eine der zentralen Aufgaben des Quintetts. Denn die Tempi sind, wie angedeutet, verhalten, wirken gelegentlich beinahe impulslos und zum Stillstand kommend, um dann neuerlich zu erwachen und fortzuströmen. Intoniert wird ohne Schwächen, lebendig und farbig, in allen klingenden Sphären gleichermaßen. Besonders hervorzuheben sind die verschiedenen vokalsolistischen Konstellationen in den Versen des 'Miserere', in denen die Stimmen vollkommen unbegleitet und bloßliegend leicht nachvollziehbare Intervalle und Akkorde zu durchmessen haben und dieser Anforderung beglückend entsprechen. Die technische Realisierung der Studioaufnahmen ist durchgehend klar und makellos; die Live-Situation wirkt gleichfalls luzide und strukturbetont, bei schöner Balance. Auch die eminenten Energien des 'Dies irae' werden souverän gebändigt.
Ein schönes, rundes Programm des BR-Chors, das Arvo Pärt in seinen Eigenarten und seinem unverwechselbaren Kern expliziert: So kann man gratulieren, auch nachträglich.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Pärt: Miserere: Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner Rundfunkorchester, Howard Arman |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: Aufnahmejahr: |
BR-Klassik 1 05.03.2021 071:54 2019 |
Medium:
EAN: BestellNr.: Booklet |
CD
4035719005271 900527 |
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Pärt, Arvo |
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"ARVO PÄRT CHOR- UND INSTRUMENTALWERKE Zum 85. Geburtstag von Arvo Pärt (September 2020) und zum 75-jährigen Bestehen des BR-Chors (Mai 2021) Wie kaum einem anderen zeitgenössischen Komponisten ist es dem Esten Arvo Pärt (*1935) gelungen, die Geistliche Musik auch außerhalb des Gottesdienstes wieder ins Bewusstsein einer größeren Zuhörerschaft zu bringen. Wegen ihres meditativen Charakters, der Rückbesinnung auf einfachste musikalische Grundformen, eröffnet seine Musik den Blick auf wesentliche spirituelle Momente. Dazu hat Pärt schon vor seiner Emigration aus der Sowjetunion die von ihm selbst als „Tintinnabuli-Stil“ (lat. Glöckchen) bezeichnete Art zu Komponieren erfunden. Ein erstes wesentliches Beispiel dieses Stils lieferte er 1977 mit dem „Cantus in Memory of Benjamin Britten” für Glocke und Streichorchester; ganz diesem Klangverständnis sind jene Chor- und Instrumentalwerke verpflichtet, die BR-KLASSIK auf der neuen CD präsentiert: fünf Werke für Chor sowie zwei für instrumentale Ensemblewerke, die sämtliche Schaffensepochen des Komponisten zwischen 1986 und 2019 abdecken. Neben kürzeren a cappella-Chorwerken wie „Tribute to Caesar” (1997), „Which Was the Son of …“ (2000), „The Deer’s Cry” (2007) und „Ja ma kuulsin hääle … (And I heard a voice)” (2017) markiert das in seinen Klangwirkungen wie seiner gut 30-minütigen Aufführungsdauer geradezu spektakuläre „Miserere“ für Soli, gemischten Chor, Ensemble und Orgel (1989/1992) den Höhepunkt des Albums. Seit der Uraufführung 1989 im französischen Rouen und der Einspielung durch das Hilliard Ensemble unter Leitung von Paul Hillier wagt sich damit erstmals wieder ein professioneller Chor an eine CD-Produktion der meisterhaften Komposition, welche die menschliche Existenz in Werden, Gedeihen und Vergänglichkeit in Töne kleidet. Einige dieser Chorwerke hatte Arvo Pärt nie zuvor von einem Chor gesungen gehört, „immer nur von einem kleinen Ensemble“. In enger Zusammenarbeit von Komponist und BR-Chor sind die Interpretationen und Aufnahmen zustande gekommen. Die beiden Instrumentalwerke „Festina lente“ (1986/1990) für Streichorchester und Harfe sowie „Sequentia“ (2014/2019) für Violine, Schlagwerk und Streichorchester vervollständigen das beeindruckende Programm. Trotz oder gerade wegen der radikalen Reduktion ihrer Ausdrucksmittel fordert die Musik Pärts von den Interpreten größte Sorgfalt in der Ausführung – in der vorliegenden Einspielung meisterhaft realisiert vom Chor des Bayerischen Rundfunks unter seinem Künstlerischen Leiter Howard Arman. Die Instrumentalwerke spielt das Münchner Rundfunkorchester. (Die Aufnahmen der Chorwerke entstanden im September, die der Instrumentalwerke im November 2020.) Bei Pärts „Miserere“, das der Österreichische Rundfunk live bei den Salzburger Festspielen 2019 mitgeschnitten hat, begleitet das œnm . œsterreichisches ensemble für neue musik, eines der traditionsreichsten europäischen Ensembles für die Interpretation der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, den Chor des Bayerischen Rundfunks unter Howard Arman. Chor des Bayerischen Rundfunks Münchner Rundfunkorchester œnm . œsterreichisches ensemble für neue musik Howard Arman, Leitung " |
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BR-Klassik BR-KLASSIK, das Label des Bayerischen Rundfunks (BR), veröffentlicht herausragende Live-Konzerte des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks (BRSO), des Chors des Bayerischen Rundfunks, des Münchner Rundfunkorchesters sowie der Konzertreihe musica viva. Dabei ist es ein wesentliches Ziel des Senders, über seine Radio- und TV-Programme hinaus auch digital sowie via CD und DVD allen Musikfreunden weltweit Zugang zu besonderen Aufnahmen zu bieten und auf diese Weise auch jenes Publikum zu erreichen, welches keine Möglichkeit hat, die Konzerte der internationalen Tourneen selbst vor Ort live zu erleben. Neben den jeweiligen Chefdirigenten wie beispielsweise Mariss Jansons oder Sir Simon Rattle finden sich großartige Künstlerpersönlichkeiten wie Daniel Barenboim, Herbert Blomstedt, Bernard Haitink und viele andere mehr. Die Reihe BR-KLASSIK WISSEN liefert unterhaltsame und kurzweilige Hörbiografien von Jörg Handstein mit vielen Hintergrundinformationen und Musikbeispielen auf jeweils 4 CDs, erzählt von Udo Wachtveitl sowie spannende Werkeinführungen in bedeutende Kompositionen der Musikgeschichte. Durch die Reihe BR-KLASSIK ARCHIVE werden historische Aufnahmen des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks wieder verfügbar. Beispielsweise die legendäre Aufführung des Verdi-Requiems unter der Leitung Ricardo Mutis mit Jessye Norman, Agnes Baltsa, José Carreras und Jewgenij Nesterenko und dem Chor des BR im Jahr 1981 oder etwa denkwürdige Konzertabende mit der Pianistin Martha Argerich: 1973 unter Leitung von Eugen Jochum mit Mozarts Klavierkonzert KV 456 sowie zehn Jahre später mit Beethovens Klavierkonzert Nr.1 unter Seiji Ozawa. Mittlerweile umfasst der gesamte Katalog über 200 Aufnahmen und hat bereits mehr als 50 renommierte und internationale Auszeichnungen erhalten, darunter den Preis der Deutschen Schallplattenkritik, den Diapason d’or, den BBC Music Magazine Award und den ICMA. BR-KLASSIK wird weltweit durch NAXOS vertrieben. Selbstverständlich gehören hierzu auch digitale Portale wie Spotify, Apple, amazon u.v.a.. Die Naxos Music Library präsentiert zudem für Universitäten und öffentliche Bibliotheken via Internet einen ständig wachsenden Katalog mit tausenden von Titeln weltweit führender Labels. Studenten, Lehrpersonal und andere Benutzer können sich jederzeit einloggen und in der Bibliothek, im Hörsaal, im Studentenwohnheim, im Büro oder zu Hause das komplette Repertoire abrufen - auch die Aufnahmen von BR-KLASSIK. Mehr Info... |
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