> > > Rameau: Dardanus: Purcell Choir, Orfeo Orchestra, Gyorgy Vashegyi
Freitag, 1. Dezember 2023

Rameau: Dardanus - Purcell Choir, Orfeo Orchestra, Gyorgy Vashegyi

Französische Antike aus Budapest


Label/Verlag: Glossa
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Das Orfeo Orchestra unter der Leitung von György Vashegyi und ein bestens aufgelegter Cyrille Dubois in der Titelpartie machen diesen neuen 'Dardanus' zu einem hörenswerten Erlebnis.

Mittlerweile sind das ungarische Orfeo Orchestra und sein musikalischer Leiter György Vashegyi schon kein Geheimtipp mehr für lebendige und stilistisch treffsichere Aufführungen frühbarocker Werke. So manche Einspielung dokumentiert bereits die Erfolgsgeschichte des Ensembles bei verschiedenen Labels. Der neueste Streich gilt der Tragédie lyrique 'Dardanus' von Jean-Philippe Rameau auf ein Libretto von Charles-Antoine Leclerc de La Bruère. Auf drei CDs ist die Aufnahme vom März 2020 in Budapest beim Label Glossa erschienen – tontechnisch einwandfrei und mit einem gelungenen Beiheft, das umfangreiche Informationen zum Werk auf Englisch, Französisch und Deutsch bereithält sowie einen Abdruck des Librettos in französischer Sprache und englischer Übersetzung.

'Dardanus' gehört nicht gerade zu den Erfolgsgeschichten zu Rameaus Lebzeiten. Die Uraufführung 1739 kommt bei Publikum nicht gut an, angeblich stören zu viele fantastische Ungereimtheiten im Handlungsverlauf. Rameau und sein Textdichter erstellen eine neue Fassung, die nicht nur Retuschen beinhaltet, sondern tiefgreifende Änderungen der Dramaturgie, teilweise komplett neu konstruierte Aktverläufe, und neue Musik. Diese Zweitfassung ist 1744 wiederum kein Volltreffer, erst die Streichung des Prologs stimmt Anfang der 1760er-Jahre die Zuhörer gnädig mit 'Dardanus'.

Dabei ist die Geschichte vom jungen Helden Dardanus, der die Tochter seines Erzfeindes Teucer liebt, und für diese Liebe durch eine Fülle an Gefahren geht, eine ungemein theatrale Angelegenheit. Da hatten Rameau und Leclerc de La Bruère einen guten Riecher. Die Zeitumstände, die Veränderung der Operntraditionen und damit des Publikumsgeschmacks ließen vieles an 'Dardanus' schwierig erscheinen, eine volle Würdigung des Werks war letztlich unmöglich.

Die pure Zweitfassung

György Vashegyi und sein Ensemble haben sich für die aktuelle Einspielung für Rameaus Zweitfassung von 1744 entschieden. Damit unterscheidet sie sich deutlich von den beiden auf CD erhältlichen älteren Aufnahmen unter Raymond Leppard oder jener von Marc Minkowski, die beide auf die Wirkung einer Mischfassung setzten. Die hier verwendete zweite Fassung ist wesentlich dramatischer und konzentrierter als die erste. Manch absurdes, skurriles Beiwerk von 1739 fehlt. Und im Vergleich könnte man sogar sagen, es wird beim Hören ein wenig vermisst. Ein barockes Spektakel bleibt aus. Dafür gibt es eindringliche Szenen und eine Fülle an schön gestalteten Affekten zu erleben.

Die Vokalsolistinnen und -solisten sind allesamt souveräne Stilisten, die mit dieser Art von musikalisierter Sprache abwechslungsreich umzugehen verstehen. Als Iphise und Amour findet Judith van Wanroij samtene Herzenstöne, die gerade ihre Iphise zu einer glaubhaften Figur machen. In Bezug auf Klangfarben könnte sich die Künstlerin gerne ein bisschen mehr aus der Deckung wagen, aber diese Einschränkung teilt sie mit ihrer Soprankollegin Chantal Santon Jeffery, die eine kristallin schimmernde, aber teils auch schneidend scharfe Vénus, sowie die kleine Partie einer Phrygierin zur Diskussion stellt. Effektvoll sind beide Interpretationen aber allemal.

Auch bei den Herren herrscht hier und da ein wohlklingender Einheitston, nämlich bei Thomas Dolié als Teucer und Isménor, sowie bei Tassis Christoyannis als Anténor. Beide besitzen prachtvolle Stimmen, vor allem Christoyannis punktet mit seinem attraktiven herben Timbre. Thomas Dolié macht insbesondere als Isménor eine gute vokale Figur, indem er einen Hauch Dämonie im stets schicklichen Vortrag zulässt. Für die geforderten Charaktere und deren Konfrontationen unterscheiden sich die beiden tiefen Männerstimmen für eine CD-Aufnahme aber zu wenig.

Zauberische Kraft

Dagegen glänzt Cyrille Dubois mit edlem, höhensicherem Tenor in der Titelpartie. Mit Leichtigkeit und Eleganz, die nie larmoyant zu werden droht, lässt er den Hörer Liebesglück und Liebespein und auch das kämpferische Naturell des Dardanus eindringlich erleben. Neben seiner Leistung ist es das Orfeo Orchestra, das die Glanzlichter dieser Einspielung setzt. Das Spiel der Musikerinnen und Musiker unter Vashegyis Leitung ist schlicht mitreißend und begeisternd. Sie genießen hörbar die Farbenpracht von Rameaus Komposition. Schon allein die ersten Takte des zweiten Akts sind von zauberischer Kraft, wenn der Zuhörer in Isménors Höhle versetzt wird. Diesen Mut (oder vielleicht auch einfach die Freiheit) zur theatralen, lebendigen Ausgestaltung hätte man dem Vokalensemble ebenso gewünscht. Der ausgezeichnete Purcell Choir und Clément Debieuvre als Arcas komplettieren die hörenswerte Einspielung einer im Katalog noch recht selten auftauchenden Oper.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Rameau: Dardanus: Purcell Choir, Orfeo Orchestra, Gyorgy Vashegyi

Label:
Anzahl Medien:
Glossa
2
Medium:
EAN:

CD
8424562240100


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Rameau, Jean-Philippe


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Glossa

Spaniens renommiertestes Klassiklabel wurde 1992 von Carlos Céster und den Brüdern José Miguel und Emilio Moreno gegründet. Sein "Hauptquartier" hat es in San Lorenzo del Escorial in den Bergen nahe Madrid. Zahlreiche herausragende Künstler und Ensembles aus dem Bereich der Alten Musik (z.B. Frans Brüggen und das Orchestra of the 18th Century, La Venexiana, Paolo Pandolfo, Hervé Niquet und sein Concert Spirituel u.v.a.) finden sich im Katalog des Labels. Doch machte GLOSSA von Anfang an auch wegen der innovativen Gestaltung und Produktionsverfahren von sich reden. Zu nennen wären hier die Einführung des Digipacks auf dem Klassikmarkt und dessen konsequente Verwendung, der Einsatz von Multimedia Tracks oder die Platinum-Serie mit ihrem avantgardistischen Design. Innerhalb der vergangenen knapp zwei Jahrzehnte konnte GLOSSA so zu einem der interessantesten Klassiklabels auf dem Markt avancieren. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt auch dem Spiritus rector und Gesicht des Labels, Carlos Céster.


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