
Mahler: Das klagende Lied - Wiener Singakademie, ORF Vienna Radio Symphony Orchestra, Michael Gielen
O Leide, weh, o Leide!
Label/Verlag: ORFEO
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Eine vorbildliche Interpretation, die durch das Klangbild getrübt wird: Gielen dirigiert Mahlers 'Das klagende Lied'.
Im Konzertbetrieb spielt Gustav Mahlers vokalsymphonisches Werk 'Das klagende Lied' aus seiner schöpferischen Frühphase gegenüber den späteren Liedern und Sinfonien eine stark untergeordnete Rolle. Dabei ist dieser Dreisätzer für Vokalsolisten, Chor und großes Orchester, inklusive Fernorchester, gar nicht so unausgereift und so viel schlechter als alles, was danach kommt – sieht man von der in späteren Werken abgelegten strukturellen Gleichförmigkeit ab, die gewisse Längen zur Folge hat. Neben offensichtlichen Wagner-Einflüssen hört der geneigte Mahlerianer hier vieles, was auf später vorausdeutet: Von Stimmungen, Blechbläserfanfaren, typischen Wendungen und Klangfarben, die nicht nur bereits die Wunderhorn-Sinfonien anklingen lassen, sondern auch die 'Sinfonie der Tausend', bis zu Phrasen, die in den ersten beiden Sinfonien Verwendung fanden.
Auf dem Plattenmarkt sieht es glücklicherweise anders aus. Vor allem in den letzten Jahren erschien eine gute Handvoll an Einspielungen auf hohem Niveau (Thilson Thomas, Boulez, Chailly etc.). Wenn jetzt posthum bei Orfeo ein Live-Mitschnitt aus dem Wiener Konzerthaus von 1990 unter der Leitung von Michael Gielen (1927-2019) mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien, der Wiener Singakademie und erstklassigen Gesangssolisten erscheint, ist das gleichwohl ein Grund zur Freude. Schließlich darf Gielen zu den großen Mahler-Koryphäen seiner Zeit gezählt werden, 'Das klagende Lied' war unter seiner Leitung bislang jedoch nicht erhältlich. Selbst die ansonsten erschöpfende, bei SWR Classic erschienene Gielen-Edition lässt dieses Frühwerk Mahlers vermissen. Zu Gehör gelangt die etablierte Mischfassung aus dem originalen ersten Satz 'Waldmärchen' und den beiden später überarbeiteten anderen Sätzen 'Der Spielmann' und 'Hochzeitsstück'.
Wie auf der Opernbühne
Interpretatorisch ist diese Einspielung erwartungsgemäß dann auch alles andere als eine Enttäuschung. Gielen und alle Beteiligten balancieren gekonnt zwischen musikalischem Weltschmerz und großem Opernton. Der Beginn des 'Hochzeitstücks' klingt dank Gielens weitreichender Opernerfahrung gar leicht nach einer alternativen Version des 'Lohengrin'-Vorspiels zum Dritten Akt. Zudem gestalten die Solisten in Form von Brigitte Poschner-Klebel (Sopran), Marjana Lipovsek (Mezzosopran), David Rendall (Tenor) und Manfred Hemm (Bariton) allesamt expressiv wie textverständlich und so lebendig, als würden sie auf der Opernbühne stehen. Gleiches gilt für die Wiener Singakademie und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien, das in Bestform agiert.
Leider nur lässt das Klangbild einiges zu wünschen übrig. Trotz Remastering klingt die Aufnahme im Vergleich mit der Konkurrenz topfig, nicht immer transparent, und auch die Mikrofonierung scheint nicht die beste gewesen zu sein (Holzbläser), sodass beim klangfarblichen Reichtum der hier bereits ausgeprägten Instrumentierung Mahlers Abstriche zu machen sind. Die Klasse der Interpretation ist zwar durchhörbar und es gehen keine entscheidenden Elemente verloren, die Aufnahme klingt jedoch älter, als sie eigentlich ist (im hochaufgelösten Musik-Stream ist es ein wenig besser). Dreht man die Lautstärke auf, ist es nicht ganz so schlimm. Dafür weist das Booklet erfreulicherweise den gesamten Werktext auf. Wer 'Das klagende Lied' also auf CD besitzen möchte, sollte hineinhören, da alleine Gielens klarer, die Materie durchdringender Zugriff die Einspielung wert ist. Andere Dirigenten klingen da zudem deutlich pomadiger. Wem ein transparentes Klangbild lieber ist, der sollte lieber zur SACD mit Michael Thilson Thomas und dem San Francisco Symphony Orchestra greifen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Mahler: Das klagende Lied: Wiener Singakademie, ORF Vienna Radio Symphony Orchestra, Michael Gielen |
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Label: Anzahl Medien: |
ORFEO 1 |
Medium:
EAN: |
CD
4011790210216 |
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Mahler, Gustav |
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ORFEO Erschienen die ersten Aufnahmen des 1979 in München gegründeten Labels noch in Lizenz bei RCA und EMI, produziert und vertreibt ORFEO seit 1982 unter eigenem Namen. Durch konsequente Repertoire- und Künstlerpolitik konnte sich das Label seit seinem aufsehenerregenden Auftritt am Anfang der Digital-Ära dauerhafte Präsenz auf dem Markt verschaffen. Nicht nur bekannte Werke, sondern auch weniger gängige Musikliteratur und interessante Raritäten - davon viele in Ersteinspielungen - wurden dem Publikum in herausragenden Interpretationen zugänglich gemacht. Dabei ist es unser Bestreben, auch mit Überraschungen Treue zu klassischer Qualität zu beweisen.
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