
Friedrich Gernsheim: The Works for Violin & Piano - Christoph Schickedanz, Ernst Breidenbach
Sechs Jahrzehnte Violinsonaten
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die Einspielung zeigt, dass Friedrich Gernsheims Violinsonaten keine Musik aus der zweiten Reihe sind.
Vier gezählte und eine Jugendsonate schuf Friedrich Gernsheim (1839–1916) für Violine und Klavier von 1853 bis 1912 (?), dazu entstanden 1853 ein einzelnes 'Andante' F-Dur und um 1876 'Introduction und Allegro appassionato' op. 38. Letztere Komposition ist im Grunde eine Ausnahmeerscheinung in Gernsheims Œuvre für Violine und Klavier, handelt es sich doch um Violinvirtuosenmusik, zwar nicht ohne Tiefgang (und mit einem Touch Brahms), doch mit starkem Schwerpunkt auf dem Violinpart. Christoph Schickedanz und Ernst Breidenbach überbetonen den technischen Aspekt des Werks aber ebenso wenig wie die sentimentalen Momente (gelegentlich wünscht sich der Rezensent auf der E-Saite einen etwas stärkeren Ton). Das harmonische Miteinander der beiden Musiker, auch von der Tontechnik vorbildlich eingefangen, lässt die Qualität der Musik vorzüglich zur Geltung kommen.
Fünf Sonaten und ein Sonatensatz
Die Entwicklung der Violinsonate in Gernsheims Händen über sechs Jahrzehnte eröffnet ein weites Spektrum sowohl in stilistischer als auch in emotionaler Hinsicht. Die Jugendsonate in e-Moll und die dritte Sonate sind als einzige der fünf Gattungsbeiträge viersätzig. Die Jugendsonate ist eindeutig noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts verortet – Mendelssohn wirft noch seinen Schatten, wenn auch Gernsheim bereits eigenes Licht spendet. Das 'Adagio ma non troppo' ist von berückender Innigkeit, während das höllisch schwere Scherzo schon von hoher Eigenständigkeit. Lyrische Schlichtheit atmet das zeitnah entstandene 'Andante' F-Dur. Die erste gezählte, 1859 begonnene, aber erst 1864 gedruckte Sonate in c-Moll op. 4 liegt unter einem melancholischen Schatten von großer Ausdruckskraft. Gernsheims kürzester Gattungsbeitrag ist von großer musikalischer und emotionaler Dichte und wird hier mit einem nicht minder großen Reichtum an Farben und Valeurs dargeboten: Das ist keine Musik aus der zweiten Reihe.
Die zweite Sonate C-Dur op. 50 entstand 1885 und ist ganz auf der Höhe der Zeit. Sowohl melodisch als auch in manchen harmonischen Formulierungen ist ein gewisser Brahms-Einfluss hier zu hören, aber gleichfalls der Anspruch sogenannter absoluter Musik, den Brahms in seiner Zeit prägend vermittelte. Da ist nichts einfach hingeworfen, die Musik ist sorgfältig ausgearbeitet und im Kleinen wie im Großen sorgsam austariert. Besonders beeindrucken hier die vielen feinen dynamischen Schattierungen im langsamen Satz, weit von jedem äußeren Effekt entfernt.
Große Intensität
1898 erschien die Violinfassung der ursprünglich als Cellosonate entstandenen dritte Violinsonate F-Dur op. 64 im Druck, diese wurde 1905 noch einmal überarbeitet. Ein wenig spürt man den langen Entstehungszeitraum am Reichtum der Musik, vielleicht auch ein wenig an einander überlappenden stilistischen Elementen, die die Umbrüche der damaligen Jahrhundertwende in großer Intensität und mancherlei Detail spiegeln. Ähnlich wie bei Op. 38 sind hier unterschiedliche Zeitcharakteristika vereint und vermitteln gerade hierdurch einen besonders spannenden Blick. Das Scherzo ist in ganz eigener Weise lose mit Max Reger verwandt – eine Nebeneinanderstellung der Komponisten vielleicht zusätzlich mit Robert Fuchs wäre sicher von großem Reiz. Das 'Andante molto espressivo' hingegen schaut eher zurück in die Musikgeschichte und verortet so Gernsheim in überraschend klarer Weise in seiner Zeit.
Die vierte Sonate G-Dur op. 85, 1912 gedruckt, ist dem Geiger Henri Marteau gewidmet. Das chromatisch aufgeladene Werk ist aber anders als andere zeitgenössische Gattungsbeiträge anderer von aufgeheizter ‚hothouse’-Atmosphäre fern – nicht nur wegen starker kontrapunktischer Verdichtung, sondern auch wegen es mithin ‚brahmsisch-klassischen’ (aber absolut nicht brahmsischen) Gesamtkonzepts. Vielleicht kann man von einer Verquickung der Kompositionszugänge sprechen, mit denen Gernsheim in Rotterdam und in Berlin in enge Fühlung gekommen war. Schickedanz und Breidenbach lassen auch der Grazie der Musik ihren Platz zukommen, ebenso aber auch ihren lyrischen und dramatischen Momenten. Das Finale der Sonate beginnt mit einer Fuge – was Wunder, war doch der Sohn Marteaus auf die Vornamen Johann Sebastian getauft.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Friedrich Gernsheim: The Works for Violin & Piano: Christoph Schickedanz, Ernst Breidenbach |
|||
Label: Anzahl Medien: |
cpo 2 |
Medium:
EAN: |
CD
761203533022 |
![]() Cover vergössern |
Gernsheim, Friedrich |
![]() Cover vergössern |
|
![]() Cover vergössern |
cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei... |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag cpo:
-
Großes Violinkonzert – großartig interpretiert: Ewelina Nowicka und das Polish National Radio Symphony unter Zygmunt Rychert meistern (unbekannte) Violinwerke von Ludomir Różycki. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Lohnende Neuauflage: Hochwertige Liszt-Aufnahmen von Michael Korstick, gesammelt in einer neuen Edition. Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
-
"Mannheimer goût" mit enormem Eigenwert: David Castro-Balbi und das Württembergische Kammerorchester Heilbronn unter Kevin Griffiths überzeugen auf ganzer Linie mit Werken von Johann Stamitz. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
Weitere CD-Besprechungen von Dr. Jürgen Schaarwächter:
-
Es dreht sich nur um einen: Der Klaviertriokomponist Camille Saint-Saëns als Schöpfer und Nachschöpfer. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Kein überzeugendes Plädoyer: Dem Constanze Quartett mangelt es an rhetorischer Überzeugungskraft, um drei Streichquartette Emilie Mayers zu einem besonderen Erlebnis zu machen. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Pionierleistungen: Bedeutsame Dokumente der Havergal-Brian-Diskografie. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Großes Violinkonzert – großartig interpretiert: Ewelina Nowicka und das Polish National Radio Symphony unter Zygmunt Rychert meistern (unbekannte) Violinwerke von Ludomir Różycki. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Mehr Fantasie als Ordnung: Federico Colli fasziniert und irritiert mit Klavierwerken W. A. Mozarts. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Lohnende Neuauflage: Hochwertige Liszt-Aufnahmen von Michael Korstick, gesammelt in einer neuen Edition. Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
Portrait

"Schumann ist so tiefgreifend, dass er den Herzensgrund erreicht."
Die Pianistin Jimin-Oh Havenith im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- Opernreisen und Musikreisen bei klassikreisen.de
- Konzertpublikum
- Musikunterricht
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich