
Anton Bruckner: The Symphonies - The Story - The film - Münchner Philharmoniker, Valery Gergiev
Bruckner-DNA
Label/Verlag: Arthaus Musik
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Dieser Zyklus lässt (fast) keinen Wunsch offen.
Über drei Jahre hat sich die Gesamteinspielung des großen Bruckner-Zyklus der Münchner Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten Valery Gergiev erstreckt, entstanden ist er an besonders beziehungsreicher Stätte in der Stiftsbasilika St. Florian nahe Linz. Nicht nur hat Bruckner hier seine letzte Ruhestätte gefunden, auch in seiner musikalischen Entwicklung und Ausbildung spielte dieser Ort eine wichtige biographische Rolle.
Bruckner-DNA
Kern des Pakets sind die sowohl im DVD- als auch im Blu-ray-Format enthaltenen Live-Mitschnitte der Symphonien Nummer 1-9. Bekanntlich verfügen die Münchner Philharmoniker von Haus aus über eine ausgeprägte Bruckner-DNA. Ihren historischen Ursprung hat diese in der zweiten Amtszeit von Ferdinand Löwe als Chefdirigenten, speziell in der Ära Celibidache wurde sie im Lauf der Zeit weiter gepflegt, dessen Deutungen erlangten vollends weltweite, für ihre teils unkonventionellen Tempi mitunter kontrovers diskutierte Beachtung. Umso mehr ist zu betonen, dass Valery Gergiev im vorliegenden Zyklus eine eigene, individuelle Sichtweise auf Bruckners symphonisches Œuvre gelingt, die keine Kopie tradierter Klangvorstellungen sein will. Seine Tempi wirken vergleichsweise kohärent, lassen ausladenden Phrasen aber dennoch genügend Raum zum Atmen und spielen keineswegs über charakteristische Zäsuren hinweg, sehr wohl bringen sie auskomponierte Pausen zur musikalischen Geltung. Die für Bruckner typischen dynamisch ausladenden Dimensionen bildet Gergiev etwa im sich aus tiefen Registern erhebenden ‚sempre crescendo‘ eingangs der achten Symphonie (Fassung von 1890) atmosphärisch dicht ab. Auch langgezogenen Phrasen in Bruckners längster aller Symphonien haucht Gergiev musikalisch pulsierendes Leben ein.
Dramaturgisch ausgefeilt
Bis heute Bruckners bekannteste Werke sind wohl die Symphonie Nr. 4 Es-Dur WAB 104 ('Romantische', hier in der 2. Fassung von 1878/80) und die Symphonie Nr. 7 E-Dur WAB 107 (Fassung mit Beckenschlag). Beiden verleiht Gergiev eine schlüssige, klanglich ausgefeilte Dramaturgie: Scharf konturiertes Charisma besitzt exemplarisch in der Vierten das bekannte, fanfarenartig tänzelnde Jagdmotiv, auch die von Bruckner gern verwendete, mitunter abrupt in sich zusammenfallende Terrassendynamik wird eindringlich dargestellt. Im 'Finale' beherrschen die Philharmoniker gleichermaßen souverän die feingliedrig anhebende wie die ganz große klangliche Geste. Steigerungswellen werden effizient aufgebaut, Gergiev versteht es, dynamisches Pulver nicht vorschnell zu verschießen. Generell weiß er sich bestens auf akustische Gegebenheiten einzustellen, auch in der opulenten Architektur der Basilika formt er Crescendi buchstäblich raumgreifend. Auch Bruckners akribische kontrapunktische Arbeit wird plastisch dargestellt, stimmliche Linien sind stets sauber geführt. So bleibt selbst die gewaltige Coda im Schlusssatz der Achten mit ihrem apotheotischen Zusammenklang sämtlicher Hauptthemen aller vier Sätze gut durchhörbar, ebenso die kunstvolle Polyphonie der Doppel-Fuge im 'Finale' der B-Dur-Symphonie WAB 105.
Geschliffene Diktion
Eine rhythmisch griffige Textur besitzt das 'Scherzo' der Siebten mit seinen pochenden Achtelbewegungen, ein wenig impulsiver könnten allenfalls die akzentuierenden Impulse ausfallen. Auf die Qualität seiner Musiker kann Gergiev sich jederzeit verlassen. Ob filigran ineinandergreifende Holzbläser-Sphären, wahlweise zart besaitete oder warme, volle Streicher, ein akkurat intonierendes Solo-Fagott über elastischem Pizzicato (so im 'Adagio' der fünften Symphonie) oder präzises, wuchtiges Blech in der choralartigen Sequenz im Finale der Siebten: Diese Interpretationen fangen Bruckners kontrastreich beseelte Tonsprache zwischen düster-mystischen, majestätisch-sakralen Sphären, immer wieder aber auch kontemplativ innehaltender Stille (wohlgemerkt ohne Spannungsabfall), treffsicher ein. Auf diese Weise kommen auch im Konzertsaal eher stiefmütterlich behandelte Werke wie die erste Symphonie (alte Linzer Fassung von 1866) mit geschliffener, markant betonender Diktion ('Scherzo') und bezwingend zielstrebiger Agogik ('Finale') zu ihrem Recht und weisen auch bereits den frühen Bruckner als talentierten Symphoniker mit Leib und Seele aus. Wer live dabei war, wird bestätigen: Nicht nur die vorliegenden, im Rahmen des Brucknerfests Linz entstandenen Aufnahmen weisen solch hohes Niveau auf: Parallel zur Produktion wurde der Zyklus sukzessiv im Münchner Gasteig aufgeführt – auch dort überzeugten die Philharmoniker unter Gergiev voll und ganz.
Luxuriöse Ausstattung
Dazu gibt es eine Dokumentation über das Leben des Komponisten, die u. a. Originalschauplätze aufsucht und in der kompetente Experten wie die Bruckner-Forscherin Elisabeth Maier oder auf musikpraktischer Seite Kent Nagano oder Sir Simon Rattle zu Wort kommen. Auch an den Features wurde nicht gespart: Vielsprachige Untertitel (darunter z. B. Koreanisch) sorgen für eine globale Verständlichkeit der Inhalte. Ein zusätzliches musikalisches Bonbon findet man auf der Doku-DVD in Gestalt einer charismatischen Orgelimprovisation des namhaften Organisten, Dirigenten und Komponisten Martin Haselböck über ein Thema aus Bruckners zweiter Symphonie. Äußerst üppig ist das Gesamtpaket auch um die Tonträger herum ausgestattet: Ein sowohl in deutscher als auch englischer Sprache enthaltenes, gebundenes und reich bebildertes Buch der oben genannten Autorin Elisabeth Maier ('Anton Bruckner – Vom Werden eines Genies'), das nebenbei auch sämtliche Fakten zur Produktion und den Werken enthält, sowie ein Faksimile von Bruckners handgeschriebenem Lebenslauf runden die biographische und wissenschaftliche Illustration der luxuriös ausgestatteten, ausnehmend hochwertigen Box ab. Last, but not least lässt auch die Bildführung gekonnt die Musik mit der ästhetischen Pracht der Basilika verschmelzen.
Eindeutiges Fazit: Wer es bisher noch nicht war, wird mit dieser Ausgabe bestimmt zum Brucknerianer. Wirklich nur ein einziger Wunsch bleibt offen: Schade, dass die 'Nullte' nicht dabei ist.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Anton Bruckner: The Symphonies - The Story - The film: Münchner Philharmoniker, Valery Gergiev |
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Label: Anzahl Medien: |
Arthaus Musik 10 |
Medium:
EAN: |
DVD
4058407094005 |
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Bruckner, Anton |
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Arthaus Musik Arthaus Musik wurde im März 2000 in München gegründet und hat seit 2007 seinen Firmensitz in Halle (Saale), der Geburtsstadt Georg Friedrich Händels. Zahlreiche Veröffentlichungen des Labels wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Oscar-prämierte Animationsfilm ?Peter & der Wolf? von Suzie Templeton, die aufwändig produzierte ?Walter-Felsenstein-Edition? und die von Sasha Waltz choreographierte Oper ?Dido und Aeneas?, die beide den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielten. Mit dem Midem Classical Award wurden u. a. die Dokumentationen ?Herbert von Karajan ? Maestro for the Screen? von Georg Wübbolt und ?Celibidache ? You don?t do anything, you let it evolve? von Jan Schmidt-Garre ausgezeichnet. Die Dokumentation ?Carlos Kleiber ? Traces to nowhere? von Eric Schulz erhielt den ECHO Klassik 2011. Mit der Tochterfirma Monarda Arts besitzt Arthaus Musik eine ca. 900 Produktionen umfassende Rechtebibliothek zur DVD-, TV- und Onlineauswertung. Seit 2007 entwickelt das Unternehmen kontinuierlich die Sparte Eigenproduktion mit der Aufzeichnung von Opern, Konzerten, Balletten und der Produktion von Kunst- und Musikdokumentationen weiter. Arthaus Musik DVDs und Blu-ray Discs werden über ein leistungsfähiges Vertriebsnetz, u.a. in Kooperation mit Naxos Global Distribution in ca. 70 Ländern der Welt aktiv vertrieben. Darüber hinaus veröffentlicht und vertreibt Arthaus Musik die 3sat-DVD-Edition und betreut für den Buchhandel u.a. die Buch- und DVD-Edition über Pina Bausch von LArche Editeur, Preisträger des Prix de lAcadémie de Berlin 2010. Mehr Info... |
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