
Händel: Messiah - Rias Kammerchor, Akademie für Alte Musik, Justin Doyle
Wonderful!
Label/Verlag: Pentatone Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Justin Doyle, der RIAS Kammerchor und die Akademie für Alte Musik Berlin mit einem 'Messias', der aus der nicht knappen Anzahl der Interpretationen historisch informierter Praxis selbstbewusst hervortreten kann.
Georg Friedrich Händels erstmals 1742 in Dublin aufgeführtes Oratorium 'Der Messias' ist in heutiger Wahrnehmung eines der Oratorien schlechthin – vielleicht nicht einmal nur mit Blick auf das in dieser Gattung reich bestückte Werk des Hallensers in London, sondern auch darüber hinaus. Es bietet so etwas wie die perfekte Melange von gelehrter Musikalität, an der Oper geschulter Affektkunst, publikumsinteressierter Grundhaltung und angemessenem Reflex der geistlichen Grundlagen. Im ebenso informativen wie amüsanten Booklettext hat Roman Hinke das in einem imaginierten Gespräch voller Kabbeleien, das das Verhältnis von Händel und dessen Librettisten Charles Jennens ausgeleuchtet, beschrieben – und zwar aus der Perspektive von heute, mit mehr als 250 Jahren Abstand. Händel gewinnt Profil als lebensfroher Künstler und Unternehmer, Jennens wird als Dichter und religiöser Moralist charakterisiert – wie das gepasst haben mag, fragt man sich tatsächlich. Fruchtbar war die Zusammenarbeit in jedem Fall.
Fabelhafte Ensembles
Justin Doyle, Leiter des RIAS Kammerchors, hat für diesen bei Pentatone erschienenen Messias neben seinem Luxus-Klangkörper die in langjähriger Zusammenarbeit eng verbundene Akademie für Alte Musik Berlin zur Verfügung. Der Chor singt in einer Besetzung mit zehn Sopranen und je acht Altistinnen, Tenören und Bässen. Und er tut das, wollte man es auf ein Wort reduzieren, fabelhaft: Hervorragend geschlossene Register sind zu hören, beweglich zudem, die chorisch-technisch jedem Moment gewachsen sind, selbstverständlich auch rhythmisch vertrackten Fugenköpfen. Und mehr noch: Jederzeit bleibt der Kammerchor in der Lage, dezidiert zu gestalten. Vor allem den Beginn des zweiten Teils mit seiner dichten Folge anspruchsvoller Sätze für das vokale Ensemble machen die Choristen zu einem echten Fest, gespickt mit unzähligen Beispielen unaufgeregter chorischer Virtuosität.
Instrumental getragen wird das vokale Geschehen von der Akademie für Alte Musik, die sich in den vergangenen Jahren bei Pentatone mit einer Reihe exzellenter Händel-Explikationen der Concerti grossi opp. 3 und 6 hervorgetan hat. Und auch hier bestätigen die Instrumentalisten ihre Expertise. Was für ein Kraftfeld großartiger Händelkunst: Sie spielen mit derselben Intensität und interpretatorischen Präsenz, machen keinen hörbaren Unterschied zwischen der orchestersolistischen Geste in den Concerti und der hier geforderten Durchdringung und Verlebendigung eines intrikaten Begleitparts – der hier verlässlich zu einem echten Ereignis wird. Das Spiel birst geradezu vor akzentuierter, überlegt-aktiver artikulatorischer Arbeit. Keine bloß pauschale Geste wird je hörbar, kein Alibispiel. Alles sitzt da, wo es hingehört, es drängt, kracht und jubelt: Instrumental kann einfach sehr vieles ausgedrückt werden, das eine vokale Entsprechung hat. Dazu kommen Lyrik und Linie in höchster Vollendung. Interessant ist das ungemein binnendifferenzierte dynamische Tableau, das eben gerade nicht in triumphale Gesten verfällt, auch an den entschiedensten Höhepunkten nicht: Das orchestrale Gewebe ist in dieser Hinsicht vorbildlich durchwirkt, kräftige Akzente machen den Satz plausibel und sinnfällig, doch prägend sind die unzähligen Nuancen.
Exzellentes Profil der Soli
Justin Doyle hat diese besonderen Grundlagen mit einem ausgewogenen muttersprachlichen Vokalquartett gekrönt: Seine Schwester Julia Doyle singt den Sopranpart, Tim Mead agiert als Altus, Thomas Hobbs ist der Tenor und Roderick Williams liefert die Beiträge im Bass. Julia Doyles klarer Stimmstrahl ist berückend, die behände Tongebung ebenso wie die Höhe der technischen Möglichkeiten. Wie die anderen Vokalsolisten verziert sie in den Wiederholungen mit Maß und Geschmack. Immer wieder versammelt sie ihre stimmlichen Mittel zu anrührend schlichter Geste, zum Beispiel in der knappen Arie 'How beautiful are the feet of them'. Tim Mead verfügt über eine charaktervolle Stimme mit freier Tiefe und großer Präsenz auch in dramatischer Force. Hochbeweglich und mit schönen Lyrismen ausgestattet, ist die bei ihm bestechend klare Diktion eins der besonderen Merkmale seines Vortrags: Ein Höhepunkt im in dieser Hinsicht ansonsten durchaus auf Augenhöhe agierenden Vokalquartett.
Dem Tenor fällt im 'Messias' die Aufgabe zu, nach der instrumentalen Ouvertüre ein möglichst zart-anrührendes, gleichzeitig präsentes Entrée zu schaffen. Thomas Hobbs gelingt das souverän; technisch zeigt er sich auch in der Folge makellos und ist in der Höhe mit der nötigen schlanken Schlagkraft ausgestattet, um etwa in der Arie 'Thou shalt break them' zu glänzen. Wenige offene Vokale in der Höhe weisen auf einen gewissen Verlust an Schmelz hin. Roderick Williams ist mit seinem schlanken, gleichwohl kernigen Bass eine Idealbesetzung. Er hat den Vorzug, nicht das ‚Übergepäck‘ manches englischen Fachkollegen tragen zu müssen und dennoch Substanz und Schwärze unter Beweis stellen zu können: Ein Händel-Prachtbass, der 'Why do the nations' oder 'The trumpet shall sound' zu Paradebeispielen für Eloquenz, Klangkultur, Technik und brillante Kraftentfaltung macht.
Intoniert wird durch alle Sphären hindurch vom ersten bis zum letzten Ton lebendig und frei – es gibt nicht nur kein Problem, vieles ist gar echte Freude, wenn edel ausgehörte harmonische Verbindungen in Übergängen und Schlüssen zu hören sind. Justin Doyle bietet in den Tempi eine ansprechende Varianz, von gelassen ausmusizierten Rezitativen über frisch genommene, bewegte Arien bis zu virtuosen Chören. Ansprechend sind dazu die dezidierten Kontraste, die er innerhalb eines Satzes modelliert, beispielsweise zwischen A- und B-Teil in der Alt-Arie 'He was despised'. Die Dahlemer Jesus-Christus-Kirche ist ein so vielfach bewährter Aufnahmeort, dass das exzellente Ergebnis nicht überrascht: Es gerät harmonisch ausgewogen, dazu plastisch und fein gestaffelt. Ein gerundetes Gesamtbild, das gerade dem differenzierten Ansatz von Doyle und seinen Ensembles ideal gerecht wird.
In der Summe also ein feine Maßstäbe setzender 'Messias', der keine Schwächen kennt, stattdessen eine enorme Anzahl Stärken in sich vereint und damit aus der nicht knappen Anzahl der Interpretationen historisch informierter Praxis selbstbewusst hervortreten kann. Die Interaktion von Chor und Orchester ist beispielhaft. Dazu kommt ein muttersprachliches Solistenquartett von großer Homogenität und exzellentem Profil.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Händel: Messiah: Rias Kammerchor, Akademie für Alte Musik, Justin Doyle |
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Label: Anzahl Medien: |
Pentatone Classics 2 |
Medium:
EAN: |
CD
827949085369 |
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Händel, Georg Friedrich |
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