
William Alwyn: Miss Julie - BBC Symphony Orchestra, Sakari Oramo
Strindberg-Vertonung
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die Neuaufnahme von William Alwyns 'Miss Julie' macht deutlich, dass diese Oper auf die Bühne gehört.
August Strindbergs Tragödie 'Fräulein Julie', die er 1888 publizierte, durfte anfangs nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegeben werden. Die Zensur verbot das provozierende Kammerspiel, das die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Rolle der Frau in einer zerstörerischen Beziehung hinterfragt. Fräulein Julie, eine junge Gräfin, verbringt im Mittsommernachtsrausch eine Liebesnacht mit dem Diener Jean. Was als erotisches Geplänkel beginnt, mündet in einen quälenden Kampf der Klassen und Geschlechter, den Julie verliert. Jean, der mit ihrer Hilfe und ihrem Geld aufsteigen will, treibt sie kalt in den Selbstmord.
Das damalige Skandalstück gehört heute zum Theater-Standardrepertoire, es wurde mehrmals verfilmt, vertanzt und vertont. Gleich fünf Opernversionen gibt es, von denen eine von dem künstlerisch vielseitigen William Alwyn (1905–1985) stammt. Der Brite startete seine Karriere als Soloflötist beim London Symphony Orchestra, wurde hauptsächlich für seine rund 200 Kino-Soundtracks bekannt, schrieb aber auch Sinfonien, Konzerte für diverse Soloinstrumente, Vokal- und Kammermusik. Daneben malte und dichtete er, war Kunstsammler und bekleidete wichtige administrative Positionen. 'Miss Julie' ist die letzte von Alwyns vier Opern und sie zeigt alle Qualitäten des versierten Filmkomponisten. Die stark atmosphärische, immer tonale Partitur illustriert die äußeren Aktionen und unterstreicht die Seelenzustände der Personen, deren Arien und Duette den Text musikalisch genau wiederspiegeln. Den Bezug zur Handlungszeit am Ende des 19. Jahrhunderts stellen die leitmotivisch eingesetzten Walzermelodien her, in denen die allgegenwärtige Feier der Mittsommernacht aufglimmt.
Gelungene Rehabilitation
Ihre Uraufführung erlebte 'Miss Julie' 1977 im Rahmen einer mit Jill Gomez, Benjamin Luxon, Della Jones und Anthony Rolfe Johnson renommiert besetzten BBC-Produktion, die kurz danach mit dem fast identischen Ensemble für das Label Lyrita eingespielt wurde. Szenisch gab es 'Miss Julie' erst 1992 in einem Off-Theater in Kopenhagen, dann 1997 im ostenglischen Norwich. Obschon die Oper geradezu auf die Bühne drängt, ist der rein akustische Eindruck fesselnd, wie die neue Gesamtaufnahme, die im Zusammenhang mit einer semi-konzertanten Aufführung im Oktober 2019 in London entstand, exemplarisch vorführt.
Anna Patalong hat sich die Julie total einverleibt und lotet alle Facetten dieser verunsicherten Frau mit wandlungsfähigem, höhenstarkem Sopran aus. Wie sie zusammen mit dem Bariton Benedict Nelson, dessen Jean Verführungskraft gepaart mit Brutalität ausstrahlt, die Abgründe der Beziehung mit subtilsten Untertönen beglaubigt, ist großes Musiktheater. Differenzierte Charakterstudien gelingen auch Rosie Aldridge als aufmüpfige Köchin Kristin und Samuel Sakker als Trunkenbold Ulrik – eine Figur, die Alwyn als sein eigener Librettist eingefügt hat. Der Dirigent Sakari Orama baut mit dem BBC Symphony Orchestra eine nicht nachlassende Spannung auf, legt die sinnlich-romantischen Strukturen frei und achtet dabei immer auf Transparenz, die von der Tontechnik optimal eingefangen wird. Die Einspielung, der ein dreisprachiges Booklet mit gutem Einführungstext und Libretto beiliegt, ist nicht nur eine gelungene Rehabilitation der vernachlässigten Oper, sondern auch eine Aufforderung an Dramaturgen, das Stück zu spielen.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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William Alwyn: Miss Julie: BBC Symphony Orchestra, Sakari Oramo |
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Label: Anzahl Medien: |
Chandos 2 |
Medium:
EAN: |
CD
095115525326 |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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