
W.A.Mozart: Le nozze die Figaro - Netherlands Chamber Orchestra, Ivor Bolton
Aktionistischer 'Figaro'
Label/Verlag: Arthaus Musik
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die Stars der vorliegenden Amsterdamer Produktion von 'Le nozze di Figaro' sind die Sopranistinnen.
In den Werbeunterlagen zur vorliegenden Doppel-DVD wird David Bösch als geborener Geschichtenerzähler beschrieben. Leider erfolgt dieses Geschichtenerzählen aber unabhängig von der Musik, sozusagen als freie Imagination ohne Rücksicht auf Verluste. Vieles driftet ins Stereotyp, ins Klamaukige ab, neue Einsichten in das vielgespielte Werk darf man nicht erwarten, vielmehr einen bedenklichen Rückfall in Sichtweisen vor 1980 (visuell allerdings à la 2.0 aufbereitet – etwa wenn Susanna den Beginn des zweiten Aktes auf dem iPhone startet).
Dass Ivor Bolton seinen Mozart kennt, davon darf man ausgehen. Er ist kein Dirigent der Extreme, weder was die Hervorhebung von Akzenten noch was die Tempowahl betrifft, aber er bietet einige erratische Rubati à la Harnoncourt at his worst. Er lässt der Musik (und den Musikern) Zeit zu atmen, zu empfinden (die aber gelegentlich dann doch dem Dirigat davonlaufen): und nicht immer alles ganz exakt herauskommt, darf man dies getrost dem Nederlands Kamerorkest anlasten, das eindeutig kein genuines Mozart-Orchester ist. Allerdings entsteht unter Bolton in der vorliegenden Produktion kaum einmal jene musikalische Magie, die die besten Mozart-Aufführungen so legendär machen. Immer wieder entstehen zwischen Bühne und Orchestergraben gewisse Irritationen, die der Verantwortung des Regisseur zuzuordnen sind, dessen Verständnis von der Musik Mozarts (gar nicht zu sprechen vom Wortlaut von Da Pontes Libretto oder den offenkundigen Regievorgaben) kaum existent ist. Immer wieder läuft seine Personenregie gegen die Musik, seine szenische Charakterisierung gegen das Werk.
Professionelle Sänger
Dass die Sängerinnen und Sänger häufig über diese Ignoranz triumphieren, spricht für ihre Professionalität. Selbst bei den albernsten Regiemätzchen gelingt es Alex Esposito (Figaro) und Christiane Karg (Susanna), den Charme der Musik zu verlebendigen. Karg, die vom Regisseur bis zum Äußersten gefordert wird, ist ganz zu Recht als eine der besten Mozart-Sängerinnen der Gegenwart bekannt, mit herrlicher, strahlend-ausdrucksstarker Stimme, ausgezeichneter Diktion und perfekter Bühnenpräsenz; die Rosenarie wird einer der Höhepunkt der ganzen Aufführung. Esposito kann vokal nicht ganz mithalten, bleibt im Verhältnis schmalspuriger, auch klangfarblich monochromer. Darstellerisch verirrt er sich zunächst immer wieder in die Partie des Grafen in Mimik oder Gestik, legt dann aber trotz der Widrigkeiten – gänzlich ausgesungen und musikalisch äußerst schwach – seine große Arie hin. Stéphane Degout als Conte Almaviva verfügt natürlich über Bühnenpräsenz und dramatische Eloquenz, ist dem Mozartgesang aber im Grunde eigentlich bereits entwachsen – ein George London mit kleinerer Stimme.
Ihre erste Cavatina verschenkt Eleonora Buratto als Contessa, schön gesungen, aber nicht mit hinreichendem Ausdruck und sich sichtlich in Böschs Inszenierung nicht wohlfühlend. In der Folge blüht sie zusehends auf, überzeugt musikalisch auch stärker als Degout, wird aber von der Regie stiefmütterlich, häufig eher pauschal als differenziert behandelt und rettet sich in immer wieder in Rampentheater. Eine erfreuliche Entdeckung ist Marianne Crebassas Cherubino – endlich wieder eine Sopranistin in der Partie, die die musikalischen Schätze und die charakterliche Vielschichtigkeit der Partie in jener Stärke transportieren kann, wie wir sie u.a. von Sena Jurinac oder Edith Mathis kannten. Auch singt sie die Canzonetta mit schönen stilvollen Verzierungen. Auch Louise Kemény als Barbarina überzeugt vokal (und ist von der Regie denkbar undankbar bedacht).
Viel Aktionismus
Umberto Chiummo ist ein überraschend schwachstimmiger Bartolo, unsicher in Intonation und Gestaltung, ohne Kraft und Überzeugung in der Stimme, so dass die Rachearie verpufft. Die Marcellina ist (wieder einmal) mit einer alternden Mezzosopranistin ohne hinreichende Stimme besetzt – aber immerhin besitzt die Amerikanerin Katharina Goeldner an Charakterisierungsstärke das, was Chiummo fehlt. Dass ihre Arie im vierten Akt gestrichen wurde, bezeugt einmal mehr das Unverständnis des Regisseurs den Proportionen der gesamten Oper gegenüber. Krystian Adam muss den Basilio als stereotype Tunte geben, singt leider auch den Part eher einfallslos; seine Arie ist gleichfalls gestrichen. Über Matteo Peirones Beitrag als Antonio und Jeroen de Vaals chargierend stotternden Curzio schweigt man besser. Das Gesamtergebnis der Produktion vermittelt kaum mehr als die Ambition einer Studentenaufführung, in die alle Ideen der Beteiligten gepackt werden sollten. Das bringt viel Aktionismus, dient aber der Oper nur sehr bedingt.
Die Ausstattung der DVDs ist eine Unverschämtheit; die Untertitelung basiert auf den ältesten Übersetzungen des späten 19. Jahrhunderts, ein Booklet sucht man vergebens. Im Internet entdeckt der Interessierte, dass die vorliegende Produktion am 6. September 2016 Premiere hatte. Wer aber eine spannende Inszenierung durchaus im Sinne der Musik erleben möchte, der sei nicht auf die vorliegende Produktion verwiesen, sondern etwa auf jene der Lettischen Nationaloper 2014 – mit kleineren Stimmen zwar, aber was für einem umwerfenden ‚Updating‘.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: Features: Regie: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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W.A.Mozart: Le nozze die Figaro: Netherlands Chamber Orchestra, Ivor Bolton |
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Label: Anzahl Medien: |
Arthaus Musik 1 |
Medium:
EAN: |
DVD
4058407093930 |
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Mozart, Wolfgang Amadeus |
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Arthaus Musik Arthaus Musik wurde im März 2000 in München gegründet und hat seit 2007 seinen Firmensitz in Halle (Saale), der Geburtsstadt Georg Friedrich Händels. Zahlreiche Veröffentlichungen des Labels wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Oscar-prämierte Animationsfilm ?Peter & der Wolf? von Suzie Templeton, die aufwändig produzierte ?Walter-Felsenstein-Edition? und die von Sasha Waltz choreographierte Oper ?Dido und Aeneas?, die beide den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielten. Mit dem Midem Classical Award wurden u. a. die Dokumentationen ?Herbert von Karajan ? Maestro for the Screen? von Georg Wübbolt und ?Celibidache ? You don?t do anything, you let it evolve? von Jan Schmidt-Garre ausgezeichnet. Die Dokumentation ?Carlos Kleiber ? Traces to nowhere? von Eric Schulz erhielt den ECHO Klassik 2011. Mit der Tochterfirma Monarda Arts besitzt Arthaus Musik eine ca. 900 Produktionen umfassende Rechtebibliothek zur DVD-, TV- und Onlineauswertung. Seit 2007 entwickelt das Unternehmen kontinuierlich die Sparte Eigenproduktion mit der Aufzeichnung von Opern, Konzerten, Balletten und der Produktion von Kunst- und Musikdokumentationen weiter. Arthaus Musik DVDs und Blu-ray Discs werden über ein leistungsfähiges Vertriebsnetz, u.a. in Kooperation mit Naxos Global Distribution in ca. 70 Ländern der Welt aktiv vertrieben. Darüber hinaus veröffentlicht und vertreibt Arthaus Musik die 3sat-DVD-Edition und betreut für den Buchhandel u.a. die Buch- und DVD-Edition über Pina Bausch von LArche Editeur, Preisträger des Prix de lAcadémie de Berlin 2010. Mehr Info... |
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