
Arvo Pärt: Lamentate - Lithuanian National Symphony Orchestra, Modestas Pitrenas
Pärt aus Litauen
Label/Verlag: ACCENTUS Music
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Arvo Pärt instrumental: Gerade in den vergangenen Jahren haben doch Reflexionen zum Vokalen mit Blick auf das Werk des estnischen Meisters dominiert. Auch insofern eine erfreuliche Geburtstagsplatte aus Litauen.
Eine weitere feine Platte ist aus Anlass des 85. Geburtstag Arvo Pärts im Jahr 2020 entstanden: Das von Modestas Pitrėnas geleitete Nationale Litauische Sinfonieorchester hat beim Label Accentus Music gemeinsam mit der jungen Pianistin Onutė Gražinytė ein reines Instrumentalprogramm vorgelegt. Dominiert wird es vom 2002 entstandenen 'Lamentate', das Pärt unter dem Eindruck der Riesenskulptur 'Marsyas' schrieb, die Anish Kapoor in der Londoner Tate ausstellte: Einhundertfünfzig Meter lang, zehn Stockwerke hoch, regte es Pärt zu Gedanken über die eigene Existenz an, über die Position des Menschen in der Welt, über Zeitlosigkeit. Ein Stück für die Lebenden, die sich dem Gedanken an die eigene Vergänglichkeit stellen. Es ist personalstilistisch – natürlich, möchte man sagen – kenntlich, der luzide Klavierpart ist strukturklar gestaltet, mit Gewicht für jede einzelne Note. Es werden echte Orchestergesten entfaltet, sogar dynamisch und affektiv avancierte, doch ist diese energisch gesteigerte Welt nicht die eigentliche Umgebung Pärts. Eher sind es orchestral die extrem weitlagigen Streicherakkorde, die in nordischer Kühle den weiten Horizont evozieren, die prägen und eigenwillig sind. Noch etwas fällt auf: In Kenntnis etlicher der großen Vokalwerke Pärts lässt sich der Orchestersatz ohne substanzielle Transformation auch chorisch oder mit erheblichen vokalen Anteilen vorstellen – zu ähnlich sind Idiom und Gestaltung des Materials.
Ergänzt wird dieses Schwergewicht durch einige der emblematisch am Beginn der Tintinnabuli-Phase Pärts stehenden Werke für Klavier: 'Für Alina' von 1976 und 'Pari Intervallo' aus demselben Jahr sowie 'Variationen zur Gesundung von Arinuschka' von 1977, dazu 'Fratres' für Klavier und Violoncello aus dem Jahr 1989, ergänzt um das ähnlich gebaute 'Für Anna Maria' in zwei Varianten von 2006. Dazu am Schluss, gleichsam als interpretatorischer Sonderfall, das 'Vater unser' von 2005, in dem Onutė Gražinytė ihren Klavierpart mit schlankem, mädchenhaftem Sopran rezitierend kontrapunktiert. Auch hier also, im instrumentalen Bereich: Pärt nicht ganz ohne die für sein Werk im Grunde unverzichtbare menschliche Stimme.
Souverän und gelassen
Die Mittzwanzigerin Onutė Gražinytė spielt ihren Part hochkonzentriert, mit überwiegend plastisch geformten Gesten, angemessen feinsinnig, aber nicht zaghaft: Sie findet einen erkennbar tragfähigen Zugang zu Pärts Idiom. Gerade für das Drängen der Jugend nicht selbstverständlich, ist sie doch souverän, gelassen, im künstlerisch positivsten Sinne selbstsicher und erstaunlich geduldig: Pärts Musik ist auch instrumentalsolistisch nichts mit großer, prunkender Geste abzugewinnen; nie wird technische Brillanz überhaupt nur zum Thema, kann das klassische pianistische Feuerwerk gezündet werden. Geduld also, und Klangsinn, den sie bei 'Fratres' im Zusammenspiel mit dem neuseeländischen Cellisten Edward King entfaltet, prägen die Szene.
Das Nationale Litauische Sinfonieorchester lässt unter der Leitung von Modestas Pitrėnas viel konzentrierte Delikatesse hören: Jede klangliche Manifestation ist dezidiert gesetzt, nichts wirkt einfach nur schön oder richtig gespielt – jede Note, jeder vielleicht auch schüchtern wirkende Zusammenklang ist wichtig. Die Streicher stehen mit präzisem, klarem Ton im Vordergrund und bilden das klingende Kontinuum. Bläser und ein gelegentlich präsentes Schlagwerk kontrastieren dazu gelungen. Die Tempi, in denen Modestas Pitrėnas 'Lamentate' musizieren lässt, sind überwiegende gesammelt, so dass gelegentlich inszeniertes Drängen deutlichen Effekt macht. Dynamisch wird das, was Arvo Pärt in seinem orchestral-klavieristischen Werk ausdeutet, aufgegriffen, in dieser Haltung manchem seiner großen chorsinfonischen Arbeiten verwandt – wie schon angedeutet: Pärt nicht nur als Meister der Stille. Letzteres aber doch sehr deutlich, und auch in größerer Besetzung. Das Klangbild der Einspielung nimmt im 'Lamentate' die Größe der Besetzung auf, ist aber auch hier grundsätzlich von der Fähigkeit zum Abbild des Feinen, Gespinsthaften gekennzeichnet und entspricht damit Pärt und seinen ästhetischen Ambitionen sehr deutlich.
Arvo Pärt instrumental: Gerade in den vergangenen Jahren haben doch Reflexionen zum Vokalen mit Blick auf das Werk des estnischen Meisters dominiert. Auch insofern eine erfreuliche Geburtstagsplatte aus Litauen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Arvo Pärt: Lamentate: Lithuanian National Symphony Orchestra, Modestas Pitrenas |
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Label: Anzahl Medien: |
ACCENTUS Music 1 |
Medium:
EAN: |
CD
4260234832396 |
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Pärt, Arvo |
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