
Brahms Symphony No. 1 & Tragic Overture - Gewandhausorchester Leipzig, Herbert Blomstedt
Zwischen den Extremen
Label/Verlag: Pentatone Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Auch im hohen Alter bleibt sich Herbert Blomstedt seiner Musikästhetik treu und eröffnet mit dem Gewandhausorchester eine Brahms-Interpretation, die in ihrer Ausgeglichenheit hier und da die dramatische Komponente aus den Augen verliert.
Mit über 90 Jahren ist der für seine nüchterne Sachlichkeit bekannte Dirigent Herbert Blomstedt nach wie vor für die ein oder andere Überraschung gut. So wirkt die beim Label Pentatone neu erschienene CD-Liveeinspielung von Brahms 1. Sinfonie im Beethoven-Jahr wie eine falsch platzierte Sonderheit. Eine wirkliche Erklärung für dieses eigenwillige Marketingkonzept bleibt der Dirigent in seinem Einführungswort im Begleitheft schuldig; Brahms sei – so Blomstedt – in Zeiten, in denen die Welt riskiere, ‚ihre Seele zu verlieren‘, ein bedeutender Hoffnungsschimmer. Im Pandemiejahr ließe sich eine solche Standardphrase zweifelsfrei über jede Komponistin bzw. jeden Komponisten sagen. Nun sollen Dirigenten aber ohnehin nicht primär mit Worten, sondern vielmehr durch eindrucksvolles Musizieren überzeugen. Und in der Tat sprechen das souveräne Dirigat gepaart mit Blomstedts alterweiser Interpretation am Ende für sich.
So überzeugt die 1. Sinfonie, die als Teil eines Brahms-Gesamtzyklus im vergangenen Jahr 2019 mit dem Gewandhausorchester eingespielt wurde, durch einen homogenen und ausgewogenen Orchesterklang. In gewohnter Manier wird mit moderaten Tempi und einem schulbuchmäßigen Auf- und Abphrasieren einzelnen Passagen ausreichend Luft zum Atmen gegeben, derweil das Dirigat ohne jedwede reißerische Posse auskommt. Stattdessen erreicht Blomstedt an seiner alten Wirkungsstätte in Leipzig die Tugendhaftigkeit nach bestem Aristotelischen Sinne als Mitte zwischen den Extremen.
Maßvoller Ansatz
Doch bei Brahms tendiert dieser maßvolle Ansatz nicht selten dazu, hier und da ins Spannungslose abzudriften. Von Langeweile möchte man sicherlich nicht sprechen, dafür kommen die Qualitäten des Kapellmeisters in den Aufnahmen zu deutlich heraus. Blomstedts Lesart, die bei einem unerfahrenen Dirigenten zu einem ideenlosen und stockenden Hörerlebnis mutieren würde, generiert hier nicht nur makellose Schönheit, sondern gewährt ebenso einen überzeugenden musikalischen Fluss. Dennoch bleiben insbesondere die Ecksätze zu blass und gezähmt. Ein Blomstedt-Fan wird die berüchtigt bebenden Paukenschläge der Einleitung als herrlich unprätentiös gespielt bejubeln. Dem neutraleren Zuhörer kommt dagegen eher die Metapher eines prachtvollen Greifadlers mit gestutzten Flügeln in den Sinn. Und das ist für eine symphonische Einleitung, die sich nach erstmaligem Hören so nachhaltig im Gedächtnis festsetzt, wohl kaum das richtige Bild.
Dabei hat der Schwede durchaus die Fähigkeiten, das Gewandhausorchester auch in seiner dramatischen Ausdrucksstärke zu mitreißenderen Ausbrüchen zu animieren, was in der beigefügten 'Tragischen Ouvertüre' nur allzu deutlich wird. Nicht nur, dass Blomstedt die durchschnittliche Dauer der Dirigentenkollegen von ca. 14 Minuten um gut anderthalb Minuten unterbietet, er verschärft hier auch entscheidend das Klangbild mittels stärkerer Betonung der Akzente sowie durch zupackende Forteausbrüche. Dass das wirkliche Feuer erst in der 'Tragischen Ouvertüre' entfacht wird, mildert verständlicher Weise den diskografischen Wert der CD als Ganzes. Bei der Veröffentlichung der Einspielung ging es aber sicherlich auch nicht darum, die Konkurrenz durch hyperoriginelle Innovationen auszustechen. Stattdessen eignet sich die CD als grundsolide Dokumentation einer sachlichen Musikästhetik, für die sich eine große Musikerpersönlichkeit in seiner langen Dirigentenkarriere stark gemacht hat.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Brahms Symphony No. 1 & Tragic Overture: Gewandhausorchester Leipzig, Herbert Blomstedt |
|||
Label: Anzahl Medien: |
Pentatone Classics 1 |
Medium:
EAN: |
CD
827949085062 |
![]() Cover vergössern |
Brahms, Johannes |
![]() Cover vergössern |
Pentatone Classics PentaTone wurde im Jahr 2001 von drei ehemaligen Leitenden Angestellten der Philips Classics zusammen mit Polyhymnia International (dem ehemaligen Philips Classics-Aufnahmezentrum) ins Leben gerufen.
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei... |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Pentatone Classics:
-
Schmal besetzte Größe: Francesco Cortis fortgesetzte Erkundungen in Bachs Reich für Cembalo und Kammerensemble sind ein weiterer schöner Beitrag dazu, Bachs konzertante Musik lebendig zu halten. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
-
Wildwest aus Ost: Diese neue 'Fanciulla del West' kann sich hören lassen, stößt aber kaum eine andere frühere Aufnahme vom CD-Regal. Weiter...
(Benjamin Künzel, )
-
Puccini à la Hollywood: Dieser 'Tabarro' ist eine tontechnisch saubere Produktion mit effektvoller Wirkung. Weiter...
(Benjamin Künzel, )
Weitere CD-Besprechungen von Daniel Eberhard:
-
All about Kirill: Die neue Berliner-Philharmoniker-Box wartet mit der derzeitig wohl besten Interpretation von Beethoven und Tschaikowsky auf und untermauert die herausragende Stellung des neuen Chefdirigenten Kirill Petrenko. Weiter...
(Daniel Eberhard, )
-
Das Leben der anderen (Dirigenten): Auf einer bunten 5-CD-Kollektion wird die langjährige Zusammenarbeit zwischen Otmar Suitner und der Staatskapelle Berlin in der DDR gewürdigt. Die hochwertigen Mitschnitte stellen auf dem heutigen Plattenmarkt allerdings nur noch Randnotizen dar. Weiter...
(Daniel Eberhard, )
-
Schiffbruch mit Neuauflage: Die DVD-Neuauflage der Weimarer 'Walküre' aus dem Jahr 2008 motiviert wenig zum Neukauf und auch musikalisch wie szenisch kann man mit den großen Konkurrenten trotz ordentlicher Leistung nicht mithalten. Weiter...
(Daniel Eberhard, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Große Geigenkunst: Intelligent, sauber, mit Format gegeigt: Herwig Zack überzeugt auf ganzer Linie. Weiter...
(Manuel Stangorra, )
-
Schillernde Klangfarben: Mariss Jansons und das BRSO brillieren mit Strawinsky. Weiter...
(Thomas Gehrig, )
-
Gegen das Vergessen: Der Chanson-Komponist Norbert Glanzberg setzt sich in seinen ernsten Stücken mit der Vergangenheit auseinander. Weiter...
(Karin Coper, )
Portrait

Das Klavierduo Silver-Garburg über Leben und Konzertieren im Hier und Heute und eine neue CD mit Werken von Johannes Brahms
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich