
Leo Fall: Die Rose von Stambul - Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner Rundfunkorchester, Ulf Schirmer
Tolles Stück
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Allein um des Genusses von Leo Falls unsterblicher Musik in ihrer Gänze lohnt sich der Münchner Mitschnitt. Auch die Solisten sind von stimmlichen Ausfällen weit entfernt.
‚Von Reformen, ganz enormen, träumen wir am Bosporus‘ – gleich im ersten Akt verkünden die Buffopartie Midili und die sangesfreudigen Haremsdamen im Marschtempo ihre Sehnsucht. Fast könnte man meinen, Leo Falls 'Rose von Stambul' sei eine geradezu revolutionäre Operette, die für die Verwestlichung des Orients eintritt und das Kopftuch abschaffen möchte. Ganz so plump ist sie aber dann doch nicht, jene Operette Falls auf ein Libretto von Julius Brammer und Alfred Grünwald, die mitten im Ersten Weltkrieg 1916 in Wien zur Uraufführung kam: Kondja Gül soll auf Drängen ihres Vaters Achmed Bey heiraten. Doch sie kennt ihn nicht, liebt ihn nicht. Sie schwärmt für den Dichter André Lery, den sie ebensowenig kennt, aber seine Seele zu kennen glaubt. Dass Lery und Achmed ein und dieselbe Person sind, weiß Kondja nicht. Und so wird gestritten und geturtelt, weggesperrt, geflohen und geheiratet, dass sich die Balken biegen. Auf Buffo-Ebene kämpfen die forsche Midili Hanum und ihr deutscher Geliebter Fridolin Müller um ihr privates Glück – weniger tragisch, aber dafür schonungslos.
Frech und temporeich
'Die Rose von Stambul' spielt unverblümt mit den Klischees, spricht dabei auch ungeliebte Fakten an, ist frech und temporeich und zeigt vor allen Dingen, wie wenig Unterschiede doch zwischen der Türkei des frühen 20. Jahrhunderts und dem festgefressenen Europa derselben Zeit bestehen. Von Freiheit und Gleichberechtigung träumen sie alle – doch hier wie dort lässt sich der Traum nur bedingt verwirklichen. Einem Fridolin Müller droht eine ähnliche Zwangsverheiratung mit einer unbekannten Hamburgerin wie Kondja Gül und ihrem Achmed. Der Wiener Walzer reißt die jungen Menschen in einen Strudel der Leidenschaften, der wenig nach Orient, dafür umso mehr nach herrlichem Operettenunsinn klingt und dabei voll von melodischer Raffinesse und augenzwinkernder Parodie ist. Die 'Rose von Stambul' gehört definitiv wieder zurück auf die Operettenbühnen, von denen das zweifelsfrei aktuelle Werk leider verschwunden ist.
Wie mitreißend und berauschend Leo Falls Komposition klingen kann, das zeigt der Münchner Mitschnitt der Operette vom Mai 2014 im Prinzregententheater. Sechs Jahre sind vergangen, bis die konzertante Aufführung nun bei cpo auf zwei CDs erschienen ist. Aber immerhin liegt sie nun vor und ergänzt die bescheidene Diskografie, die bislang nur auf in Sammlerkreisen kursierenden Rundfunkproduktionen und einer gewöhnungsbedürftigen englischsprachigen Produktion aus Chicago beim Label Naxos basierte. Ulf Schirmer und das glänzende Münchner Rundfunkorchester lassen die Walzer funkeln und die Märsche leuchten, die wenigen Orientalismen atmen die richtige Portion Ironie. Ansonsten ist diese Münchner 'Rose von Stambul' von einer rotzfrechen und unkonventionell operettigen Aufführung recht weit entfernt. Der Schleier des Pseudo-Kunstvollen will einfach nicht fallen.
Dabei geben sich die Protagonisten hörbar viel Mühe, die Komik zu transportieren und der Musik gerecht zu werden. Hierfür agieren sie aber in einem zu engen Korsett. Kristiane Kaiser singt eine schönstimmige und fulminante Kondja Gül, aber sie lässt jegliches Augenzwinkern oder Zwischentöne vermissen. Ihre Kondja ist die gepeinigte Opernheroine, die sich auch einmal zu einem Walzerduett herablässt. Spaß macht das kaum. Als Achmed Bey zeigt Matthias Klink deutlich mehr Geschick in Sachen Textausdeutung, Farbenspiel und Direktheit, aber auch er geht der Gefahr großen Operngehabes zu oft in die Falle: glänzend gesungen, aber wenig Charme, wenig Brüchigkeit. Im Gegensatz zu Kaiser kann Klink aber wohltuend geradeheraus Dialoge sprechen, die nur wenig tenoralen Singsang beinhalten.
Angestaubte Komik
Magdalena Hinterdobler gibt ihrer Midili viele lyrische Qualitäten mit auf den Weg, dafür wenige Buffomomente. Man ertappt sich sogar dabei, die junge Sängerin lieber als Kondja Gül zu erleben. Hier wären Tonfülle und zarte Komik besser aufgehoben. Der Midili bleibt Hinterdobler die Forschheit und Pikanterie schuldig, das ist doch alles recht brav. Weniger brav trumpft da Andreas Winkler als Fridolin auf. Mit strahlendem Tenorschmelz und glasklarer Artikulation vermittelt er eine Ahnung davon, was mit dieser herrlich schrägen und schillernden Operette möglich gewesen wäre. Ob seine 'Lilly vom Ballett' im zweiten Akt als geschmacksicher, stilistisch wertvoll oder gar komisch zu werten ist, bleibt subjektiv – sie ist zumindest schmerzbefreit und im Vergleich zu allen anderen Mitwirkenden schonungslos. Dass die angestaubte Komik dieser Aufführung – die wohlgemerkt nicht dem Werk an sich anzulasten ist, sondern der in vielen Traditionen verklebten Darbietung – trotzdem das Publikum bestens zu unterhalten scheint, zeigen die häufigen Lacher. Funktioniert hat es – immerhin.
Wolfgang Klose gibt den so gar nicht hamburgischen Vater Müller senior, Michael Glantschnig scheint live einen komischeren Eindruck als Hoteldirektor hinterlassen zu haben, als es die CD vermitteln kann, und Christof Hartkopf ist Kemal Pascha. Eleonora Vacchi und Hanne Weber komplettieren als Bül-Bül und Djamileh die Besetzung. Allein um des Genusses von Leo Falls unsterblicher Musik in ihrer Gänze lohnt sich der Münchner Mitschnitt. Auch die Solisten sind von stimmlichen Ausfällen weit entfernt. Allein von zeitgemäßer Operette – sei es in Bezug auf die Entstehungszeit oder das Heute – spürt man wenig. Da wirken die Sechziger und Siebziger noch heftig nach.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Leo Fall: Die Rose von Stambul: Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner Rundfunkorchester, Ulf Schirmer |
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Label: Anzahl Medien: |
cpo 2 |
Medium:
EAN: |
CD
761203503629 |
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Fall, Leo |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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