
Janacek: The Cunning Little Vixen, Sinfonietta - London Symphony Chorus and Orchestra, Sir Simon Rattle
Waldesraunen
Label/Verlag: LSO Live
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Mit seiner zweiten Einspielung von Janáčeks 'Schlauem Füchslein' gelingt Sir Simon Rattle, seinen Musikern und seinem Ensemble eine lebendige und wohltuend unsentimentale Interpretation.
Mit Aufnahmen von Leoš Janáčeks 'Schlauem Füchslein' ist der Plattenmarkt wahrlich nicht überschwemmt, so dass die Neugier auf Neueinspielungen entsprechend groß ist. Vor zwei Jahren hat die Oper Frankfurt bei Oehms eine starke Leistung dokumentiert, nun gibt sich Sir Simon Rattle mit Janáčeks tierisch-menschlichen Treiben die Ehre. Es ist Rattles zweite Einspielung des 'Füchsleins', die erste ist bereits 30 Jahre alt und in englischer Sprache gesungen. Nun gibt es also ein tschechisches 'Füchslein' mit Rattle – diesmal am Pult des London Symphony Orchestra, aufgezeichnet im Juni 2019 in der Londoner Barbican Hall und beim hauseigenen Label des LSO auf zwei SACDs veröffentlicht. Dem Livemitschnitt liegt eine halbszenische Produktion zugrunde, die Rattle schon 2017 in der Berliner Philharmonie zur Aufführung gebracht hat. Einige der Berliner Solisten sind nun auch im Londoner Mitschnitt zu erleben.
Hervorragend besetzt
Das titelgebende Füchslein ist (wie 2017 in Berlin) mit Lucy Crowe hervorragend besetzt. Lustvoll nutzt sie die tschechische Sprache, um ein äußerst lebendiges Rollenporträt zu zeichnen. Ihr lyrischer Sopran hat neben einer glitzernden Höhe auch eine solide, kraftvolle Mittellage zu bieten. Das warme, dunkle Timbre betont dabei auch die verschlagene Seite der Füchsin. Das tut der Figur ungemein gut. Sie entfernt sich wirkungsvoll von soubrettiger Schelmerei, um einen vielschichtigen Charakter zu zeichnen. Herrlich, wie temperamentvoll Crowe die Hühner zur Revolution aufruft und wenig später im Duett mit dem Fuchs sanft dahinschmilzt.
Dieser Fuchs wird von Sophia Burgos mit Eleganz und Tonschönheit versehen. Ihr Sopran mischt sich glänzend mit Crowes Stimme, wobei Burgos dem Fuchs auch Manches an Ausdrucksnuancen und Farben schuldig bleibt. Das ist tadellos gesungen, aber gerade angesichts Crowes hellwacher und raffinierter Gestaltung, bleibt Burgos‘ Interpretation recht blass. Als Henne tritt Burgos zusätzlich in Erscheinung und wertet die kleine Partie enorm auf.
Neben Lucy Crowe ist Gerald Finley eine Traumbesetzung als Förster. Sprachlich prägnant und elegant in Phrasierung und Tongebung zieht er alle Register des versierten Liedsängers, ohne dabei seine dramatische Ausdruckskraft zu vernachlässigen. Diese Mischung fesselt bis zur letzten Sekunde und weckt Sympathien für den Mann mit der Flinte. Finley beginnt die Oper handfest, unnachgiebig, mit großer Direktheit und erdigen Farben. Hat dieser Förster das letzte Bild und damit den großen Monolog erreicht, lösen sich die Verkrustungen, Finleys Stimme verschmilzt mit dem Orchester und Sprache wird zu Melodie. Selbst ohne Sprachkenntnisse im Tschechischen wird allein in Finleys Gestaltung und Janáčeks Musik deutlich, wie sehr sich der Förster entwickelt hat und nun den Kreislauf des Lebens erkennt. Wenn der Sänger für dieses ergreifende Finale noch stimmliche Reserven übrig hat, dann öffnet sich eine weitere Dimension. Finley hat Reserven – und was für welche.
Untrügliches Gespür
Als Harašta kommt Hanno Müller-Brachmann zum Einsatz, hervorragend bei Stimme und mit untrüglichem Gespür für die dramatische Situation. Sein Harašta bezieht zudem die Gefährlichkeit nicht aus purer Grobheit, sondern aus einer unangenehmen Schlichtheit, hinter der es brodelt. Peter Hoare ist ein glänzender Schulmeister (aber auch Hahn und Mücke) und Jan Martiník der profunde und moralisch fragwürdige Pfarrer und Dachs – zwei messerscharfe Rollenzeichnungen. Aus den zahlreichen Nebenrollen seien noch der parodistische Dackel und die schnippische Frau Pasek von Anna Lapkovskaja, sowie die stimmlich etwas angestrengte, aber rollendeckende Förstersfrau, Specht und Eule von Paulina Malefane genannt – beide ebenfalls schon bei der Berliner Aufführung in Rattles Ensemble. Der London Symphony Chorus und die LSO Discovery Voices agieren hörbar spielfreudig und homogen.
Dass dieses 'Füchslein' im Gesamteindruck so überzeugend ist, liegt ohne Zweifel an der visionären und ensembleorientierten Leitung von Sir Simon Rattle. Rücksichtsvoll stützt er seine Solistinnen und Solisten und spornt sie zugleich zu kalkulierbaren Risiken an. So zieht ein aufregend lebendiges 'Füchslein' am Ohr des Hörers entlang, betont unsentimental und voll an komischen wie bitterbösen Nuancen. Das London Symphony Orchestra folgt Rattle auf Schritt und Tritt. Das klingt feingliedrig, ja teilweise fast zerbrechlich, wie Rattle und seine Musiker Janáčeks Musik entzerren und größtmögliche Durchsichtigkeit erzielen. Von saftigem Kitsch ist diese Interpretation meilenweit entfernt. Es irrlichtert im Gehölz, die kurzen Motive verweben sich kurzzeitig zu schillernden Netzen, die gleich darauf reißen und neue Strukturen bilden. Rattle gelingt ein Waldesraunen zwischen Melodiesuche und Naturlauten, ganz so, wie es Janáček vielleicht vorgeschwebt haben mag.
Ein lebendiger Mitschnitt von Janáčeks 'Sinfonietta' ebenfalls mit dem LSO unter Rattle vom September 2018 füllt die zweite SACD. Das ist absolut kundenorientiert, weil die zweite SACD sonst halb leer gewesen wäre. Aber nach so einem starken 'Füchslein' braucht es erst einmal keine akustische Ergänzung. Da heißt es Pause – und später … irgendwann die 'Sinfonietta'.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Janacek: The Cunning Little Vixen, Sinfonietta: London Symphony Chorus and Orchestra, Sir Simon Rattle |
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Label: Anzahl Medien: |
LSO Live 2 |
Medium:
EAN: |
CD SACD
822231185024 |
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Janácek, Leos |
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LSO Live Einspielungen des Labels LSO Live vermitteln die Energie und Emotion der großartigsten Aufführungen mit höchster technischer Qualität und Finesse.
Liveaufzeichnungen bedeuteten früher gewöhnlich Kompromisse, aber heutzutage kann mit Hilfe der besten Aufnahmetechnik im Konzertsaal die Vitalität festgehalten werden, die im Studio so schwer nachzustellen ist. Seit 2000 veröffentlichte das LSO Live über 80 Alben und nahm zahlreiche Preise entgegen. Das London Symphony Orchestra war schon früher das am meisten aufgenommene Orchester der Welt, hatte es doch für zahlreiche Plattenfirmen gearbeitet und viele der berühmtesten Filmmusiken eingespielt. Die Investition in unsere eigenen Aufnahmen ermöglicht dem Orchester jedoch abzusichern, dass jede Veröffentlichung den höchsten Qualitätsansprüchen genügt und das Hören der besten Musik allen Menschen zugänglich ist. Das LSO Live war eines der ersten klassischen Plattenfirmen, die Downloads anboten, um ein breiteres Publikum anzusprechen. Wir geben auch unsere Einspielungen im SACD Format (Super Audio Compact Disc) heraus. SACDs lassen sich auf allen CD-Spielern abspielen, ermöglichen aber den Hörern mit speziellen SACD-Spielern den Genuss eines hochaufgelösten, mehrkanaligen Klangs.
London Symphony Orchestra Heute gibt das LSO ungefähr 70 Konzerte pro Jahr in London und bis zu 90 auf Tournee. Es ist regelmäßig auf Konzertreise durch Europa, Nordamerika und im Fernen Osten. Waleri Gergijew ist seit 2007 Chefdirigent des LSO und Sir Colin Davis sein Präsident. Das LSO organisiert auch das in der Welt am längsten laufende und umfangreichste Bildungsprogramm eines Orchesters: LSO Discovery. Mit seinem Sitz im Londoner Musikbildungszentrum LSO St Lukes schafft Discovery die Möglichkeit für Menschen aller Altersgruppen und Veranlagungen, mit Musikern des LSO zusammenzuarbeiten, etwas über Musik zu lernen und ihre Fertigkeiten zu entwickeln. Mehr Info... |
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